Bisher unveröffentlichte Dokumente lassen den einstigen Wechsel von Eden Hazard zu Chelsea in einem neuen Licht erscheinen. Sie enthüllen geheime Millionenzahlungen des Oligarchen Roman Abramowitsch.
Collage: STANDARD/Friesenbichler, Fotos: Imago (2), EPA

Eden Hazard war im Sommer 2012 einer der begehrtesten Spieler der Welt. Bei Lille entschied der Belgier mit seinen Dribblings und dem präzisen Abschluss Spiele fast allein. Er hatte die Nordfranzosen zur Meisterschaft geführt, war das offensive Herz der Mannschaft. Ein kommender Superstar, den etliche Topklubs damals verpflichten wollten. Auch Roman Abramowitsch wollte ihn unbedingt zu seinem Chelsea FC holen – koste es, was es wolle.

Und so soll der russische Oligarch dem damals 21-Jährigen am Telefon versprochen haben: "Ich weiß nicht, wie viel du in Lille verdienst, aber ich werde dein Gehalt verdreifachen." So beschreibt es Hazards damaliger Trainer bei Lille in seiner Autobiografie.

"Unsinn" nannte das vor zwei Jahren John Bico, Hazards damaliger Berater: Er selbst sei entscheidend dafür gewesen, dass Hazard zu Chelsea wechselte, sagte er gegenüber einer belgischen Zeitung. Denn eigentlich, so Bico, wollte Hazard zu Arsenal. Bico habe sein Veto eingelegt, und Abramowitsch bekam seinen Wunschspieler, Hazard wechselte für 35 Millionen Euro zu Chelsea.

Eine schwammige Gegenleistung

Bislang unveröffentlichte Dokumente lassen Bicos Veto und Hazards Wechsel in einem neuen Licht erscheinen. Sie enthüllen geheime Millionenzahlungen an Bico. Allerdings nicht von Chelsea, wie es üblich und erlaubt gewesen wäre. Sondern vom mittlerweile sanktionierten Abramowitsch selbst. Und zwar versteckt und mutmaßlich verboten über eine seiner zahllosen Briefkastenfirmen.

Und das lief, etwa bei Hazard, dann so: Im März 2013, neun Monate nach dem für Chelsea und Abramowitsch so wichtigen Transfer von Hazard, schließt eine Briefkastenfirma aus dem Reich des Oligarchen einen Beratungsvertrag mit einer dubiosen Firma aus den Emiraten ab. Der Besitzer des Unternehmens aus der Wüste: John Bico.

Bico erhielt schlussendlich offenbar 6,55 Millionen Euro von Abramowitsch. Die Gegenleistung ist schwammig. Von "Beratungsdiensten im Bereich der Sportforschung und -beratung" ist im Vertrag die Rede. Bico ließ eine Anfrage dazu unbeantwortet. Ob es tatsächliche Beratungsleistungen von Bico für Abramowitsch gab, bleibt damit unklar – und es bleibt der Verdacht, dass Bico mit den Millionen aus der Privatkasse des Oligarchen dafür belohnt wurde, Hazard vom Wechsel zu Chelsea überzeugt zu haben.

Chelsea musste bereits Millionen zahlen

Der Fall Bico scheint exemplarisch zu sein für ein System der schwarzen Kassen, das Abramowitsch wohl über Jahrzehnte bei Chelsea etabliert hat. Über Briefkastenfirmen wurden Kosten übernommen, die der Verein selber tragen und hätte ausweisen müssen. So besagen es die Regeln des englischen und des europäischen Fußballverbands. Stattdessen zahlte Abramowitsch selbst. Und verschaffte seinem Verein einen verbotenen Wettbewerbsvorteil. Es folgten Meisterschaften und der zweimalige Gewinn der Champions League.

Jetzt wird gegen den Verein ermittelt, den Abramowitsch im März 2022 in Erwartung seiner Sanktionierung zum Verkauf angeboten hatte. Es drohen hohe Geldstrafen und sogar Punktabzüge – die vielleicht schmerzhafteste Strafe, die es für einen Fußballverein gibt. Einige verdächtige Zahlungen haben die neuen Eigentümer, eine US-Investorengruppe, im Zuge der Übernahme offenbar selbst entdeckt und sich bei Fußballverbänden wegen "unvollständigen Finanzinformationen" angezeigt. An die Uefa hat Chelsea deswegen bereits zehn Millionen Euro Strafe gezahlt.

Es geht um Boni an Spieler, Trainer und ihr Umfeld, um das heimliche Sponsoring anderer Klubs im selben Wettbewerb. Recherchen des STANDARD, des Spiegel und des Guardian gemeinsam mit weiteren Medien, dem Investigativbüro Paper Trail Media und dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) bieten nun die bislang tiefsten Einblicke in dieses System. Sie basieren auf Dokumenten, die im Rahmen der "Cyprus Confidential"-Recherche ausgewertet wurden.

Ex-Chelsea-Trainer Antonio Conte.
Auch rund um Antonio Contes Vertragsverlängerung bei Chelsea tauchen in den Dokumenten fragwürdige Zahlungen an einen Berater auf.
Reuters/Craig Brough

Sie zeigen, dass eine Briefkastenfirma von Abramowitsch im Juli 2017 beschloss, Anteile an der Firma eines Beraters zu erwerben, der in Medien als Vertrauter des damaligen Chelsea-Coachs Antonio Conte zitiert wurde und während Contes Chelsea-Zeit auch an Vertragsverhandlungen beteiligt war. Der Trainer bekam nach dem Gewinn der Meisterschaft einen neuen Vertrag mit saftiger Gehaltserhöhung, die Laufzeit blieb jedoch gleich. Der Berater erhielt durch den Briefkasten-Deal umgerechnet rund 11,3 Millionen Euro. Ein versteckter Bonus für den Berater oder sogar Conte selbst? Dazu schweigen die Beteiligten auf Anfrage.

Andere bislang geheime Dokumente deuten darauf hin, dass Abramowitsch seinen russischen Lieblingsverein ZSKA Moskau weiter unterstützt hat, obwohl die Uefa bereits 2004 aufgrund hoher Sponsorenverträge den Einfluss des Oligarchen dort untersucht hatte. Laut den geheimen Unterlagen vergab er ab 2008 Darlehen im Ausmaß von rund 300 Millionen Dollar an ZSKA-Besitzer Evgeny Giner. Abramowitsch dürfte sogar einen 9,5-Millionen-Euro-Transfer von ZSKA Moskau explizit finanziert haben. Das ist ein Problem, weil Chelsea und ZSKA in europäischen Wettbewerben aufeinandergetroffen sind – deshalb darf niemand zwei Vereine kontrollieren.

STANDARD-Recherchen legen nahe, dass auch der mittlerweile sanktionierte Milliardär Suleiman Kerimow und sein ehemaliger Verein Anschi Machatschkala profitiert haben. Kerimow pumpte ab 2011 haufenweise Geld in den Verein in der russischen Provinz Dagestan, holte große Namen wie den brasilianischen Weltmeister Roberto Carlos oder den kamerunischen Stürmerstar Samuel Eto'o. Der Verein fuhr kurzzeitig Erfolge ein, ehe Kerimow das Budget wieder kräftig kürzte. Anschi existiert mittlerweile nicht mehr. Eto'o und der brasilianische Flügelspieler Willian waren von Anschi zu Chelsea gewechselt; bislang unbekannte Dokumente enthüllen nun Geldflüsse von mindestens 15 Millionen Euro von Abramowitsch-Firmen an das Kerimow-Umfeld. Der wollte sich dazu nicht äußern.

Die Enthüllungen werfen abermals ein neues Licht auf die Ära Abramowitsch beim FC Chelsea, der durch seine Titelgewinne in der Champions League 2012 und 2021 zum fixen Bestandteil der europäischen Klubelite geworden war. Es deutet viel darauf hin, dass Chelsea durch die Zahlungen des Milliardärs und seiner Briefkastenfirmen Regeln gebrochen hat. Und das dürfte Folgen haben. Der Fußballfinanzexperte Kieran Maguire hält eine Geldstrafe oder einen Punktabzug für Chelsea für möglich. Damit könne die Liga ein "abschreckendes Beispiel setzen". Ein Pressesprecher des FC Chelsea betonte, dass die Vorwürfe den ehemaligen Klubchef Abramowitsch betreffen würden und "mit keiner Person zu tun haben, die aktuell im Verein arbeitet". Die Ära von Abramowitsch ist beendet. Die Aufarbeitung hat erst begonnen. (Rob Davies, Simon Lock, Jan Michael Marchart, Bastian Obermayer, Timo Schober, Christoph Winterbach, 15.11.2023)