António Costa hinter dem Rednerpult.
Der Sozialist António Costa trat wegen der Anschuldigungen vom Amt des Premierministers zurück.
IMAGO/Pedro Rocha

"Erstmals in der Geschichte unserer Freiheit beobachten wir eine schwerwiegende negative Verbindung zwischen Justiz und Politik", bringt Cândida Almeida in einer Kolumne zum Ausdruck, was viele ihrer portugiesischen Landsleute denken, nachdem die Staatsanwaltschaft einen schweren Verfahrensfehler hat einräumen müssen. Der angebliche Beweis, dass der sozialistische Premier António Costa in mutmaßliche Korruptionsfälle bei der Vergabe von Lizenzen für Lithiumbergwerke und andere Großprojekte verstrickt ist, beruht auf der fehlerhaften Abschrift eines abgehörten Telefongesprächs. Dort war nicht – wie behauptet – von Premier António Costa die Rede, sondern von Wirtschaftsminister António Costa Silva.

Die Ermittler hatten den zweiten Nachnamen einfach nicht in die Transkription übernommen. Von den Ermittlungen gegen Costa, der umgehend von seinem Amt zurücktrat, bleibt somit nichts. Almeida, Autorin der empörten Kolumne in der Tageszeitung "Jornal de Noticias" mit dem Titel "Die erstickte Demokratie", leitete einst selbst die oberste Strafverfolgungsbehörde. Sie wirft nun der Staatsanwaltschaft vor, das Justizgeheimnis verletzt zu haben, indem Ermittlungsdetails durchgesickert seien. Das habe "unter der Ägide verschiedener TV-Kanäle" die "Justiz der öffentlichen Plätze" schnell ein Urteil fällen lassen.

Jetzt, nur eine Woche nach der Durchsuchung des Regierungssitzes, zweier Ministerien und 38 weiterer Anwesen stürzt auch der Rest des Ermittlungsverfahrens wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die fünf Verhafteten, darunter Vitor Escária, Kabinettschef des Premiers, und Lacerda Machado, Unternehmer und Freund Costas, wurden auf freien Fuß gesetzt, wenn auch teilweise mit Auflagen. Das Gericht sieht keine Hinweise für "Gegenleistungen für konkretes Verhalten", die Haft sei "unverhältnismäßig". Es wird sich zeigen, ob letztendlich mehr als übliche Lobbyarbeit übrig bleibt.

Neuwahlen im März

"Es ist zu klären, warum und mit welchem Ziel die Frau Oberstaatsanwältin in den Regierungspalast ging", erhebt Almeida einen schweren Vorwurf gegen die Ermittlungsbehörde. Denn der Schaden ist angerichtet. Der konservative Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa hat das Parlament, in dem die Sozialisten über die absolute Mehrheit verfügen, zum Ende der laufenden Haushaltsdebatte aufgelöst und Neuwahlen für den 10. März angesetzt.

Der Politik- und Rechtswissenschafter und Professor an der Universität in Lissabon, José Adelina Maltez, spricht vom "Monster des Rechtsapparats" und einer "unkontrollierten Staatsanwaltschaft". Für den Chef der Vereinigung der Staatsanwälte, Adão Carvalho, hat die mangelhafte Abschrift aber "keine größere Relevanz für den Fall". Es sei kein Problem, "dass es eine gewisse Abweichung zwischen der Transkription und der Tonaufnahme gibt, da alle am Verfahren Beteiligten Zugriff auf diese haben, und letztendlich die Aufzeichnung das ist, was als Beweismittel gültig ist", erklärt er in einem Radiointerview.

Costa, dessen politische Karriere abrupt zu Ende ging, dürfte dies anders sehen. Seine Sozialistische Partei (PS) wird auf einem Sonderparteitag im Dezember einen Nachfolger wählen, der dann im März versuchen muss, die Regierungsmehrheit zu halten. Es kandidieren Innenminister José Luís Carneiro und der ehemalige Infrastrukturminister Pedro Nuno Santos. Der PS will nach vorn schauen. "Wir werden nicht die kommenden vier Monate damit verbringen, über ein Gerichtsverfahren zu diskutieren", erklärte Nuno bei der Ankündigung seiner Kandidatur. (Reiner Wandler, 15.11.2023)