Beginnen wir ausnahmsweise mit einem kleinen Quiz. Von wem könnte das folgende Zitat stammen? "Das populäre Narrativ des Klimawandels zeigt eine gefährliche Korrumpiertheit der Wissenschaft und bedroht die Weltwirtschaft sowie das Wohlergehen von Milliarden von Menschen. Eine fehlgeleitete Klimaforschung metastasierte zu einer umfassenden sensationsjournalistischen Pseudowissenschaft. Diese Pseudowissenschaft wiederum ist zum Sündenbock für eine Vielzahl anderer, damit nicht zusammenhängender Missstände geworden."

Vermutlich tippen Sie angesichts der Radikalität der Polemik auf einen rechtspopulistischen Politiker oder einen rabiaten Vertreter der Erdölindustrie. Tatsächlich stammen die Sätze vom US-amerikanischen Experimentalphysiker John Clauser, dem letztjährigen Nobelpreisträger für Physik, der sich die wichtigste Auszeichnung in der Wissenschaft mit Anton Zeilinger und Alain Aspect teilte. In einer Woche, am 10. Dezember, werden die diesjährigen Preise feierlich verliehen.

John Clauser, Physik-Nobelpreisträger mit zweifelhaften Ansichten zur Klimaforschung
John Clauser (Nobelpreisträger für Physik 2022) bezeichnet die Klimaforschung als Pseudowissenschaft.
APA/AFP/TT NEWS AGENCY/CLAUDIO B

Unter den Klimawandelleugnern stieg Quantenphysiker Clauser prompt zu einem der wichtigsten Kronzeugen auf. So machte ihn der konservative US-Thinktank "CO2 Coalition", dessen Zweck in der Anzweiflung des menschengemachten Klimawandels besteht, zu seinem Vorstandsmitglied.

Leugner des Klimawandels

Clauser ist nicht der erste Physiknobelpreisträger, der den weitestgehenden wissenschaftlichen Konsens in der internationalen Klimaforschung leugnet. Schon einige Jahre vor ihm ließ der norwegisch-amerikanische Physiker Ivar Giaever mit ähnlichen steilen oder besser: mehr als umstrittenen Thesen aufhorchen. Die beiden verbindet dabei noch mehr: Auch der mittlerweile 94-jährige Giaever wurde wegen seiner Ausritte von einem US-Thinktank, dem rechtskonservativen und verschwörungsideologischen Heartland Institute, als Experte beigezogen.

Ivar Giaever, Physiknobelpreisträger
Ivar Giaever (Nobelpreisträger für Physik 1973) bestreitet den menschengemachten Klimawandel.
imago/SKATA

Mit Clauser ist er zudem einer der prominentesten Unterzeichner der Deklaration "There is no climate emergency", die von der niederländischen Climate Intelligence Foundation (kurz: Clintel) veröffentlicht wurde, deren Zweck ebenfalls darin besteht, Zweifel am menschengemachten Klimawandel zu säen.

Schließlich gibt es noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den beiden Laureaten: Sie haben keine nachgewiesene Expertise in Sachen Klimaforschung und in diesem Gebiet keine einschlägigen Publikationen vorzuweisen. Das gilt im Übrigen auch für die meisten der Wissenschafterinnen und Wissenschafter unter den über 1.600 Personen, die bis vor einigen Monaten die erwähnte Clintel-Deklaration unterzeichneten – und dafür auch auf österreichischen Desinformationskanälen wie Auf1 oder tkp.at gefeiert wurden.

Auch Laureaten können irren

Darf sich ein Wissenschaftsjournalist anmaßen, Nobelpreisträger wegen gefährlicher Falschinformation zu kritisieren? Ja, selbstverständlich – wenn nämlich die überwältigende Mehrheit der Fachleute, die hauptberuflich in dem Bereich forschen, seit Jahrzehnten von der gegenteiligen These überzeugt ist. Und zumal Clauser und Giaever nicht die ersten Nobelpreisträger sind, die sich auf Abwege begaben und so ihre Reputation mehr oder weniger nachhaltig beschädigten.

Manche begründeten sogar eigene Pseudowissenschaften. Bekanntestes Beispiel dafür ist der deutsche Physiker Philipp Lenard, der zum Zeitpunkt der Nobelpreisverleihung 1905 übrigens noch österreichisch-ungarischer Staatsbürger war. Gemeinsam mit seinem Kollegen Johannes Stark (Physiknobelpreis 1919) kritisierte der überzeugte Antisemit und Nazi-Parteigänger jene damals neuen Entwicklungen in der Physik, die sie von Forschern wie Albert Einstein dominiert sahen und die sie als abstrakt und jüdisch denunzierten.

Repräsentant der
Philipp Lenard (Nobelpreis für Physik 1905) war Miterfinder der "Deutschen Physik".
gemeinfrei

Nazi-Pseudowissenschaft

Ihr Gegenprogramm nannten sie Deutsche (oder Arische) Physik, die sich durch Anschaulichkeit auszeichne. Grundannahme Lenards war, dass Wissenschaft, "wie alles, was Menschen hervorbringen, rassisch, blutmäßig bedingt" sei. Rund 30 Kollegen schlossen sich dieser Pseudowissenschaft an, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 auch recht einflussreich wurde. Erst durch eine öffentliche Erklärung im Jahr 1940, in der Lenard, Stark und Co die Tatsachen der modernen Physik anerkennen mussten, schwand ihre Bedeutung. Und mit dem Ende des Nationalsozialismus 1945 war es dann auch mit der Deutschen Physik vorbei.

Ebenfalls eine Grenzwissenschaft begründete der zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling. Der Chemie- und Friedensnobelpreisträger war im höheren Alter davon überzeugt, dass man mit der Gabe von extrem hohen Vitamin-C-Dosen Krebs vorbeugen kann, und entwickelte daraus die sogenannte orthomolekulare Medizin. Ihre Grundannahme: Die Verabreichung von Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und Fettsäuren kann Krankheiten therapieren oder überhaupt vermeiden.

Chemie- und Friedensnobelpreisträger Linus Pauling
Linus Pauling (Nobelpreis Chemie 1954, Nobelpreis für Frieden 1963) begründete die orthomolekulare Medizin.
IMAGO/TT

Evidenzbasierte Nachweise der Wirksamkeit dieser Methode fehlen zwar weitgehend, dennoch vergibt die Ärztekammer entsprechende Spezialdiplome – nach einer Ausbildung bei der Österreichischen Gesellschaft für orthomolekulare Medizin.

Während Pauling seine Reputation auch posthum nicht vollends einbüßte, hat der französische Medizinnobelpreisträger Luc Montagnier in den letzten Jahren vor seinem Tod 2022 beeindruckende Anstrengungen unternommen, sich selbst zu diskreditieren. Der Entdecker des HI-Virus behauptete unter anderem, dass sich Aids ohne Medikamente heilen lasse, dass es so etwas wie ein Gedächtnis des Wassers geben könnte – und damit auch einen Wirkmechanismus für Homöopathie. Und während der Pandemie entwickelte sich Montagnier zum Gegner der Covid-19-Impfungen und behauptete, dass sie neue Varianten hervorbringen würden.

Medizin-Nobelpreisträger Luc Montagnier
Luc Montagnier (Nobelpreis für Medizin 2008) fiel durch viele fragwürdige Behauptungen über Viren auf.
imago/SKATA

Vorliebe für Fragwürdiges

Die Liste der wissenschaftlichen Nobelpreisträger auf Abwegen ist natürlich deutlich länger. Zu erwähnen wären etwa noch Brian Josephson, der nach seinem Physiknobelpreis (übrigens gemeinsam mit Ivar Giaever 1973) grenzwissenschaftliche Forschungen in Parapsychologie, Kalter Fusion und Homöopathie unterstützte. Der exzentrische Biochemiker Kary Mullis wiederum, der den Chemienobelpreis 1993 erhielt, bestritt unter anderem den Zusammenhang von Aids und HIV – obwohl das wissenschaftlich längst außer Zweifel stand. Auch zum Thema Ozonloch und Klimawandel hatte er Ansichten, die sich nicht mit den allgemein akzeptierten Erkenntnissen der Wissenschaft deckten.

Ob Nobelpreisträger nach Erhalt der Auszeichnung im Vergleich zu anderen Forschenden überdurchschnittlich stark dazu neigen, fragwürdige Behauptungen aufzustellen, ist meines Wissens noch nicht wissenschaftlich untersucht worden. Offensichtlich ist aber, dass diesen mitunter auch grundfalschen Behauptungen eben wegen der Nobelpreisträgerschaft besondere Aufmerksamkeit zuteilwird – und dass selbst die klügsten Menschen gewaltig irren können. Was zu beweisen war. (Klaus Taschwer, 3.12.2023)