Junges Paar, sie ist schwanger, kocht mit viel Gemüse
Nicht wenige Frauen bekommen einen Schwangerschaftsdiabetes. Der normalisiert sich zwar wieder, aber es bleibt ein hohes Risiko, in den nächsten Jahren dauerhaft zu erkranken. Die gute Nachricht: Mit der richtigen Ernährung kann man das verhindern.
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Lokalaugenschein im Einkaufszentrum The Mall in Wien Mitte: Im Eingangsbereich ist ein großer Stand eines Pharmaunternehmens aufgebaut, davor stehen Menschen Schlange. Das Angebot: Man kann hier mit einem kurzen Stich in den Finger testen lassen, wie hoch das eigene Risiko ist, Diabetes Typ 2 zu entwickeln. Anlass ist der Weltdiabetestag am 14. November, der auf diese fast schon pandemische Lifestyleerkrankung aufmerksam machen will. Testen lassen wollen sich Menschen von jung bis alt, von schlank bis leicht übergewichtig, urösterreichisch oder mit Migrationshintergrund. Die Schlange repräsentiert einen guten Querschnitt der (Wiener) Bevölkerung.

Dass sich so viele Menschen dort anstellen, ist ein gutes und ein schlechtes Zeichen. Sie machen sich Gedanken um ihre Gesundheit, das ist gut. Aber sie sind womöglich auch Risikogruppe, das ist deutlich weniger gut. Zur Risikogruppe gehört man recht schnell, das zeigt ein Blick auf die nackten Zahlen. Immerhin sind ungefähr 800.000 Menschen in Österreich an Diabetes erkrankt, das sind fast zehn Prozent der Bevölkerung. Und dazu kommt mit Sicherheit noch eine erkleckliche Zahl an Betroffenen, deren Erkrankung (noch) nicht diagnostiziert ist. Nicht wenige sind außerdem im Bereich des Prädiabetes, also der Vorstufe zur Erkrankung.

Die allermeisten Menschen mit Diabetes, rund 90 Prozent, haben Diabetes Typ 2. Nur rund 80.000 leiden an der Autoimmunvariante, dem Typ-1-Diabetes. Hat man autoimmunen Diabetes, kann man diesem nur mit Ernährung tatsächlich wenig entgegensetzen, man muss Insulin zuführen. Doch die restlichen gut 700.000 Menschen können mit einer Anpassung des Lebensstil wirklich viel erreichen. Und je früher man sich um dieses Problem kümmert, desto weniger schwerwiegend wird es – im Idealfall kann man der Erkrankung ganz ausweichen, weiß Dagmar Plazek, Diätologin und Leiterin des Arbeitskreises Diabetes des Verbands der Diätologen Österreich. Alles, was man dafür tun muss: die eigene Ernährung bewusst gestalten.

Nur vermeintlich gesunde Ernährung

Diabetes ist dabei schon lange keine Krankheit mehr, die nur ältere Menschen betrifft – der Volksname Altersdiabetes ließe das nämlich vermuten. Patientinnen und Patienten werden zunehmend jünger. Die Hauptrisikofaktoren sind Übergewicht und körperliche Inaktivität. Verstärkend kann eine genetische Veranlagung wirken. Gibt es bereits Typ-2-Diabetes im unmittelbaren Familienumfeld, ist die Wahrscheinlichkeit höher, auch selbst daran zu erkranken.

Auch einige Medikamente, etwa Cortison, können sich nachteilig auf den Blutzucker auswirken und das Risiko erhöhen. Nach einer Sars-CoV-2-Infektion, vor allem mit schwerem Verlauf, besteht ein erhöhtes Risiko, Diabetes zu entwickeln, sowohl Typ 1 als auch Typ 2. Das liegt daran, dass das Virus die insulinbildenden Zellen infizieren kann. Und Frauen, die einen Schwangerschaftsdiabetes entwickeln, haben ein stark erhöhtes Risiko, dass sich die Krankheit in den folgenden Jahren manifestiert. So weit, so offensichtlich.

Aber der zeitgenössische Lebensstil trägt auch einiges dazu bei, dass die Zahl der Betroffenen steigt. So gibt es etwa einige Ernährungstrends, die als gesund gelten – aber in Wirklichkeit das Risiko sogar befeuern. Ein Beispiel dafür sind Smoothies: "Diese Obst- und Gemüsesäfte liefern eine enorme Menge an Fruchtzucker, der durch die pürierte Darreichung auch noch extrem schnell ins Blut übergeht. Das belastet die Leber und den Zuckerstoffwechsel sehr", weiß Plazek.

Ein anderes Beispiel sind Pasta und Gebäck aus Vollkorn. Plazek berichtet: "Ich erlebe immer wieder, dass Menschen zu Vollkorntoast oder -pasta greifen, weil das sei ja gesünder, man könne ruhig eine ordentliche Portion davon essen. Tatsächlich ist das aber nur sehr bedingt der Fall. Denn in diesen Produkten ist das Getreide fein vermahlen. Das bedeutet, diese Kohlenhydrate lassen den Blutzuckerspiegel praktisch genauso schnell ansteigen wie das gleiche Produkt aus Auszugsmehl." Im Vollkornprodukt sind zwar die Schale des Korns und der Stärkekörper enthalten, aber für eine positive Blutzuckerbilanz dürfte es maximal geschrotet sein.

Und noch einen weitverbreiteten Mythos demontiert Plazek: "Die vegane Ernährung wird immer populärer, viele setzen diese aus dem Gefühl heraus um, damit ihrer Gesundheit etwas Gutes zu tun. Und das ist prinzipiell auch gut. Aber nicht wenige greifen dann zu veganem Schnitzel oder ähnlichen Fleischersatzprodukten. Die sind aber hochverarbeitet und keineswegs besonders gesund. Da ist es definitiv besser, etwas zu essen, das nicht hochverarbeitet ist."

Keine Diäten

Bei allen (un)gesunden Ernährungstrends ist aber natürlich das Gewicht ein wesentlicher Faktor bei der Entwicklung von Diabetes. Vor allem zu viel Fett im Bauchraum kann auch hormonell wirken und dadurch den Blutzuckerspiegel beeinflussen. Hier kann man aber schon mit kleinen Interventionen viel erreichen, weiß die Expertin: "Wenn man fünf bis zehn Kilos verliert, reicht das oft schon, damit sich die Blutzuckerwerte wieder bessern, das zeigen auch Studien."

So eine Gewichtsabnahme sollte man aber nicht mit irgendwelchen Diäten oder strengen Ernährungsregeln umsetzen – dann kann es sogar passieren, dass man eher noch mehr zunimmt, sobald man sie beendet. Plazek erlebt zum Beispiel immer wieder, dass Klientinnen oder Klienten mit Intervallfasten abnehmen wollen, also essen nur in einem Zeitraum von acht bis zehn Stunden, darauf folgt eine lange Essenspause von 14 bis 16 Stunden. "Sehr oft sieht das dann so aus, dass einfach das Frühstück weggelassen wird, aber an den Ernährungsgewohnheiten prinzipiell ändert man nichts." Auch wird der Großteil in der zweiten Tageshälfte gegessen, aber nicht durch Bewegung verbraucht.

Dabei ist dieses Fasten nicht per se schlecht. Liegt einem diese Ernährungsform, kann man das durchaus in den eigenen Tagesablauf einbauen. Aber es bringt wenig, einfach das Frühstück wegzulassen und ansonsten nichts zu ändern. Vielmehr sollte man sich grundlegend anschauen, wie das eigene Essverhalten ist und auf dieser Basis gut umsetzbare Veränderungen Schritt für Schritt angehen.

Ein gesunder Esstag

Wie sieht nun so eine gesundheitsfördernde Ernährung aus? Plazek empfiehlt drei Mahlzeiten täglich, jeweils mit einer ausgewogenen Nährstoffzusammensetzung. Das bedeutet, die Mahlzeit sollte immer eine Eiweißkomponente enthalten, eine Kohlenhydratkomponente und frisches Gemüse oder Salat. Dadurch ist man lange satt und braucht keine Snacks zwischendurch – was nämlich den Blutzuckerspiegel stärker schwanken lassen würde. Zum Frühstück könnte man beispielsweise Vollkornbrot – aus geschrotetem Korn – mit Frischkäse oder Schinken essen, dazu frisches Gemüse. Auch Joghurt oder Topfen mit Haferflocken, Nüssen und saisonalem Obst ist eine gute Variante.

Zu Mittag und zu Abend kann man etwas Fleisch oder Fisch, eine bewusste Portion einer klassischen Beilage und Gemüse dazu essen oder einen Salat mit Feta, Schafkäse, Hülsenfrüchten, Fisch, gekochtem Ei oder einer anderen Eiweißzulage. Und weil Fleisch nicht öfter als zwei- oder dreimal pro Woche auf den Teller sollte, kann man verstärkt zu Hülsenfrüchten greifen. Die liefern wichtige Ballaststoffe, pflanzliches Eiweiß und Mineralstoffe und sind damit empfehlenswert auf allen Ebenen.

Nicht jede Hauptmahlzeit muss übrigens warm sein, das kommt auch darauf an, wie das eigene Bedürfnis ist und ob man etwa in der Arbeit die Möglichkeit hat, warm zu essen. Brot mit Eiweißauflage und reichlich Gemüse oder Salat sind eine gute Möglichkeit. Aber gerade in Bezug auf den Blutzuckerspiegel sollte man auf Menge und Art der Kohlenhydrate achten. Also nicht den Hunger einfach mit Brot stillen oder beim Essen, wenn man beispielsweise schon Knödel als Beilage hat, auch noch einen Erdäpfelsalat dazu essen.

Und der Zucker spielt natürlich eine Rolle. Das heißt nicht, dass man nichts Süßes essen darf. Aber es kommt auch hier immer auf die Kombination an. Plazek weiß: "Isst man einen Topfen- oder Apfelstrudel, der mäßig gesüßt und nicht noch extra mit Zucker bestreut ist, ist das ab und zu schon in Ordnung." Bei Topfen ist der Blutzuckeranstieg geringer als bei Marmelade, Marzipan oder Trockenfrüchten. Den Geschmack von Mehlspeisen kann man außerdem mit Zitronensaft, Zimt oder Nelken verstärken, um Zucker einzusparen.

Nicht zu empfehlen sind dagegen diverse Zuckeralternativen und Fruchtzucker. Vor allem Letzterer wirkt direkt auf die Leber, was gerade für Diabetes-Gefährdete nicht gut ist. Und bei Süßstoffen ist nicht klar, wie sie sich konkret auf den Stoffwechsel auswirken. "Man weiß aber, dass sie sehr wohl das Mikrobiom, also die Bakterienflora im Darm, beeinflussen", sagt Plazek.

Warnzeichen erkennen

Wie weiß man aber, dass man überhaupt zur Risikogruppe gehört? Am besten, indem man bei der jährlichen Gesundenuntersuchung die Blutzuckerwerte überprüfen lässt. Denn dann kann man eine entsprechende Entwicklung frühzeitig erkennen und gegensteuern, damit sich die Krankheit gar nicht erst manifestiert. Passiert das aus irgendeinem Grund nicht, gibt es ein paar Anzeichen – auch wenn Probleme mit dem Blutzuckerspiegel lange nur sehr unspezifische Symptome haben.

Das kann zum Beispiel Müdigkeit sein, Abgeschlagenheit oder Stimmungsschwankungen, viele Menschen haben auch ein erhöhtes Durstgefühl. Und Plazek berichtet aus ihrer langjährigen Erfahrung: "Klientinnen und Klienten erzählen oft, dass sie auf einmal das Bedürfnis nach gezuckerten Getränken hatten, obwohl sie eigentlich immer nur Wasser getrunken haben."

Ist ein nicht diagnostizierter Diabetes bereits manifestiert, können schlecht heilende Wunden ein Anzeichen dafür sein. Wenn das Sehvermögen auf einmal scheinbar grundlos schlechter wird, kann das ein Hinweis sein, denn Diabetes kann die kleinsten Blutgefäße im Auge und damit die Netzhaut schädigen. Und auch Herzprobleme können mit Diabetes in Verbindung stehen.

Die drei wichtigsten Tipps

Doch all dem kann man viel entgegensetzen, und das kann sogar ziemlich bereichernd sein. Fragt man Plazek nach ihren drei wichtigsten Tipps, um das Risiko für Diabetes zu minimieren, bekommt man eine überraschende Antwort. Man würde mit Regeln oder Verboten rechnen – doch weit gefehlt. "Keine Verbote", sagt sie fast schon reflexartig. Denn Verbote, so die logische Erklärung, führen nur dazu, dass man genau danach besonders giert. "Isst man zu 80 Prozent bewusst und vernünftig, kann man bei den restlichen 20 Prozent ruhig ein bissl entspannt sein und auch einmal das essen, wonach es einen gustert."

Ihr zweiter Tipp ist der Genuss: "Nehmen Sie sich Zeit zum Essen, richten Sie die Speisen schön an, kauen und schmecken Sie bewusst. Man sollte nicht nebenher oder unterwegs essen." Wenn man dem Mahl diese Aufmerksamkeit und Zuwendung einräumt, isst man sogar weniger statt mehr. Denn Essen ist sehr stark mit unserem Belohnungszentrum verbunden. Nimmt man den Genuss bewusst wahr, sind das Bedürfnis nach Essen und auch das Hungergefühl schneller befriedigt und halten auch länger an.

Und einen recht praktischen Tipp hat die Diätologin noch: "Trinken Sie zuerst einmal einen Schluck Wasser." Denn viele Menschen trinken einfach zu wenig. Spürt man dann ein Gefühl der Leere im Bauch, ist gleich der Reflex da, etwas zu essen – dabei hat man in Wirklichkeit womöglich Durst. Ist der Hunger nach dem Trinken noch da, kann man immer noch essen. Der Vorteil all dieser Tipps: Die helfen nicht nur, ein mögliches Diabetes-Risiko einzudämmen, sie unterstützen ganz generell bei einer gesundheitsfördernden Ernährung – und die tut auf vielen Ebenen gut. (Pia Kruckenhauser, 14.11.2023)