Am Dienstag, dem 24. Juni 1941 in aller Früh wurde Pepis Vater Josef Andersch zu Hause von Gestapobeamten in Zivil verhaftet. Pepi war sieben Jahre alt und wusste bis zu diesem Zeitpunkt kaum etwas über die Tätigkeit seines Vaters im Widerstand. Sein Vater war Kassier einer KPÖ-Betriebszelle bei Fiat in Wien und animierte Mitarbeiter:innen mit einem Auszug aus einem Gedicht von Erich Weinert ("Wenn ihr eines Tages nach Osten marschiert ..."), sich gegen den Krieg zu stellen.

Porträt
Porträt von Josef Andersch, 1937.
Pepi Andersch, KZ-Verband

Aus Solidarität sammelte Josef Andersch Geld für die Familien illegaler Widerstandskämpfer:innen und verteilte auch Antikriegs-Flugblätter an seine Kolleg:innen. Bei sich zu Hause, in einem Holzriegelbau in Leopoldau, hatte er ein Radio versteckt, auf dem er und seine Nachbar:innen "Feindsender" hörten. Im November 1942 schreibt Josef Andersch aus dem Landesgericht: "Lieber Pepi! Ich habe Dir heute wieder einige Blumen gezeichnet. Vielleicht findest Du sie im Garten." Damals durften Kinder die Gefangenen nicht besuchen.

Dokument
Schutzhaftbefehl für Josef Andersch, 20. Oktober 1941.
Pepi Andersch, KZ-Verband

Ein letztes Mal, so erzählt Pepi, konnte er seinen Vater jedoch noch sehen. Ein Beamter hatte seiner Mutter heimlich gesagt, dass es beim Gefangenentransport hinten ein kleines vergittertes Guckerl gab, durch das sein Vater durchschauen konnte. Josef Andersch wurde am 18. November 1942 wegen Hochverrats (kommunistischer Widerstand) im Landesgericht am Schafott hingerichtet.

Danach kam die Aufforderung die Habseligkeiten des Vaters abzuholen. Dabei beobachtete Pepi, wie ein Beamter, nachdem sich dessen Kollege aus dem Raum entfernte, seiner Mutter Lebensmittelmarken zusteckte. Wo genau ihre Geliebten in Schachtgräben verscharrt wurden, erfuhren seine Mutter und viele anderen Hinterbliebenen – obwohl das strengstens verboten war – von Friedhofsbeamten.

Mit schwerem Lungenriss im Krankenhaus

Ihr Siedlungshaus mussten Mutter und Sohn ersatzlos räumen. Beim Abtransport ihrer Gartengeräte auf einem ausgeborgten Pferdefuhrwerk von einem befreundeten Bauern aus Leopoldau passierte ein Unglück: Am Weg zu seinen Großeltern fiel Pepi direkt vor die Räder des Fuhrwerks und erlitt dabei einen schweren Lungenriss. Als er infolgedessen einige Wochen im AKH verbringen musste, passierte Überraschendes, berichtet Pepi: Seine Lehrerin Emma Herwirsch gab seinen Mitschülern die Aufgabe, anstatt eines Aufsatzes kleine Briefe an Pepi zu schreiben. "Hoffentlich wirst du bald gesund", schreibt Kamerad Finger. "Haben schon Dividieren gelernt, wirst nachkommen". "Wir waren sehr traurig, wie wir von dem Unglück gehört haben, aber wie wir gehört haben, dass es Dir besser geht, waren wir schon nimmer so traurig“, schreibt Walter Süss. Auch die Lehrerin selbst schrieb ihm damals einen Brief, in dem sie Pepi gute Besserung wünschte, obwohl ihr sicherlich bewusst war, dass sie im Falle einer Denunziation durch die Schulverwaltung mit negativen Folgen rechnen musste. Damals wurden Hinrichtungen noch auf Plakaten und in den Zeitungen bekanntgegeben.

Brief
Brief von Pepis Lehrerin.
Pepi Andersch, KZ-Verband

Es war für Pepi und seine Mutter nicht einfach, eine Wohnung zu finden, doch schlussendlich wurden sie von einer streng katholischen Hausfrau in der Leopoldauer Straße aufgenommen. Die Hausfrau hatte einen Bruder, der an religiösem Wahn litt, so Pepi, und den ganzen Tag nichts anderes tat, als zu beten. Sie hatte mehr Mitgefühl als andere, vermutet Pepi, da sie wusste, dass kranke Menschen damals auch von den Nazis liquidiert wurden. Alle im Haus wussten darüber Bescheid. Die kleine Zimmer-Küche-Wohnung, die sie Pepi und seiner Mutter zur Verfügung stellte, gab sie ihnen aus Solidarität.

Stille Solidarität in Briefform

Heute ist Pepi Andersch 89 Jahre alt und lebt in Wien. Er ist seit 1948 Mitglied des KZ-Verbandes und somit das älteste Mitglied. Jedes Jahr besucht er die Gedenkstätte seines Vaters in der 40er-Gruppe am Zentralfriedhof. Jahrzehnte später befindet sich hier auf dem Gelände die "nationale Gedenkstätte für die vom NS-Regime hingerichteten Widerstandskämpfer und die Opfer politischer Verfolgung".

Pepi Andersch, Schwarz-Weiß Foto
Pepi Andersch bei der Arbeit für das Projekt "Archiv Gegen das Vergessen", Oktober 2023.
Christopher Glanzl, KZ-Verband

Besonders in Erinnerung geblieben ist Pepi Andersch seine Lehrerin Emma Herwirsch, erzählt er, die damals ein enormes Risiko auf sich nahm, als sie ihre Schüler die Briefe schreiben ließ. Die Briefe bewahrt er heute noch in einer kleinen Schachtel bei sich zu Hause auf. "Stille Solidarität", so Pepi Andersch. (Rudi Burda, Winfried R. Garscha, Paul Hebein, Nives Nina Pjanic, Birgit Hebein, 9.11.2023)