Wien – Es gibt verschiedene Sichtweisen auf die Wirtschaftslage in Österreich. Eine lautet: Es gibt aktuell zwar ein paar Probleme im Land, aber unterm Strich läuft es ganz gut. So steckt zwar die Wirtschaft heuer in einer Rezession, weil Zinsen gestiegen sind und die globale Konjunktur schwächelt. Aber schon im kommenden Jahr soll es wieder bergauf gehen.

Eine andere, pessimistischere Sicht lautet: Da läuft gröber etwas schief, die Krise könnte länger dauern und stärker ausfallen als gedacht. Dieser Theorie dürfte Wirtschaftskammerchef Harald Mahrer anhängen. "Wir hatten bisher in Österreich eine sehr hohe Standortloyalität von Betrieben", sagte Mahrer diese Woche im Gespräch mit dem STANDARD. Doch das beginne sich zu ändern. "Da sollten alle Alarmglocken schrillen."

WKÖ-Chef Harald Mahrer
WKÖ-Chef Harald Mahrer ortet Signale, dass Betriebe dem Standort Österreich den Rücken kehren wollen.
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Konkret ortet der Unternehmervertreter Signale von Betrieben, dem Standort ganz den Rücken kehren zu wollen oder Erweiterungsinvestitionen zumindest nicht mehr in Österreich, sondern woanders zu tätigen. Eine Art Streik der Unternehmer also als Pendant zu Arbeitsniederlegungen der Arbeitnehmer. Studien dazu gibt es für Österreich nicht, sagt Mahrer auf Nachfrage. Er höre die Geschichten unter der Hand, aktuell werde an einer Erhebung gearbeitet. Vor allem drei Dinge seien für die schlechte Stimmung unter den Unternehmern verantwortlich: hohe Energiepreise, lange Behördenwege und fehlende Mitarbeiter. "Zu denken, wir sind ein Land, in dem Milch und Honig fließen und alles super bleibt, weil es in der Vergangenheit so war, wird uns nirgendwo hinführen", so Mahrer.

Fehlen mutige Entscheidungen?

Als Beleg für die These führt er das World-Competitiveness-Ranking der privaten Wirtschaftshochschule IMD in Lausanne an. Im Ranking der attraktivsten Standorte 2023 landete Österreich auf Platz 24, Dänemark belegte Platz eins, nicht zuletzt, weil dort die Pharmaindustrie boomt. Mahrer sieht in der Entwicklung einen Beleg, dass in Österreich mutige Entscheidungen, wenn es um die Absicherung des Standorts gehe, nicht getroffen würden. Das Problem betreffe nicht nur Österreich, sondern auch Deutschland.

Was folgt daraus? Angesichts der bevorstehenden Wahlen 2024 in Österreich will Mahrer eine Debatte darüber führen, ob "bestimmte Dinge künftig mutiger angegangen werden" müssen. Zudem sollte "populistischen Ideen", also "Nebelgranaten", wie etwa einer Arbeitszeitverkürzung, eine Absage erteilt werden. Insbesondere weil eine Vielzahl von "hungrigen" Ländern aufhole und der Wettbewerb für heimische Firmen dadurch tendenziell noch härter werde. (András Szigetvari, 10.11.2023)