Eine Frau stöbert in einer Kleidersammlung.
Auf so manchen Trend in der Kreislaufwirtschaft nimmt das Urheberrecht noch keine Rücksicht.
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Im Gastbeitrag erklärt die Juristin Veronika Appl, warum es einen Ausgleich zwischen nachhaltigen Konsuminteressen und geistigem Eigentum braucht.

Auf den ersten Blick verwundert es vielleicht, dass geistiges Eigentum im Rahmen der Kreislaufwirtschaft eine nicht zu unterschätzende Rolle einnimmt. Im Sinne einer ressourcenschonenden Marktwirtschaft sollen Produkte nicht nur einmal verwertet, sondern wiederverwendet werden. Dieses nachhaltige Wirtschaften berührt auch IP-Rechte (Intellectual Property), womit zahlreiche Fragen verbunden sind. Die Antworten darauf sind derzeit jedoch alles andere als eindeutig.

Unser heutiges IP-Recht wurde im letzten Jahrhundert vor dem Hintergrund linearer Produktions- und Verbrauchsmodelle geschaffen. Ein Produkt kann durch verschiedene Rechte des geistigen Eigentums geschützt werden. Bei Konsumgütern kommen primär Marken und Muster einerseits sowie Urheberrechte andererseits in Betracht. Nach den allgemeinen Grundsätzen des IP-Rechts kann der Rechteinhaber über die Verwertung seiner Produkte entscheiden.

Sind die Produkte jedoch einmal von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung auf den Markt gebracht worden, greift der sogenannte Erschöpfungsgrundsatz. Dieser besagt, dass der Rechteinhaber sich grundsätzlich der weiteren Nutzung bzw. dem weiteren Verkauf des IP-geschützen Produkts nicht mehr widersetzen kann und keine Kontrollbefugnisse mehr darüber hat, was mit seinem Produkt geschieht. Der Gesetzgeber rechtfertigt diese Erschöpfung unter anderem damit, dass mit dem Inverkehrbringen des Produkts bereits der wirtschaftliche Wert des Produkts realisiert ist und die IP-Funktion ansonsten überschießend wäre.

Upcycling wirft Fragen auf

Durch den Grünen Wandel werden neue Produktionsprozesse geschaffen, die von linearen Modellen zu Upcycling-Systemen führen. Das IP-geschützte Produkt wird nach seiner bestimmungsgemäßen Verwendung nicht entsorgt, sondern wiederverwendet. Die Beispiele für Upcycling sind so vielfältig wie die Konsumwelt selbst. Der Bogen spannt sich von Schmuck, der aus gepressten Kaffeekapseln hergestellt wird, über diverse Taschen und Rucksäcke, die aus alten Verpackungen wie Fischfuttersäcken produziert werden, bis hin zu Tischleuchten, deren Sockel aus leeren Getränkeflaschen besteht.

Allerdings greift der Erschöpfungsgrundsatz nicht mehr, wenn der Zustand des ursprünglichen Produkts verändert oder verschlechtert wird; dazu zählt insbesondere die Veränderung des Funktionszwecks des Produkts. Wenn die upgecycelten Produkte am Markt verwertet werden sollen, ist daher die Zustimmung des Rechteinhabers notwendig.

Eine besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang der Modetrend des "Visible Mending". Dabei werden Risse in Kleidungsstücken nicht etwa nur genäht und Löcher gestopft, sondern jede beliebige Art der Kleiderabnutzung kunstvoll saniert. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt; es wird aufwendig gestickt und individuell geflickt. Das Kleidungsstück bekommt dadurch nicht nur ein zweites Leben, sondern einen individuellen Touch, der die reparierte Stelle in den Vordergrund stellt. Auch das diesjährige Re:Pair-Festival in Wien stand ganz im Zeichen von "Visible Mending" und setzte mit seinen Workshops Schwerpunkte zur kunstvollen Reparatur von Kleidung.

IP-Rechte werden nicht beachtet

Das IP-Recht, insbesondere das Urheberrecht, bleibt bei diesem Trend völlig außer Sichtweite, denn Kleidungsstücke stellen in aller Regel Werke der angewandten Kunst dar, was nicht nur auf Markenkleidung zutrifft. Als solche genießen Kleidungsstücke urheberrechtlichen Schutz, welcher insbesondere das Bearbeitungsrecht miteinschließt. Danach dürfen Werke für private Zwecke zwar bearbeitet werden, eine Verwertung derart bearbeiteter Werke darf jedoch nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen. Kleidungsstücke werden beim Visible Mending in aller Regel einer Bearbeitung im urheberrechtlichen Sinne unterzogen, weil sie sichtbar – und regelmäßig auch kunstvoll – repariert werden, wobei das Originalwerk als solches erkennbar bleibt. Werden derart sanierte Kleidungsstücke nicht nur vom Bearbeiter selbst getragen, sondern auch verwertet, ist dafür die Zustimmung des Urhebers notwendig.

IP-Recht soll seinem Wesen nach einen Anreiz für Innovationen schaffen, es kann aber Upcycling und jede Form der Wiederverwertung verhindern, was einer Weiterentwicklung der Cycling-Economy entgegensteht. Umgekehrt liegt es im Interesse der Gesellschaft und der Rechteinhaber, dass IP-Rechte durch umfangreiche Freistellungen nicht entwertet werden dürfen. Ein gesetzlich geregelter Ausgleich zwischen einer nachhaltigen Konsumgesellschaft und den IP-Interessen wäre daher dringend zu diskutieren. (Veronika Appl, 18.11.2023)