Begonnen 2009 als 150-Personen-Konferenz in Dublin, hat die Eventreihe des Web Summit im Lauf seiner Geschichte, inklusive diverser Nebenveranstaltungen, über eine halbe Million Menschen zusammengebracht. Zum Hauptevent, das diese Tage von 13. bis 16. November im deutlich sonnigeren Lissabon stattfindet, sollen über 70.000 Besucher aus allen Teilen der Welt kommen. Ursprünglich erdacht als Dreh- und Angelpunkt zwischen Start-ups, Investoren und anderen Stakeholdern der internationalen Gründerszene, geht es neben dem Unternehmertum zunehmend auch um Tech-Themen. Und auch Österreich ist mit über 500 Personen repräsentiert.

Ein politischer Skandal

Dabei war dem diesjährigen Event ein politischer Skandal vorausgegangen. So hatte sich Paddy Cosgrave, CEO des Eventveranstalters, in einem Social-Media-Posting zum Krieg im Nahen Osten geäußert und Israel Kriegsverbrechen vorgeworfen. Dies hatte zu Boykottaufrufen und schließlich zum Rücktritt von Paddy Cosgrave geführt, an seiner Stelle übernahm Katherine Maher.

Absagen gab es von diversen Risikokapitalfonds und Tech-Konzernen ebenso wie von politischer Seite: Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer bleibt dem Event ebenso fern wie der deutsche Vizekanzler Robert Habeck. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Hallen des Events prall gefüllt sind, sich Fachbesucher aus allen Teilen der Welt an den diversen Ständen drängen oder den Vorträgen lauschen. Großunternehmen und kleine Start-ups haben hier ebenso ihre physische Repräsentanz wie diverse Staaten der Erde, von Deutschland über Österreich bis zur Ukraine.

Chance für eine bessere Welt

Zu den Speakerinnen und Speakern gehören Alibaba-Präsident Kuo Zhang und Wikipedia-Gründer Jimmy Wales ebenso wie Signal-Präsidentin Meredith Whittaker und Wladimir Klitschko, Bürgermeister von Kiew. Entsprechend breit ist auch der Themenmix: Während Zhang auf der Hauptbühne noch über KI-Tools für kleine und mittelgroße Unternehmen referierte, trat kurz darauf Whittaker ins Scheinwerferlicht, um klare Worte gegenüber den Tech-Konzernen dieser Welt zu finden: Diese hätten als einziges Ziel das Berichten von Gewinnen an ihre Aktionäre, so die Frau hinter dem alternativen Messengerdienst, und dies geschehe, indem man die persönlichen Daten der Nutzerinnen und Nutzer monetarisiere.

Meredith Whittaker auf dem Web Summit
Meredith Whittaker auf der Hauptbühne des Web Summit 2023: "Tech-Konzerne interessieren sich nur dafür, steigende Umsätze an ihre Investoren zu berichten."
Der Standard/Stefan Mey

Genannt wird dabei auch von anderen Herausforderern in Gesprächen mit dem STANDARD immer wieder ein Begriff, der sperrig wirkt, aber den Grund dafür ist, dass sich die Tech-Welt gerade am Scheideweg befindet: der Digital Markets Act (DMA) der Europäischen Union. Dieser wird im März 2024 schlagend, ergänzt den Digital Service Act (DSA) und hat das Ziel, den Markt für kleine Anbieter zugänglicher zu machen. In Gesprächen auf dem Web Summit ist man sich einig, dass dies eine Chance ist, die Fehler der Vergangenheit auszugleichen und eine bessere Welt zu schaffen – wenn das Regelwerk sich nicht schließlich doch als zahnlos entpuppt.

Technologie in Zeiten des Krieges

Gänzlich andere Probleme hat Wladimir Klitschko. Er referiert darüber, wie eine App von mittlerweile 2,6 Millionen Menschen verwendet wird. Ursprünglich genutzt als Anwendung zur Erhöhung der Lebensqualität rund um Bürgerbeteiligung und öffentlichen Verkehr, wird diese mittlerweile genutzt, um vor Angriffen der russischen Invasoren zu warnen und den Weg zum nächsten Luftschutzkeller zu weisen.

Wladimir Klitschko
Wladimir Klitschko auf dem Web Summit: Not macht erfinderisch.
Der Standard/Stefan Mey

Hier kann Technologie Leben retten, so der ehemalige Profi-Boxer. Gleichzeitig gibt es in den Luftschutzkellern inzwischen WLAN, damit unter anderem Schülerinnen und Schüler weiterhin dem Unterricht folgen können. Physische Dokumente werden zunehmend digitalisiert, Exponate aus Museen per 3D-Scan virtualisiert. Und Elon Musks Starlink kommt nicht nur an der Front, sondern auch im zivilen Bereich zum Einsatz, um eine höhere Verfügbarkeit von Onlinediensten in der Hauptstadt zu gewährleisten. Andere Länder könnten von der Ukraine lernen, so der Bürgermeister: Dass Not erfinderisch macht, zeigt das Land derzeit eindrucksvoll.

Ein Tor zu 200 Millionen Menschen

Im Vergleich dazu ist Österreich auf dem Web Summit mit alltäglichen Themen aus Friedenszeiten präsent: Networking, potenzielle Geschäftspartner finden, Werbung für das eigene Produkt machen. Dass die Alpenrepublik ohnehin in Portugal stark vertreten ist, erläutert die Wirtschaftsdelegierte Esther Maca: Die Stadtseilbahn Lissabons stammt freilich aus dem Hause Doppelmayr, diverse Zugangskontrollen vom Unternehmen Skidata, und Rennfahrer Miguel Oliveira saß zeitweise auf einer KTM-Maschine.

Michael Otter
Michael Otter, Außenwirtschaft Österreich: "Angst vor der Zukunft nehmen."
Der Standard/Stefan Mey

Was dabei auch oft vergessen wird: Portugal ist nicht nur der iberische Staat per se, es ist auch das Eintrittstor in eine Welt aus 200 Millionen Menschen in ehemaligen Kolonien, die portugiesisch oder mit dem Portugiesischen verwandte Sprachen sprechen. "Portugal ist für diese Länder, was Österreich für die Länder Mittel- und Osteuropas ist", sagt Maca.

Klein, aber fein

Auf dem Web Summit ist Österreich nun zum dritten Mal präsent. Der Stand ist klein, aber fein, misst neun mal neun Meter. Hier geht es laut Michael Otter, Leiter der Außenwirtschaft Austria, nicht darum, einen Platz für 500 anwesende Österreicher zu bieten, sondern als eine Art Homebase zu dienen: ein Treffpunkt, wo man sich Termine für ein Business-Meeting ebenso ausmachen wie ein After-Work-Bier trinken kann. Und natürlich geht es darum, Österreich als attraktive Destination für internationale Start-ups oder begehrte IT-Fachkräfte zu präsentieren.

Österreich am Web Summit
Klein, aber fein: der Österreich-Stand auf dem Web Summit 2023.
Der Standard/Stefan Mey

Mit der in Lissabon vorgestellten "Innovation Map" hat die Wirtschaftskammer in Lissabon zugleich einen Überblick über diverse Themen präsentiert, die in Zukunft relevant sein sollen. "Es geht darum, die Angst vor der Zukunft zu nehmen und das Gespür der Jungunternehmen für neue Technologien in die Breite zu bringen", sagt Otter. Im Fokus steht dabei vierdimensionaler Druck ebenso wie Reisen mit Hyperschallgeschwindigkeit, um nur zwei der Themen zu nennen.

Am Ende geht es doch wieder um die Start-ups

Dass das Web Summit trotz allem nach wie vor eine Start-up-Konferenz ist, zeigen aber auch die Zahlen aus Österreich. So sind über die Hälfte der Austro-Teilnehmer Gründerinnen und Gründer, wie Kambis Kohansal Vajargah, der Start-up-Verantwortliche in der Wirtschaftskammer Österreich, im Gespräch mit dem STANDARD erläutert. Zusätzlich dürften rund 40 heimische Investoren vor Ort sein, vom Business-Angel über den Risikokapitalfonds bis zu Corporate-Venture-Abteilungen großer Konzerne.

Die repräsentierten Branchen sind dem Experten zufolge breitgestreut, sie reichen vom Hype-Thema KI bis zu Dauerbrennern wie Climate- und Health-Tech. Es zeige sich insgesamt, dass sich die Qualität heimischer Start-ups in den vergangenen Jahren auch im internationalen Vergleich stark verbessert hat, in puncto technologischen Könnens ebenso wie bei der Präsentation auf der Bühne, dem berühmten "Pitchen".

Kambis Kohansal Vajargah
Kambis Kohansal Vajargah: Mehr als die Hälfte der Teilnehmer aus Österreich sind Gründerinnen und Gründer.
Der Standard/Stefan Mey

Dies dürfte auch daran liegen, dass im Inland in den vergangenen Jahren ein regelrechtes Ökosystem aus Förderungen, Coworking-Spaces und Events herangewachsen ist – getrieben nicht zuletzt durch das inzwischen eingestellte "Pioneers Festival" in Wien, das einst als Konkurrenz zum Web Summit positioniert werden sollte.

"Außerdem sieht man, dass die heimischen Start-ups sehr pragmatisch an die Sache herangehen", sagt Kohansal Vajargah. So werden in einer eigens eingerichteten Whatsapp-Gruppe mit knapp 400 Mitgliedern zwar auch Fotos von der malerischen Metropole und vom After-Work-Bier in der Abendsonne gepostet, aber ebenso Kontakte und Informationen zur Messe geteilt. Am Ende, so der Experte, geht es halt auch ums Business. (Stefan Mey aus Lissabon, 16.11.2023)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Kosten für die Pressereise zum Web Summit wurden von der Wirtschaftskammer Österreich übernommen.