Die jüngeren Generationen verändern gerade die Arbeitswelt. Quiet Quitting, Teilzeit, Viertagewoche: Arbeitsbedingungen und gute Bezahlung sind wichtiger geworden als sich über den beruflichen Erfolg zu definierten oder damit anzugeben, wie viele Überstunden man geleistet hat. Work-Life-Balance ist nicht mehr ein leeres Schlagwort, sie wird eingefordert, ernst genommen, durchgesetzt. Das sind erfreuliche, begrüßenswerte Entwicklungen. Wer sie mit einem "Die sind nur zu faul" abtut, macht es sich zu einfach und sieht nicht die Zeichen der Zeit. Doch das ist eine andere Geschichte.

Der neuen Arbeitsmoral entspannt und verständnisvoll zu begegnen und sie in das eigene Leben und Arbeitsleben zu integrieren ist allerdings ein Privileg. Während der vermeintliche Generationenkonflikt in Diskussionssendungen, am Stammtisch und bei Familienfeiern diskutiert wird, merke ich, dass ich für alle Argumente gleichermaßen Verständnis aufbringen kann und gleichzeitig Schwierigkeiten habe, mein großes Privileg, mich für weniger Arbeit zu entschieden, anzunehmen.

Der Aufstieg

Als Arbeiterkind und Bauernenkelkind habe ich beobachtet, was harte körperliche Arbeit bedeutete. Ich habe gesehen, was sie mit der Gesundheit und oft auch mit dem Selbstbild der Menschen anrichtet. Ich selbst musste diese Arbeit nie leisten. Mein Vorfahren haben sich abgeackert, damit ich es "mal besser hab". Diese Erfahrung teile mit ganz vielen anderen Bildungsaufsteigern und -aufsteigerinnen. Wir haben es jetzt besser. Auf uns warten keine Nachtschichten, keine Akkordarbeit am Fließband und keine Schwielen an den Händen.

Als den Millennials erzählt wurde, dass sich Leistung lohnt, war uns Arbeiterkindern unter ihnen klar, dass das nur bedeuten kann, dass wir noch mehr leisten mussten, als unsere hart arbeitenden Eltern. Aber auch mehr als unsere Gleichaltrigen. Für Arbeiterkinder, die aus Familien mit Migrations- oder Fluchtgeschichte stammen, ist diese Mehrleistung sogar als überlebenswichtiger Imperativ vorgelebt geworden. Arbeit zu bekommen und sie zu behalten war oft an Aufenthaltstitel gebunden. Dieses Damoklesschwert hängt dann als emotionale Last über den nachfolgenden Generationen, auch wenn die Gefahr längst gebannt ist und man inzwischen Staatsbürgerrechte hat.

Die Existenzangst

Mehr zu leisten, besser zu sein als die anderen, es allen zu zeigen gehörte jahrzehntelang zur den zentralen Werten vieler Familien aus dem Arbeitermilieu und den Migrantencommunitys. Die Kinder, die es "mal besser haben sollten", sehen dieses "Bessere" nun oft nicht mehr in der Anhäufung von materialen Werten, sondern in einem Alltag, der auch Platz für Reisen oder Zeit für die Familie erlaubt. Vereinfacht gesagt: weniger Schuften, mehr Freizeit. Diese neuen Werte teilen wir mit zahlreichen anderen Menschen unserer Generation. Mit einem kleinen Unterschied: Die erste Generation der Bildungsaufsteiger hat oft kein Erbe zu erwarten, keine Rücklagen, das hart erarbeitetet Eigenheim der Elterngeneration steht oft unbewohnt in der alten Heimat.

Dazu kommt das schon erwähnte emotionale Erbe. Die Familienwerte und die Sagen von Leistung und Aufstieg müssen infrage gestellt werden. Quiet Quitting fühlen sich dann oft wie Faulheit und Verrat an diesen Werten an, auch wenn es in Wahrheit und per Definition bedeutet, dass man als Arbeitnehmer nicht mehr leistet als das, wofür man bezahlt wird. Die Existenzängste, die man von den Eltern "erlernt" und mitgenommen hat, müssen einem Realitätscheck im eigenen Leben unterzogen werden: Wir werden in diesem Land nicht mehr nur geduldet und nur dann geschätzt, wenn wir mehr als die anderen leisten. Das ist das Privileg, das unsere Vorfahren für uns erarbeitet haben. (Olivera Stajić, 16.11.2023)