"Diablo" ist ein Klassiker. Der Hit aus der Zeit, in der Blizzard noch cool war und kein Verbundkonzern mit Activision und fragwürdigen Arbeitsbedingungen, lädt auch heute noch zur Jagd nach dem Höllenfürsten. Mit ein wenig Aufwand kann man das Game auch heute noch auf modernen Systemen zum Laufen bringen und sogar über das Internet mit Gleichgesinnten spielen.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Die "Diablo"-Reihe wird zwar weiter gepflegt, aber mit "World of Warcraft" und "Overwatch" hat das Studio längst das Prinzip "Games as a Service" für sich entdeckt. Gute Spiele, ohne Zweifel, aber auch solche mit inhärenter Endlichkeit. Ob sie gespielt werden können, entscheidet Blizzard. Fährt man dort die Server herunter, gehen im virtuellen Azeroth und den Arenen von Overwatch die Lichter aus.

Beide Games dürften davon einigermaßen weit entfernt sein, auch wenn immer wieder einmal die Fluktuation der "World of Warcraft"-Spielerschaft zu verfrühten Untergangsprophezeiungen führte. Bei einem anderen Blizzard-Spiel, "Heroes of the Storm", sieht das anders aus. Es befindet sich wohl in der vorletzten Phase seines Daseins.

Doch wie sieht es aus, wenn ein Multiplayerspiel stirbt? Sehen wir uns den Lebenszyklus einmal näher an. Diese grobe Beschreibung ist für Games gedacht, die nicht bereits bald nach dem Start mangels Spielerinteresse abgedreht werden, wie etwa Amazons Moba-Shooter "Crucible" oder Biowares Loot-Shooter "Anthem".

Phase 1: Wachstum

Das erfolgreich gestartete Spiel gewinnt neue Teilnehmer und hat eine solide Basis an Nutzern. MMO-Welten sind gut genug, das Matchmaking in Mobas, Shootern und anderen Titeln geht flott und funktioniert im Großen und Ganzen. Die Einkünfte aus Monatsabos und Mikrotransaktionen passen. Ziel der Hersteller ist, das auch möglichst lange so zu erhalten. Eine große Basis an Spielern ist das Um und Auf für Erfolg und Bestehen jedes Onlinegames.

Ein Screenshot aus
Nach Jahren des Spielerschwunds sattelte "PUBG" Anfang 2022 auf ein Free2Play-Modell um. Damit gelang die Stabilisierung der Spielerbasis.
Krafton

Phase 2: Trendumkehr

Das Game hört auf zu wachsen, es springen mehr Spieler ab, als neue hinzukommen, und die Basis an aktiven Nutzern beginnt langsam zu schrumpfen. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Möglicherweise zieht ein konkurrierendes Game Teilnehmer ab, während die Betreiber nicht ausreichend interessante Neuerungen einführen, um sie zu halten. Je größer ein Spiel ist, desto attraktiver wird es auch für Cheat-Entwickler.

Ein steigendes Aufkommen an Schummlern kann gerade in kompetitiven Titeln dazu beitragen, dass mehr Teilnehmer ausscheiden, weil sie zunehmend das Gefühl haben, um ihre Erfolgschancen betrogen zu werden. Auch negativ rezipierte Änderungen am Spiel selbst oder seinem Geschäftsmodell können eine Trendumkehr einleiten. Meist dürfte es ohnehin eine Kombination verschiedener Faktoren sein. In dieser Phase hat ein Hersteller noch die besten Chancen, um Gegenmaßnahmen zu setzen.

Phase 3: Teufelskreis

Gelingt es dem Hersteller nicht, den Schwund zu stoppen, wirkt sich das nach einiger Zeit nachhaltig auf das Spiel aus. Zunehmend leerer wirkende MMO-Landschaften wirken auch auf verbliebene Teilnehmer weniger einladend, und so mancher wird befreundeten Gamern vielleicht zu einem anderen Spiel folgen.

In Spielen mit Matchmaking nimmt die Qualität der Zulosung ab. Immer wieder treffen so Teilnehmer mit großen Unterschieden in ihren Spielfertigkeiten aufeinander, was zumindest für eine Seite ein frustrierendes Erlebnis ist.

Screenshot aus
Vier Jahre nach dem Start wurde im vergangenen September "The Cycle" stillgelegt. Hersteller Yager spricht von massivem Cheater-Aufkommen, dem man nicht rechtzeitig beikommen konnte.
Yager

Dazu verlängern sich die Wartezeiten auf Partien, weil es eben an Teilnehmern fehlt. Darauf muss der Anbieter gezwungenermaßen reagieren, da ewige Warteschlangen potenziell noch mehr Spieler vergraulen. Also werden Maps und Spielmodi deaktiviert oder die Auswahlmöglichkeit zumindest eingeschränkt, um die Anzahl der parallel laufenden Warteschlangen zu verringern und die Wartezeiten wieder auf ein erträgliches Maß zu drücken. Das freilich birgt die Gefahr, jene Spieler zu verlieren, die Fans der gestrichenen oder nur noch zeitlich begrenzten Modi und Maps waren.

In dieser Phase kommt es vor, dass die Betreiber ehemals kostenpflichtige Spiele auf ein Free2Play-Modell umstellen. Ein prominentes Beispiel dafür ist "PUBG", das nach jahrelangem Spielerschwund den Abwärtstrend stoppen konnte.

Phase 4: Palliativpflege

Kann ein Hersteller auch in Phase 3 keine nachhaltigen Verbesserungen erzielen, so wird – wenn das Spiel noch profitabel ist – darauf gesetzt, mit minimalem Aufwand noch so lange Geld einzunehmen wie möglich. Das bedeutet, wie auch bei "Heroes of the Storm", dass es höchstens noch minimale inhaltliche Pflege gibt und darüber hinaus nur noch Fehlerbereinigungen und Balance-Anpassungen erfolgen.

Bei "HotS" hatte sich das abgezeichnet, nachdem Blizzard bereits im Dezember 2018 abrupt die E-Sports-Pflege für das Spiel einstellte und Entwickler zu anderen Projekten abzog. Bereits damals war zwischen den Zeilen zu erkennen, dass die Spielergemeinde des kleinen Konkurrenten von "League of Legends" und "Dota 2" wohl die in den Augen des Konzerns kritische Masse unterschritten hatte. Im Juli 2022 wurde der Titel offiziell in den Wartungsmodus versetzt, erhält also nur noch Fehlerbereinigungen und Serverwartung.

Screenshot aus Heroes of the Storm
"Heroes of the Storm" erhielt seinen letzten regulären Patch im Juli 2022. Seitdem erfolgt nur noch minimale Wartung, bis die Server eines Tages abgeschaltet werden.
Blizzard

Phase 5: Abschied

Zahlt sich der Weiterbetrieb nicht mehr aus, folgt die Ankündigung, dass das Spiel seine Pforten schließt. Meist geschieht das einige Wochen oder Monate im Voraus, wobei das Timing auch mit den vertraglichen Verpflichtungen des Herstellers für die Anmietung der Infrastruktur zusammenhängt. Mikrotransaktionen werden deaktiviert, fallweise auch bisherige Bezahlinhalte bis zum Ende kostenlos freigegeben. Im Falle von MMORPGs werden die Spieler manchmal mit einem letzten Event verabschiedet.

Das geschieht nicht ohne Sentimentalitäten, denn gerade in Spielen, die sich länger gehalten haben, blickt man auf viele Erinnerungen zurück und hat Freundschaften geknüpft, mit denen man nun gemeinsam ein geschätztes Hobby ad acta legen muss. Ein Beispiel dafür ist "Asheron's Call", das eines der ersten modernen MMORPGs war und 2017 nach 17-jährigem Bestehen die Pforten für seine treue Fangemeinde für immer schloss. Wie es den letzten Spielerinnen und Spielern damit ging und wie sie die letzten Minuten am Kontinent Dereth begingen, hat "PC Gamer" in einem Video dokumentiert.

The last moments of Asheron's Call
Eine kurze Dokumentation von PC Gamer zum Ende von "Asheron's Call" nach 17 Jahren.
PC Gamer

Erinnerungen an "Warhammer Online"

Ich selbst war noch nie in der Situation, einem geschätzten Spiel nach vielen Jahren Lebewohl sagen zu müssen. Im vergangenen Sommer wagte ich mich aus Interesse aber an "The Cycle: Frontier" und fand Gefallen daran. Doch nur wenige Wochen später gab Hersteller Yager bekannt, den Betrieb Ende September einzustellen. Man begründete dies mit einem Spielerschwund aufgrund zahlreicher Cheater, dem man nicht rechtzeitig beikommen konnte. Schade drum.

Kollege Peter Zellinger hingegen muss sich noch heute eine kleine Träne verdrücken, wenn er an seine Zeit mit dem MMORPG "Warhammer Online: Age of Reckoning" denkt. Auch die letzten Stunden des Spiels, das von 2008 bis 2013 bestand, hat er noch lebhaft in Erinnerung:

"Es war schön mit euch." Das war die letzte Nachricht, die ich in "Warhammer Online: Age of Reckoning" in den Chat schrieb. Es war vor fast genau zehn Jahren, am 18. Dezember 2013, als die Server abgeschaltet wurden. Die offizielle Erzählung, dass die Lizenzvereinbarung mit Games Workshop ausgelaufen war und deshalb die Server dichtmachen mussten, glaubte niemand.

Wir hatten monatelang dem Spiel beim Niedergang zugesehen. Zuerst waren da die technischen Probleme: Auf den gewaltigen Schlachtfeldern kämpften die beiden Fraktionen, Ordnung und Chaos, um die Vorherrschaft. Doch schon die gewaltigen Belagerungen der Anfangsphase waren von Problemen überschattet. Das Game ruckelte und zuckelte, und die Kämpfe wurden zur Diashow. Also musste Entwickler Mythic die gewaltigen Festungen entfernen, die eigentlich die Hauptstadt der Fraktionen beschützen sollten.

Warhammer Online Cinematic Trailer
Electronic Arts

Auf dem deutschsprachigen Server fand man dennoch immer wieder einen Schlachtzug, dem man sich anschließen konnte. Nächtelang rangen wir um die Vorherrschaft und planten Angriffe, oft um drei Uhr morgens, wenn die anderen Spielerinnen und Spieler schon im Bett waren und die Verteidigung der Gegner geschwächt war. Denn: Wer die Hauptstadt eroberte, durfte sie eine Zeitlang plündern. Wie cool!

Doch viele Spieler begannen abzuwandern, vor allem, weil das Balancing nicht stimmte und die Mächte des Chaos tendenziell überlegen waren. Die Server wurden zusammengelegt. Am Ende, nach fünf Jahren glorreicher Schlachten, waren nur noch zwei Gilden auf den Servern – eine in jeder Fraktion. Man kannte sich. Man wusste, wen man zum Gegner hatte, wann er oder sie welche Fähigkeit auslösen würde. Manchmal traf man sich auch zum fairen Duell, eine Funktion, die im Spiel eigentlich nicht vorgesehen war.

Und gelegentlich durfte der "Feind" sogar rüber auf den Teamspeak-Server der Ordnung, wenn man einfach ein virtuelles Bier miteinander getrunken hat. Es waren Charaktere dabei, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde: der Kumpel aus dem Ruhrgebiet, der nach der harten Arbeit im Bergwerk mit seinem schwertschwingenden Ritter Orks vermöbelte. Oder der Typ aus der Schweiz, der derartig derb vor sich hinfluchte, dass wir monatelang rätselten, was er wohl von Beruf war.

Es stellte sich heraus: Er war Volksschullehrer. Da standen wir also nach einem halben Jahrzehnt am Dorfplatz der menschlichen Hauptstadt Altdorf und wussten, gleich ist der Spaß vorbei, und es wird für immer dunkel bleiben. "Es war schön mit euch", der Abschied ist heute noch wehmütig. (Georg Pichler, Peter Zellinger, 19.11.2023)