Israels Armee scheint die weltweit immer lauter werdenden Rufe nach einer Feuerpause im Gazastreifen nicht zu hören. Tatsächlich wurden die Militäroperationen auch in den vergangenen Stunden fortgesetzt. Die Ankündigung, täglich vier Stunden lang eine "humanitäre Pause" einhalten zu wollen, wurde noch nicht umgesetzt.

So sollen Bodentruppen laut Darstellung der Israel Defense Forces (IDF) im nördlichen Gazastreifen einen Stützpunkt der Hamas eingenommen haben. Dieser liege inmitten des zuletzt mit rund 200.000 Menschen dicht bevölkerten Flüchtlingsviertels Jabalia. Dort hatte sich schon vor Tagen eine große Explosion ereignet – bis heute ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob es sich um eine gezielte israelische oder um eine irrtümlich hochgegangene palästinensische Rakete handelte. Jedenfalls seien an dem Kampf neben Kämpfern der Terrorgruppe Hamas auch solche des "Islamischen Jihad" beteiligt gewesen, hieß es.

Paris als selbsternanntes Epizentrum humanitärer Hilfsbemühungen für die Menschen im Gazastreifen: Präsident Emmanuel Macron lud am Donnerstag zu einer internationalen Geberkonferenz.
Paris als selbsternanntes Epizentrum humanitärer Hilfsbemühungen für die Menschen im Gazastreifen: Präsident Emmanuel Macron lud am Donnerstag zu einer internationalen Geberkonferenz.
EPA/ALESSANDRO DI MEO

Die IDF gehen davon aus, dass sich viele Führungspersonen der Hamas in dem über hunderte Kilometer weit verzweigten unterirdischen Tunnelsystem im Gazastreifen versteckt halten – auch dort wurden die israelischen Militäroperationen am Donnerstag fortgesetzt. Zumindest eine größere Gruppe der 239 Geiseln, die bei dem Überfall auf Israel am 7. Oktober verschleppt wurden, wird dort vermutet.

Uno: Kriegsverbrechen

Der Österreicher Volker Türk warf in seiner Eigenschaft als Uno-Hochkommissar für Menschenrechte explizit beiden Seiten – der Hamas und Israel – die Verübung von Kriegsverbrechen vor. Sein Statement gab er nach einem Besuch am Grenzübergang Rafah vom Gazastreifen nach Ägypten am Mittwoch ab. Dabei machte er deutlich, dass es bei der Beschreibung der Situation keine doppelten Standards geben dürfe. "Die von bewaffneten palästinensischen Gruppen am 7. Oktober verübten Gräueltaten waren abscheulich, brutal und schockierend, sie waren Kriegsverbrechen – ebenso wie die anhaltende Geiselnahme", wurde Türk zitiert. Doch auch die Militärschläge Israels und die Abriegelung des Gazastreifens, welche humanitäre Hilfe behindere, seien kritikwürdig. Türk: "Die kollektive Bestrafung palästinensischer Zivilisten durch Israel stellt ebenfalls ein Kriegsverbrechen dar, ebenso wie die unrechtmäßige Zwangsevakuierung von Zivilisten."

Die Standards seien sehr klar: Konfliktparteien seien verpflichtet, die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen zu schützen. Als Besatzungsmacht müsse Israel dafür sorgen, dass die Menschen im Gazastreifen mit dem Nötigsten versorgt würden. "Die Handlungen einer der Parteien entbinden die andere Partei nicht von ihren Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht", sagte Türk. Angriffe auf medizinische Einrichtungen, medizinisches Personal sowie Verwundete und Kranke seien verboten.

Macron startet Initiative

Unterdessen kündigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer Geberkonferenz in Paris humanitäre Hilfe seines Landes im Umfang von 100 Millionen Euro an. Damit überhaupt mehrere Regierungsvertreter nach Paris kamen, wurde das Treffen zeitlich vor ein internationales "Friedensforum" gelegt, das Macron ab Freitag bereits zum sechsten Mal durchführt und das sich aus aktuellem Anlass auch mit dem Nahen Osten befassen soll.

Zugegen waren in Paris unter anderem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Premiers Griechenlands und Irlands sowie der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Shtayyeh. Israel war an der Konferenz nicht beteiligt.

Dass Macron in dem Konflikt zunehmende Präsenz markiert, hat wohl damit zu tun, dass er sein anfänglich "bedingungsloses" Einstehen für Israel zu korrigieren versucht: In Frankreich wird kritisiert, Macron weiche von der langjährigen "politique arabe" ab, die einen Ausgleich zwischen Palästinensern und Israel suche. Dieses Konzept sehe man nun durch Macrons Agieren gefährdet – zumindest letzthin.

Seinen anfänglichen Vorschlag einer Militärkoalition gegen die Hamas schwächte der französische Präsident bereits ab und propagiert nun vorrangig eine "humanitäre Koalition" für die Zivilbevölkerung in Gaza. (Gianluca Wallisch, Stefan Brändle aus Paris, 10.11.2023)