Junge, dunkelhäutige Frau link s in natura, rechts mit Beauty-Filter
Beauty-Filter sind für viele eine lustige Spielerei auf Social Media. Aber tatsächlich kann der exzessive Gebrauch eine komplette Weltsicht verändern, vor allem wenn wir gar nicht wissen, dass Filter eingesetzt wurden.
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Einerseits wächst der Wunsch nach Körpervielfalt, eingelernte und tradierte Schönheitsideale werden zunehmend kritisch hinterfragt. Andererseits lassen sich immer mehr Menschen von Beauty-Filtern in sozialen Netzwerken ködern. Damit können sie etwa die Nase schmaler werden lassen, die Haut feinporiger, den Mund voller aussehen lassen.

Warum finden so viele Menschen solche Anwendungen so spannend? Wie kann sich dadurch der eigene Prototyp von Schönheit verändern? Und ab wann kann das ein Problem sein? Darüber spricht der Psychologe und Forscher Helmut Leder im Interview. Er ist Professor für empirische Ästhetik in der Psychologie an der Universität Wien.

STANDARD: Gängige Schönheitsideale werden heutzutage zunehmend infrage gestellt und aufgebrochen. Trotzdem nutzen unglaublich viele Menschen Beauty-Filter. Warum?

Leder: Die Körper und Gesichter, die wir in den Medien, der Werbung und auf sozialen Netzwerken wie Tiktok und Instagram sehen, sind tatsächlich diverser geworden. Das ist erst einmal begrüßenswert. Gleichzeitig erweckt es den Eindruck, dass sich auch die Schönheitsideale ändern. Beauty-Filter zeigen uns hingegen, dass das so nicht stimmt. Merkmale wie eine schmale Nase, reine, faltenlose Haut, volle Lippen und große Augen finden anscheinend immer noch sehr viele Menschen schön und erstrebenswert. Wir vermuten, dass das auch biologische Ursachen hat.

STANDARD: Können Sie das erklären?

Leder: Die Filter lassen Menschen jünger aussehen. Und jugendliches Aussehen finden wir aus evolutionsbiologischen Gründen anziehend, wir verbinden es mit einem guten Fortpflanzungspotenzial. Dazu zeigt uns der Boom an Beauty-Filtern, wie stark die traditionellen Schönheitsideale in unserer Gesellschaft verankert sind. Diese zu ändern dauert vermutlich mehrere Generationen. Das Problem ist, dass die Filter die Merkmale, die viele als schön empfinden, stark überbetonen. Sie schaffen also Ideale, die für einen Großteil der Menschen gar nicht erreichbar sind.

STANDARD: Und das schlägt vielen wiederum auf die Psyche?

Leder: Genau. Das Posten, Liken und Kommentieren idealisierter Bilder setzt Menschen unter Druck und kann das Selbstwertgefühl mindern. Das fördert Gefühle von Unzulänglichkeit und macht im Extremfall sogar unglücklich oder kann zur Entwicklung einer Essstörung beitragen, das wurde etwa in einer Studie gezeigt. Daran sind dann natürlich nicht allein die Filter schuld, sie liefern jedoch den passenden Nährboden.

STANDARD: Einige Forschende an der Boston University in den USA sprechen von Snapchat-Dysmorphia. Sie meinen damit die Selbstzweifel, die durch das ständige Bearbeiten von Selfies entstehen können. Man hört etwa von jungen Frauen, die sich ohne Filter gar nicht mehr schön finden ...

Leder: Den Begriff kannte ich so noch nicht. Das Phänomen kann ich mir jedoch gut vorstellen. Wenn ich die Fotos, die ich von mir mache, mit Filtern immer wieder korrigiere und manipuliere, schaffe ich ein Ideal von mir selbst, das mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hat. Das führt dann wiederum zu Unzufriedenheit und Selbstzweifeln. Auch aus diesem Grund steigt die Zahl der Schönheitsoperationen vermutlich seit Jahren.

STANDARD: Jugendliche scheinen besonders gefährdet zu sein. Woran liegt das?

Leder: Die Pubertät ist per se eine vulnerable Phase. Junge Menschen emanzipieren sich in dieser Zeit von ihren Eltern, streben nach Autonomie und fragen sich, wer sie sind und wer sie sein wollen. Dazu verändert sich der Körper, die Hormone sind in Aufruhr, das lässt wiederum die Stimmung schwanken. Menschen, deren Selbstwertgefühl noch nicht so stabil ist, versuchen dann möglicherweise, dieses über ihr Aussehen zu stärken. Das ist verbunden mit der Vorstellung, wenn ich schön bin, bin ich glücklich, gehöre dazu und werde gemocht. Das kann ein Grund für Jugendliche sein, ihr Gesicht mit Filtern zu manipulieren. Problematisch ist außerdem, dass die vielen bearbeiteten Gesichter dazu führen können, dass sich unser Prototyp von Schönheit verändert.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Leder: Wir beurteilen Attraktivität anhand einer Art Prototyp, der repräsentiert, was wir als attraktiv empfinden, und nach dem wir uns selbst und die Menschen um uns herum bewerten. Gebildet wird dieser Prototyp durch die Summe der Erfahrungen, die wir im Lauf unseres Lebens machen, also durch die Masse an Gesichtern, die wir sehen. In der Regel finden wir daher durchschnittlich aussehende Gesichter besonders attraktiv, also solche, deren Merkmale durchschnittlich stark ausgeprägt sind: mittelgroße Nase, mittelbreites Kinn und so weiter. Besteht diese Masse an Bildern, aus denen wir unseren Prototyp formen, nun allerdings immer mehr aus künstlich bearbeiteten Gesichtern, entfernt er sich zunehmend von der Realität.

STANDARD: Der Prototyp, auf dessen Grundlage wir die Welt vermessen und unsere Schönheitsideale bilden, spiegelt also nicht mehr den Durchschnitt wider?

Leder: Richtig. Für Jugendliche, deren Prototyp noch nicht so gefestigt ist, ist das natürlich besonders gefährlich. Denn es kann dazu führen, dass sie sich selbst und auch andere als weniger schön empfinden. Mit zunehmender Lebenserfahrung lässt sich das vielleicht wieder etwas korrigieren. Doch dazu bräuchte es wohl viel Zeit und massive Interventionen wie den Verzicht auf künstlich verschönerte Gesichter.

STANDARD: Neu ist dieses Phänomen ja eigentlich nicht. Im Grunde kennen wir bearbeitete Gesichter und unrealistische Körperbilder aus zahlreichen Werbungen, von Spielzeugen wie Barbie-Puppen oder auch aus Filmen von Walt Disney.

Leder: Der Unterschied ist allerdings die schiere Anzahl an Bildern, mit denen wir heutzutage konfrontiert sind, und dass jeder Mensch seine Selfies selbst bearbeiten kann. Das war früher, als wir vielleicht nur an einigen Plakaten von gephotoshoppten Personen vorbeigelaufen sind und danach noch durch eine Modezeitschrift geblättert haben, nicht der Fall. Inzwischen lassen sich außerdem nicht mehr bloß Fotos künstlich manipulieren, sondern auch Videos. Kennzeichnungen wie "Dieses Foto oder dieses Video ist bearbeitet" helfen hier kaum, da unser Gesichtserkennungsprogramm innerhalb von Millisekunden funktioniert und Fotos für Abbildungen der Realität hält.

STANDARD: In Großbritannien hat man Influencerinnen und Influencern im Jahr 2021 sogar verboten, Filter zu benutzen, um bestimmte Effekte von Kosmetikprodukten zu bewerben. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Leder: Das ist zumindest ein Signal. Filter lassen sich jedoch kaum verbieten; tatsächlich ist ja nicht jeder Filter schädlich. Neben Schönheitsfiltern gibt es auch solche, mit denen wir uns älter und faltiger aussehen lassen können, wieder andere verwandeln unser Gesicht in das eines Neugeborenen oder eines Tiers. Das kann durchaus lustig sein.

STANDARD: Kann das Verwenden von Filtern also auch positive Effekte haben?

Leder: Wenn Jugendliche sich fragen, wie sie sind, könnten Filter dabei helfen, verschiedene Identitäten auszuprobieren und sich auszutesten. Ein spielerischer Umgang unterstützt dabei vielleicht sogar, sein Aussehen nicht mehr so wichtig zu nehmen. Das sind aber nur Hypothesen, die Wissenschafter und Wissenschafterinnen noch überprüfen müssen. Wie bei jedem Medium geht es vermutlich auch bei Filtern um die Frage, wie man sie nutzt. Filter an sich sind ja nicht gefährlich. (Stella Marie Hombach, 11.11.2023)