Im österreichischen Tischtennis rumort es.
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Schöne, heile Tischtenniswelt. Dieses Bild will oder wollte der österreichische Tischtennisverband ÖTTV vermitteln. Am Donnerstag rührte er die Werbetrommel für die EM 2024, die in Linz stattfindet. Und am Freitag steigt anlässlich des hundertjährigen ÖTTV-Bestehens eine festliche Gala im Wiener Rathaus. Doch angesichts der Lage des Tischtennissports hierzulande kann von schöner, heiler Welt keine Rede sein.

Zunächst sieht sich der ÖTTV, an dessen Spitze im Juni 2021 Wolfgang Gotschke auf Hans Friedinger folgte, mit einer Schadenersatzklage des TTC Villach konfrontiert. Dieser war hierzulande die Nummer zwei im Frauentischtennis und zeigte auch international auf. Der Villacher Obmann Werner Feuerabend macht dem Verband schwere Vorwürfe. Der habe den Vereinen kurz vor Saisonbeginn erst "nachträglich einen Knebelvertrag vorgelegt". Ohne Unterschrift keine Bundesliga-Teilnahme. "Das war", sagt Feuerabend, "zumindest schon an der Grenze zur Nötigung!"

Mit der Zustimmung zur neuen Richtlinie hätten sich die Vereine verpflichtet, für einen Verbandssponsor (Win2day) zu werben, und damit, wie auch andere Vereine bestätigen, ihre eigenen Sponsoren vor den Kopf gestoßen. Feuerabend verweigerte die Unterschrift, daraufhin wurde der TTC Villach zunächst nicht für die Saison 23/24 zugelassen. Feuerabend gibt an, er habe deshalb Spielerinnen die Freigabe erteilen müssen, und der Verein sei um Fördermittel und Sponsorengelder umgefallen. Die in der Klage eingebrachte Kapitalforderung an den ÖTTV beträgt etwas mehr als 50.000 Euro.

Die ÖTTV-Spitze, mit Feuerabends Vorwürfen vom STANDARD konfrontiert, führt ins Treffen, dass die Werbeflächen nur bei zwei Vereinen bereits besetzt gewesen seien, mit denen "eine Sonderregelung" getroffen worden sei. Und dass nicht der ÖTTV-Vorstand, sondern der Bundesliga-Ausschuss keine Lizenz an Villach vergab. Dazu wiederum merken Kundige an, dass der Bundesliga-Ausschuss weder ein Organ noch ein Rechtskörper sei und die Haftung sehr wohl beim Verband liegen könnte.

Irritierte Sponsoren

Nachfrage bei Günther Renner, dem Obmann des seit vielen Jahren erfolgreichsten Frauenvereins Linz AG Froschberg, bei dem beispielsweise Liu Jia und Sofia Polcanova groß geworden sind. "Ja, diesen sogenannten Knebelvertrag gab es", sagt Renner. "Aber wir konnten noch hineinverhandeln, dass Einvernehmlichkeit mit den Vereinen bestehen muss."

Für den TTC Villach kamen diese Nachverhandlungen wohl zu spät. Auch Froschberg-Obmann Renner musste sich anstrengen, den Vereinshauptsponsor nicht zu vergrämen. Schließlich hatte die Linz AG einen Exklusivvertrag für die Netzwerbung, genau dort wollte auch Verbandssponsor Win2day zu sehen sein. "Wir haben einen Kompromiss gefunden", sagt Renner. Die Sponsoren teilen sich jetzt das Netz.

Geschützte Daten?

Bundesliga-Partien werden regelmäßig im TV (ORF Sport Plus) gezeigt. Die Vereine sehen sich laut Renner als "Hauptwerbeträger des Tischtennissports in Österreich. Bei uns passiert die Nachwuchsarbeit. Und ohne uns hätte es das Frauennationalteam in der Form viele Jahre lang nicht gegeben." Man sollte meinen, den Vereinen stünde ein guter Teil der Summe zu, die der ÖTTV von Win2day lukriert. Doch geregelt sei diesbezüglich noch nichts, sagt Renner. Der Verband hält sich zum Umfang des Win2day-Sponsorings "aus Datenschutz-rechtlichen Gründen" bedeckt und lässt auch die Frage unbeantwortet, ob und wie die Vereine profitieren. Doch ja, die Bundesliga sei "wichtiger Baustein eines Gesamtwerbekonzeptes".

Dennoch kommt es vielen Funktionären so vor, als würde der Verband die Bundesliga als unbequemes Anhängsel sehen. "Unbequem", auch Hüseyin Karaagac verwendet dieses Wort. "Wir waren unbequem. Anders kann ich mir nicht erklären, dass wir abgesetzt wurden." Der Innsbrucker Karaagac war jahrelang Bundesliga-Vorsitzender, der Salzburger Walter Windischbauer sein Stellvertreter. Gemeinsam brachten sie die Liga gut durch die Corona-Jahre, die Vereine sind sich darüber weitestgehend einig. "Wir wollten etwas weiterbringen", sagt Karaagac. "Wir waren mit Leidenschaft und Tatendrang dabei."

Umso größer die Überraschung vieler Funktionäre, als Karaagac und Windischbauer in einer ÖTTV-Generalversammlung Ende 2022 nicht mehr das nötige Vertrauen erhielten und de facto abgewählt wurden. "Wir haben nie eine Erklärung dafür bekommen."

Generalversammlung, das klingt groß, ist aber eher klein, jedenfalls im Tischtennisverband. Da setzt sie sie sich im Großen und Ganzen aus den Landesverbandspräsidenten zusammen, der eine oder andere Ehrenpräsident und eben der Bundesliga-Vorsitzende sind ebenfalls stimmberechtigt. Vereinsfunktionäre vermuten, dass Gotschke in der Generalversammlung die Linie vorgibt und etliche Landesverbandspräsidenten quasi unter Garantie nicht gegen den Willen des Präsidenten stimmen.

Besonderes Konstrukt

Dazu könnte passen, dass sich der eine oder andere Landesverbandspräsident auch im Aufsichtsrat der um den Jahreswechsel gegründeten ÖTTV-Marketing-GmbH wiederfindet. Als Geschäftsführer der GmbH fungiert Conrad Miller, der wie auch Mathias Neuwirth und Ex-Spitzenspieler Stefan Fegerl beim ÖTTV hauptamtlich als Vizepräsident beschäftigt ist. Allein dieses Konstrukt ist bemerkenswert. Der Villacher Obmann Feuerabend etwa fragt sich: "Welcher Angestellte stellt sich bei Abstimmungen gegen den Präsidenten, wenn er seinen Job behalten will?"

ÖTTV-Präsident Gotschke ist gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der ÖTTV-Marketing-GmbH. Weiters im Aufsichtsrat: Eduard Herzog, Helmut Jäger sowie Horst Ollram. Herzog sitzt für Niederösterreich auch in der Generalversammlung und im ÖTTV-Vorstand, Jäger vertritt das Burgenland. Lassen sich all die Funktionen vereinbaren? Die ÖTTV-Spitze bejaht die Frage. Insbesondere Herzog und Jäger seien "über alle Zweifel erhaben und seit Jahren ehrenwerte Verbandsfunktionäre. Sie entscheiden stets ausschließlich auf Basis ihrer fachlichen Kompetenz."

Fragen, die sich aufdrängen: Wird dem Geschäftsführer der Marketing-GmbH die Aufgabe finanziell abgegolten? Bezieht er ein Gehalt, Lohn, Honorare und/oder sonstige Entschädigungen? Wird den Aufsichtsratsmitgliedern der Marketing-GmbH diese Aufgabe finanziell abgegolten? Beziehen sie ein Gehalt, Lohn, Honorare und/oder sonstige Entschädigungen? Die ÖTTV-Führung beantwortet das alles klipp und klar und kurz: "Nein."

Der Geschäftszweig der Marketing-GmbH laut Firmenbuch: "Organisation und Durchführung von Veranstaltungen, insbesondere in allen Disziplinen des Tischtennissportes; Wahrnehmung und Durchführung von Managementaufgaben aller Art, insbesondere für den österreichischen Tischtennissport; Ankauf, Miete, Verpachtung und Verwaltung von Liegenschaften und Rechten; Handel mit Waren aller Art."

Verbandspräsident Gotschke war früher Geschäftsführer des Bundessportförderungsfonds, dann erhielt er einen hochdotierten Vorstandsposten bei Leistungssport Austria (LSA, früher IMSB). Da der LSA-Vertrag bald ausläuft, kursiert in Tischtenniskreisen das Gerücht, Gotschke könnte sich danach seine ÖTTV-Funktion abgelten lassen. "Das Gerücht ist haltlos", ließ Gotschke am Donnerstag wissen.

Auch bei einer Präsidentenkonferenz Anfang Dezember in Klagenfurt dürfte es um ganz anderes gehen. Da wurde bereits der Antrag eingebracht, den neuen Bundesliga-Vorsitzenden Tarek Al-Samhoury aus dem ÖTTV-Vorstand zu wählen. Das wäre der nächste Affront gegenüber den Vereinen, gegenüber der Liga. Die Verbandsspitze will der Diskussion darüber "nicht vorgreifen und das Thema auch nicht öffentlich kommentieren". Unschöne, unheile Tischtenniswelt. (Fritz Neumann, 17.11.2023)