Konzentration, Flynn-Effekt
Das Konzentrationsvermögen von Erwachsenen hat in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen. Bei Kindern sah das Ergebnis allerdings anders aus, ebenso in deutschsprachigen Ländern.
Foto: AFP/FREDERICK FLORIN

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts ging die Intelligenzkurve der Menschen in vielen Industrienationen der Welt steil nach oben. Das hat eine wachsende Zahl an Studien für viele einzelne Länder in den vergangenen Jahren nachgewiesen. Bekannt ist diese Entwicklung als Flynn-Effekt; die Bezeichnung geht auf den neuseeländischen Politologen James Flynn zurück, der das Phänomen 1984 erstmals in den USA nachwies.

Schwächelnder Flynn-Effekt

Mittlerweile scheint sich die Kurve allerdings etwas abgeflacht zu haben. Ungefähr zur Jahrtausendwende schien der Durchschnitts-IQ-Zuwachs nämlich in einigen untersuchten Ländern zu stagnieren, manche Länder verzeichneten sogar einen kleinen Einbruch bei den durchschnittlichen Intelligenzwerten.

Was sowohl den Anstieg der Durchschnittsintelligenz als auch die rückläufige Entwicklung bewirkt hat, darüber lässt sich vorerst nur mutmaßen. Fachleute haben jedoch viele Hinweise gefunden, dass die Genetik dabei keine Rolle spielt, sondern vielmehr Umwelteinflüsse wie Veränderungen bei der Bildung und bei der Ernährung verantwortlich sind.

21.000 Personen aus 32 Ländern

Einen durchwegs positiven Verlauf hat in den letzten 20 bis 30 Jahren dagegen die Konzentrationsfähigkeit von Erwachsenen genommen. Zu diesem Schluss kam eine Metastudie eines Teams um Denise Andrzejewski von der Universität Wien. Wie die Forschenden nun im Fachjournal "Personality and Individual Differences" berichten, sei dies ein wichtiger Hinweis darauf, dass auch die Aufmerksamkeit dem Flynn-Effekt unterworfen ist.

Grundlage der Arbeit sind Daten aus 179 Studien mit insgesamt mehr als 21.000 Personen aus 32 Ländern, darunter die USA, Deutschland, Österreich und die Schweiz. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten zwischen 1990 und 2021 den d2-Test durchgeführt. Das standardisierte psychologische Testverfahren beurteilt die Fähigkeit zur selektiven und anhaltenden Aufmerksamkeit.

Flynn-Effekt, Konzentration, Grafik
Die Grafik zeigt die Entwicklung der Konzentrationsfähigkeiten im Untersuchungszeitraum bei Kindern und Erwachsenen, aufgeschlüsselt nach Einzelaspekten (A: Konzentration insgesamt, B: Effektivität der Tests, C: Geschwindigkeit, D: Fehlerquote).
Grafik: Denise Andrzejewski et al./Personality and Individual Differences

Der d2-Test

Bei diesem Verfahren zur Untersuchung der Konzentration müssen die Testpersonen in 47 Zeichen langen Zeilen binnen einer vorgegebenen Zeitspanne jene Kleinbuchstaben d und p herauspicken, die mit bestimmten Markierungen versehen sind. Der Vergleich der Ergebnisse dieser Tests aus den letzten Jahrzehnten zeigte eindeutig eine Verbesserung der Konzentrationsleistung für den Untersuchungszeitraum.

Interessanterweise betrifft diese Steigerung nur Erwachsene. Bei Kindern hingegen konnte keine entsprechende Entwicklung beobachtet werden. Zwar wurden die Kinder über die Jahre hinweg immer schneller bei der Lösung der Aufgabe, sie machten aber auch mehr Fehler.

Deutschsprachige Länder sind anders

Andrzejewski und ihre Kolleginnen und Kollegen haben Vermutungen, woran das liegen könnte: Möglicherweise gibt es eine wachsende Tendenz, Leistung eher an der Geschwindigkeit als an der Genauigkeit zu messen. Impulsives Prüfverhalten, das auf eine größere gesellschaftliche Fehlertoleranz zurückgeht, könnte ebenfalls eine Rolle dabei spielen, so die Forschenden.

Bemerkenswert war darüber hinaus, dass sich die Ergebnisse in deutschsprachigen Ländern von den Resultaten anderer Regionen unterschieden. Die Kinder machten dort im Verlauf des Untersuchungszeitraums nämlich nicht mehr Fehler, sondern weniger. Dafür nahm die Konzentrationsfähigkeit der Erwachsenen kaum zu. Insgesamt jedoch ist das Team überzeugt, dass die Steigerung bei der Aufmerksamkeit zum Anstieg der Intelligenz beiträgt und den eigentlichen Flynn-Effekt verstärkt. (tberg, 20.11.2023)