Die rund 155.000 bäuerlichen Betriebe haben 2022 gut verdient. Das auch dank gesonderter Zuwendungen wie etwa Teuerungsausgleich, Stromkostenzuschuss, Agrardieselvergütung. Zu viel des Guten? Weit entfernt, sagt Josef Moosbrugger.

STANDARD: Die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe sind im Vorjahr kräftig gestiegen – um 42 Prozent. Davon kann ein durchschnittlicher Arbeitnehmer nur träumen, oder?

Moosbrugger: Das einmalige Ergebnis von 2022 sagt wenig aus. Wir sind damit auf dem Einkommensniveau von 2011. Und umgerechnet unter dem Niveau eines durchschnittlichen Arbeitnehmers.

STANDARD: Das durchschnittliche Jahreseinkommen der unselbstständig Beschäftigten lag bei knapp 38.000 Euro.

Moosbrugger: Wir erleben ein extremes Auf und Ab der bäuerlichen Einkommenssituation. Das erfährt keine jährliche Indexierung, entwickelt sich je nach Marktverlauf unterschiedlich. Das Jahr 2023 bedeutet hohe Kosten in der Produktion und gesunkene Erzeugerpreise. Wir brauchen mehr Mutmachertum für die jungen Bäuerinnen und Bauern. Es geht ja auch darum, dass man die Lebensmittelproduktion im eigenen Land sicherstellen kann.

Kühe auf der Blaa Alm im Ausseerland-Salzkammergut.
Die Agrargelder sind einer der größten Posten im EU-Budget. Geld, das stärker in Klimaschutz und mehr Tierwohl investiert werden soll, fordern viele. Die heimische "grünlandernährte" Kuh sei kein Klimaschädling, sagt Moosbrugger. "Das ist ein falsches Gerücht, das sich hartnäckig hält."
APA/BARBARA GINDL

STANDARD: Wir importieren und exportieren auch im Lebensmittelsektor viel. Ist das nicht Agrarromantik?

Moosbrugger: Die Jahre mit Corona und Russland – Ukraine haben bewiesen, welch ein wichtiger Stabilitätsfaktor die Landwirtschaft ist. Es gab extreme Marktverwerfungen, unterbrochene Warenströme, die Bevölkerung hat aber in der Lebensmittelversorgung nichts davon gespürt. Was haben wir bei der Energie erlebt? Wir sind über Jahre hinweg mit der Strategie, dem Billigsten nachzurennen, in eine Sackgasse gerannt. Den Fehler dürfen wir bei Lebensmitteln nicht machen.

STANDARD: Die Lebensmittelpreise sind aber deutlich gestiegen. Für Wohlhabendere verkraftbar, für sozial Schwächergestellte nicht. Ist es da nicht sinnvoll, wenn der Handel Butter billiger im Ausland zukauft?

Moosbrugger: Man hört ständig von Wünschen und Anforderungen der Gesellschaft und der Politik, wie die Landwirtschaft in Österreich produzieren soll. Nachhaltig, mit Tierhaltungs- und Produktionsstandards, in Familienbetrieben. Da kann ich nicht nur im Regal den Preis vergleichen.

STANDARD: Unsere überwiegend klein strukturierte Landwirtschaft ist vergleichsweise ineffizient. Auch das macht die Produktion teuer.

Moosbrugger: Ich glaube, dass der bäuerliche Familienbetrieb das stabilere Element ist als der große Agrarindustriebetrieb. Familienbetriebe haben einen völlig anderen Bezug zum Umgang mit der Natur, mit den Flächen. Wir sollten nicht hergehen und diese stabile Struktur, dass Österreich in der Form gepflegt bewirtschaftet wird, hinterfragen.

Landwirschaftskammer Präsident Josef Moosbrugger.
Moosbrugger nach dem Lebensmittelgipfel im Vorjahr in Wien. Die landwirtschaftlichen Betriebe seien Garanten für Versorgungssicherheit, sagt er.
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STANDARD: Stabil? Geben nicht jedes Jahr hunderte Betriebe auf?

Moosbrugger: Jeder Betrieb, der zusperrt, tut mir weh. Aber in anderen europäischen Ländern ist der Strukturwandel noch viel rasanter. Warum kämpfe ich so massiv für eine vernünftige Einkommenssituation, warum muss sich ein landwirtschaftlicher Betrieb verstecken, wenn er einmal ein vernünftiges Jahr hat?

STANDARD: Es ist ein teures, bürokratisches System. Das Einkommen kleiner Betriebe kommt zum Großteil aus Förderungen. Bis zur Hälfte des Betriebsgewinns machen diese bei Großen aus. Müsste man nicht im Förderwesen den Reset-Knopf drücken?

Moosbrugger: Das wird es mit mir nicht geben. Wenn die Öffentlichkeit immer höhere Anforderungen und Auflagen stellt, dann hat sie diese Leistungen zu bezahlen. Die Wünsche an die Landwirtschaft gibt es nicht zum billigsten Preis. Die Förderungen sind in Wahrheit Leistungsabgeltungen. Der Anteil des Bauern am Endverkaufspreis ist kontinuierlich gesunken. Die Handelskonzentration in Österreich steigt massiv, und damit der Druck auf die Erzeuger.

STANDARD: Die Agrarflächen schwinden, auch das erzeugt Druck. Kommt jemals eine Bodenstrategie?

Moosbrugger: So weit weg sind wir nicht. Man könnte diskutieren, ob man auf die 2,5 Hektar pro Tag kommt, oder ob ein Kompromiss etwas höher ist. Bisher steht jeder auf seinem Standpunkt – ich mache weiter, weil es Geld in die Gemeinde- oder Landeskassa bringt. Wir können nicht ständig von Nachhaltigkeit, Biodiversität, Artenvielfalt reden, wenn wir die Flächen versiegeln. Wir können nicht von Klimaschutz reden, wenn wir Lebensmittel importieren. Wir müssen in größeren Zusammenhängen denken.

STANDARD: Im Rahmen des Green Deal sind wir in diese Zusammenhänge eingebettet. Wir müssen ja nicht alles in Österreich erfinden, oder?

Moosbrugger: Der Green Deal enthält massive Widersprüche. Ich kann nicht die Lebensmittelproduktion in Europa sichern und ausbauen wollen und gleichzeitig Flächen aus der Nutzung nehmen und Pflanzenschutzeinsatz reduzieren. Da brauchen wir mehr Logik.

STANDARD: Heißt es nicht, wir seien so gut unterwegs? Da müssten wir uns ja keine Sorgen machen.

Ein Landwirt beim Pflügen eines Feldes.
Die Förderungen sind Leistungsabgeltungen, so sieht der Landwirtschaftskammer-Chef das.
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Moosbrugger: Wir sind auf einem besseren Weg als die anderen. Wenn ich sage, wir reduzieren in Österreich die Pflanzenschutzmittelanwendung und nehmen damit die Vernichtung der Ernte in Kauf, dann ist es paradox, dass ich Lebensmittel importiere, die anderswo unter schlechteren Produktionsbedingungen erzeugt worden sind.

STANDARD: Was ist die Lösung? Zurück in die Steinzeit oder abschotten wie die Schweizer?

Moosbrugger: Ich will nicht zurück in die Steinzeit. Wir bekennen uns zur Nachhaltigkeit. Aber wir reden über Regenwaldabholzung, und dann holen wir brasilianisches Rindfleisch. Was ergibt das für einen Sinn? Nehmen wir doch das grünlandbasierte Fleisch aus Österreich.

STANDARD: Auch nicht immer lupenrein, wie man an den Skandalen sieht.

Moosbrugger: Weit weg, wo man nichts sieht, gibt es keine Probleme?

STANDARD: Weiß man nicht. Fleisch kommt aber ohnehin bald aus der Petrischale. Brauchen wir die Landwirte in Zukunft überhaupt noch?

Moosbrugger: Das ist nicht der Zukunftsweg. Was tun wir mit dem Gras im Bergland? Da kann ich keinen Ackerbau betreiben. Die Lawinenverbauungskosten würden massiv steigen, das Land wäre nicht mehr besiedelbar. Wir haben die eleganteste Lösung in Österreich, die es irgendwo gibt für die Zukunft: den Wiederkäuer, der das zu Milch und Fleisch, zu wertvollen, natürlichen Lebensmitteln veredelt. In der Schale Fleisch zu produzieren, das halte ich für so was von unnatürlich.

STANDARD: Leider produziert die Kuh Methan und ist ein Klimaschädling.

Moosbrugger: Die grünlandernährte Kuh ist kein Klimaschädling. Das ist ein falsches Gerücht, das sich hartnäckig hält. Wenn man in der Klimabilanz etwas verändern will, muss man bei der fossilen Energie den Hebel ansetzen, nicht bei der vermeintlichen Klimakiller-Kuh. Wenn ich bei Lebensmittelproduktion als Erstes über Reduktion nachdenke, dann ist das schon pervers. (Regina Bruckner, 13.11.2023)