Das von zahlreichen Krisen geschüttelte Horn von Afrika kommt nicht zur Ruhe, selbst das Wetter spielt verrückt. Nachdem es fast drei Jahre lang während der schlimmsten Dürre seit vier Jahrzehnten nicht geregnet hat, wird die unruhige Region derzeit von sintflutartigen Regenfällen heimgesucht. Ihnen fielen in Somalia, Äthiopien und Kenia bereits dutzende Menschen zum Opfer, hunderttausende verloren ihr zu Hause.

Überschwemmungen in Somalias Hauptstadt Mogadischu.
Überschwemmungen in Somalias Hauptstadt Mogadischu.
REUTERS/FEISAL OMAR

"Ich habe noch nie derartige Überflutungen in meinem Leben gesehen", sagt Mohamed Farah, ein Ältester in der südwestsomalischen Stadt Baidoa, der Nachrichtenagentur Reuters. Im vergangenen Jahr sollen in dem ostafrikanischen Krisenstaat mehr als 40.000 Menschen an der Hungernot gestorben sein.

Somalia, wo die islamistische Extremistensekte al-Shabaab seit zwei Jahrzehnten ihr Unwesen treibt, ist von den ungewöhnlich starken Regenfällen am stärksten betroffen. 29 Menschen seien getötet und mehr als 300.000 aus ihrem Zuhause vertrieben worden, teilte Hassan Isse vom nationalen Katastrophenmanagement mit: "Es sind die schlimmsten Überschwemmungen seit Jahrzehnten."

Von der Außenwelt abgeschnitten

Zahlreiche somalische Städte stünden unter Wasser, teilen die vereinten Nationen mit: Mehrere Tausend Einwohner der Stadt Luuq seien von der Außenwelt abgeschnitten, nachdem der Juba-Fluss über seine Ufer getreten ist. Insgesamt seien derzeit 1,2 Millionen Somalier und Somalierinnen von den Unwettern betroffen, heißt es bei der Uno. Ihre Zahl werde vermutlich auf 1,6 Millionen steigen.

Auch in Somalias Nachbarstaaten Äthiopien und Kenia kamen dutzende Menschen bei Überflutungen ums Leben. In Kenia hätten 85.000 Menschen ihr Zuhause verloren, teilt das dortige Rote Kreuz mit. In der äthiopischen Somali-Provinz haben nach Angaben der Regionalregierung mindestens 12.000 Menschen kein Dach mehr über dem Kopf.

Wetterexperten gehen davon aus, dass die Regenfälle noch bis in den Jänner weitergehen: So lange hält gewöhnlich die "kleine Regenzeit" Deyr an, der von März bis Mai eine große Regensaison folgt. Statt der zehn Millimeter Niederschlag, die im Norden und Osten Kenias während des Deyr durchschnittlich fallen, wurden in diesem Jahr bereits bis zu 200 Millimeter gemessen.

Keine Schutzmaßnahmen

Schwerer Regen nach einer langen Dürre hat meist fatale Folgen. Der ausgetrocknete Boden kann das Wasser nicht aufnehmen, das dann in Strömen abfließt. Oft reißt es dabei auch noch die dünne fruchtbare Erdschicht mit. In Somalia macht sich außerdem der vornehmlich auf dem Land ausgetragene Konflikt mit der Al-Shabaab-Miliz bemerkbar: Seinetwegen kann die Bevölkerung keine Schutzmaßnahmen angesichts der Regenfälle treffen.

Den krassen Wetterumschwung führen Wissenschafter auf das El-Niño- und La-Niña-Phänomen zurück. Dabei handelt es sich um Temperaturveränderungen im Pazifik, die das gesamte Weltklima beeinflussen. Eine außergewöhnliche dreijährige La-Niña-Phase wurde im Juli von einer El-Niño-Phase abgelöst, die nach Angaben von Experten mindestens bis April anhalten wird.

Die von El Niño am afrikanischen Horn verursachten Regenfälle werden in diesem Jahr noch durch den "Dipol" im Indischen Ozean verstärkt, bei dem sich – ähnlich wie bei El Niño im Pazifik – die Kalt- und Warmwasserströmungen umkehren. Strömt warmes Wasser an der Oberfläche des Ozeans in Richtung Westen, kommt es an Afrikas Ostküste zu stärkeren Regenfällen.

Schäden in Milliardenhöhe

Nach Auffassung von Fachleuten wird der Zyklus von Dürre und Überschwemmungen durch die Klimaerwärmung deutlich verstärkt. Einem jüngst veröffentlichten Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) zufolge kam es in Afrika im vergangenen Jahr zu 80 klimabedingten Unregelmäßigkeiten, die rund 5.000 Menschen das Leben kosteten. 48 Prozent der Todesfälle wurden von Dürren verursacht, 43 Prozent von Überflutungen. Insgesamt seien von den desaströsen Wettervorfällen mehr als 110 Millionen Menschen betroffen gewesen, heißt es in dem Bericht. Sie hätten einen Schaden von mehr als acht Milliarden Euro verursacht.

Obwohl der Kontinent nur für vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, hat Afrika unter den Folgen der Klimaerwärmung am meisten zu leiden. Ihr Schaden wird mit Werten zwischen 290 Milliarden US-Dollar (bei einer Erwärmung von zwei Grad) und 440 Milliarden (bei vier Grad) beziffert. Um sich vor den Folgen besser schützen zu können, sollen allein in diesem Jahrzehnt 2,8 Billionen Dollar erforderlich sein. Industriestaaten haben nur einen geringen Prozentsatz davon als Finanzausgleich zugesagt. (Johannes Dieterich, 10.11.2023)