Alkoholismus, Flaschen, Schnaps, Gesundheit
Die Sucht nach Alkohol hat zerstörerische Folgen für das Gehirn. Wer es schafft, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen, kann sich Hoffnung auf eine vollständige Erholung machen.
Foto: APA/Getty Images via AFP/GETTY I

Für Menschen, die nach einer Alkoholkrankheit zurück in ein normales Leben finden wollen, bedeuten Beobachtungen an der Stanford University School of Medicine in Kalifornien womöglich gute Nachrichten: Eine aktuelle Studie – basierend allerdings auf vergleichsweise wenigen Messungen – lieferte einen Hinweis darauf, dass sich vom schweren Alkoholmissbrauch angegriffene Gehirne verhältnismäßig schnell wieder erholen können. Ob dabei auch die verloren gegangenen kognitiven Fähigkeiten zurückkehren, darüber konnte die Untersuchung keine Aussage treffen.

Bei Menschen mit fortdauerndem hohem Alkoholkonsum wird die Großhirnrinde (Kortex), die faltige äußere Schicht des Gehirns, die für viele höhere kognitive Funktionen unverzichtbar ist, im Laufe der Zeit dünner. Doch gelingt es einem Menschen, dauerhaft mit dem Trinken aufzuhören, kann man den Verlust binnen rund sieben Monate wieder zurückgewinnen. Eine entsprechende Untersuchung würde an vielen Punkten praktisch keinen Unterschied zwischen dem Kortex eines Alkoholikers und dem eines gesunden Menschen nachweisen können.

Hohe Rückfallquote

Bereits frühere Forschungen hatten gezeigt, dass sich einige Regionen des Gehirns erholen können, wenn jemand mit dem Trinken aufhört. Allerdings herrschten Unklarheiten darüber, wie schnell eine solche Erholung ablaufen kann und wie umfangreich sie ist. "Die wenigen Längsschnittstudien, die Veränderungen der kortikalen Dicke während der Abstinenz untersuchen, beschränken sich auf den ersten Monat der Nüchternheit", schrieben Hauptautor Timothy Durazzo und sein Team im Fachjournal "Alcohol".

Laut dem Gesundheitsministerium sind in Österreich rund 340.000 Menschen alkoholabhängig. Die Dunkelziffer dürfte freilich deutlich höher liegen. Aus dem Teufelskreis, die diese Sucht mit sich bringt, wieder herauszukommen, ist schwierig. Mehr als 70 Prozent erleiden schon im ersten Jahr nach dem Entzug einen Rückfall. Die Veränderungen der Gehirnstruktur und -funktion während des chronischen Alkoholkonsums könnten bei dieser hohen Rückfallquote eine Rolle spielen.

Weitere Faktoren

Beispielsweise kann der präfrontale Kortex – ein Bereich, der an der Planung und Entscheidungsfindung beteiligt ist – im Verlauf der Erkrankung immer mehr an Aktivität verlieren, was es den Betroffenen schwerer macht, vernünftige und gesunden Entscheidungen zu treffen. Durazzo und seine Kolleginnen und Kollegen berücksichtigten bei ihrer Untersuchung auch andere wichtige Faktoren, etwa ob der jeweilige Patient rauchte, an psychiatrischen Erkrankungen litt oder andere Drogen konsumierte.

Insgesamt nahmen 88 alkoholkranke Personen an der Studie teil, die nach etwa einer Woche, einem Monat und 7,3 Monaten Abstinenz Gehirnscans unterzogen wurden. Im Verlauf der Studie kamen einige Teilnehmer erst nach einem Monat hinzu, wodurch bei 23 Personen die Scans nicht nach einer Woche durchgeführt wurden. Nur 40 der Teilnehmerinnen und Teilnehmer blieben während des gesamten Zeitraums alkoholabstinent. Außerdem wurden auch die Gehirne von 45 Personen gescannt, die noch nie an Alkoholismus erkrankt waren.

Magnetresonanztomografien zeigten eine Regeneration in der Großhirnrinde, nachdem die untersuchten alkoholkranken Testpersonen mit dem Trinken aufgehört hatten.
Foto: imago/Science Photo Library

Signifikante Erholung

Zum Einsatz kam eine Variante der Magnetresonanztomografie (MRT), die besonders geeignet ist, klare Bilder von der inneren Struktur des Gehirns zu liefern. Die Forschenden erfassten die Dicke des Kortex in 34 Regionen und ermittelten den Durchschnitt der Messungen in der linken und rechten Gehirnhälfte. Dabei zeigte sich: Die Regeneration der Großhirnrinde war bei den nicht rückfälligen Alkoholkranken nach 7,3 Monaten ohne Alkohol verblüffend weit fortgeschritten.

In 25 der 34 Regionen war die Erholung statistisch signifikant. Bei 24 unterschied sich die Dicke des Kortex im Durchschnitt nicht von jener der gesunden Menschen. Alle 34 vermessenen Regionen wiesen bei den Alkoholkranken die größten Veränderungen zwischen einer Woche und einem Monat nach dem Beginn der Abstinenz auf. Nach einem Monat verlangsamte sich die Regeneration. Ein hoher Blutdruck und ein hoher Cholesterinspiegel sowie Nikotinsucht verlangsamten die Erholung des Gehirns.

Ermutigende Ergebnisse

Keinen Einfluss schienen dagegen aktueller Drogenmissbrauch, psychiatrische Störungen oder früherer Zigarettenkonsum auszuüben. Das Team räumt ein, dass man die Ergebnisse aufgrund der geringen Stichprobengröße und einer fehlenden Vielfalt an Testpersonen wohl noch nicht verallgemeinern könne. Dennoch seien die Beobachtungen sehr ermutigend.

"Weitere und größere Längsschnittstudien sind erforderlich, um eine tatsächliche neurokognitive und psychosoziale Erholung mit den Veränderungen an der Großhirnrinde in Zusammenhang zu bringen", schreibt das Team. Dabei müssten auch diesmal nicht berücksichtigte Faktoren wie Genetik, körperliche Aktivität und die Gesundheit von Leber und Lunge ins Kalkül gezogen werden. "Immerhin aber liefern unsere Daten klinisch relevante Informationen über die positiven Auswirkungen anhaltender Nüchternheit auf die Morphologie des menschlichen Gehirns", schlussfolgert Durazzo. (Thomas Bergmayr, 14.11.2023)