KI-generierten Bild von Computermonitor mit vielen Münzen
Der Wunsch, schnell reich zu werden, ist wohl so alt wie die Menschheit selbst.
Midjourney

Wer sich regelmäßig auf dem Twitter-Nachfolger X herumtreibt und dort Accounts folgt, die zum Thema künstliche Intelligenz posten, kennt vielleicht die Beiträge, die einem der neue Algorithmus in die Timeline spült: Künstliche Intelligenz kann dich ganz einfach reich machen.

Menschen prahlen dort damit, wie sie tausende US-Dollar im Monat oder gar täglich scheffeln. Kinderleicht soll das sein, mit kostenlosen KI-Tools, ohne Vorkenntnisse, nebenher, quasi im Autopilot. Jeder könne das, wenn man bloß ihre Anleitung befolgt. Man bekommt geradezu das Gefühl vermittelt, dass man blöd sei, diese einmalige Möglichkeit nicht zu nutzen und stattdessen einem normalen Job nachzugehen.

Die Vorgehensweise ist dabei oft sehr ähnlich. Meist geht es darum, Texte, die Large Language Models wie ChatGPT generiert haben, als Sachbücher, Romane oder Kindergeschichten auf Amazon zu verkaufen – oft garniert mit KI-generierten Bildern von Midjourney oder Dall-E (Amazon hat das Problem inzwischen erkannt). Oft wird auch empfohlen, sich als Social-Media-Experte selbstständig zu machen – die Postings schreibt natürlich ChatGPT. Oder man verkauft Produkte für ein Vielfaches des Einkaufspreises auf von KI-Tools auf Hochglanz polierten Webshops. Der generierte Mehrwert: fraglich.

20.000 Euro monatlich mit ChatGPT

Meine Kollegin Anika Dang hat kürzlich für den STANDARD-Podcast "Lohnt sich das?" mit Simon Feller von Poosch Consulting gesprochen. Die auf Suchmaschinenoptimierung (SEO) spezialisierte Agentur behauptet in einer Presseaussendung, mehr als 20.000 Euro monatlich mit ChatGPT zu verdienen.

Doch das sei nicht so leicht, wie manch andere propagieren. Viele würden ChatGPT nutzen, um das "Web mit Informationen zuzumüllen, die eh schon da waren", sagt Feller im Podcast. Weniger für die Texterstellung als für die Recherche nutze seine Firma den Chatbot. Denn oft gehe es in seinem Job darum, Beschreibungen für hochspezialisierte Produkte wie Stromabnehmer oder Gleichstrommotoren zu erstellen. ChatGPT, das vorher mit eigenen Dokumenten gefüttert wurde, helfe bei der Recherchearbeit und bei der Gliederung der Inhalte.

"High End Prompting" nennt Feller das. Und obwohl die Firma dank ChatGPT rund 30 bis 40 Prozent der Kosten eingespart habe, stecke im Endprodukt immer noch viel menschliche Arbeit, die ein Team von über 20 Mitarbeitenden erledigt. Von Autopilot kann also keine Rede sein.

Man kann es nicht oft genug sagen: Künstliche Intelligenz ist vor allem ein Werkzeug. Und wir müssen aufhören, sie zu vermenschlichen. Wohl niemand hätte nach der Erfindung der Kettensäge gesagt: "Verdiene 1.000 Euro pro Woche, vollautomatisch, ohne Vorkenntnisse!" Zwar lässt sich mit einer Kettensäge viel mehr Holz produzieren als mit einer Axt, doch es braucht Menschen, die das Werkzeug bedienen können. Wer mit einer Kettensäge für Geld Bäume fällt, verdient nicht im Autopilot, sondern ist Forstarbeiter, der für seine Zeit und sein Know-how belohnt wird.

KI und Kettensäge

Ähnlich ist es mit künstlicher Intelligenz. Wer mit dem KI-Tool Copilot nun viel schneller codet, ist weiterhin Programmiererin. Wer mit Midjourney, Dall-E oder Stable Diffusion erstellte Bilder verkauft, ist weiterhin Grafiker. Oder eben SEO-Spezialist, wie Feller mit seiner Agentur. Einen Zugang zu KI-Tools zu haben ist noch keine Leistung an sich, man muss sie schon richtig bedienen können, um einen Mehrwert zu schaffen. Und das "Prompting", also die richtigen Anweisungen für KI-Systeme zu schreiben, ist oft harte Arbeit.

Das heißt nicht, dass man mit KI nicht viel Geld verdienen kann. Wer weiß, wie sich KI in seinem eigenen Gebiet einsetzen lässt, hat ziemlich sicher einen Vorteil. Aber wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, dass uns künstliche Intelligenz mit wenig Arbeit viel Geld beschert.

Immerhin bessere Wetterprognosen könnte uns KI in Zukunft bringen. Die Software Graphcast, die Google diese Woche vorgestellt hat, sagt das Wetter genauer und viel effizienter vorher als die besten Supercomputer. Graphcast übertrifft in 90 Prozent der Fälle aktuelle Systeme und führt Zehn-Tage-Berechnungen in einer Minute bei einem Tausendstel des Stromverbrauchs durch. Laut Experten wird KI künftig eine wichtige Rolle in der Wettervorhersage spielen – auch wenn es weiterhin zusätzliche Modelle (und Meteorologen) brauchen wird, etwa um die Auswirkungen des Klimawandels oder Naturkatastrophen vorherzusagen.

Künstliche Intelligenz mischt zunehmend auch beim Kochen mit und entwickelt automatisiert neue Rezepte. Unsere Autorin hat für einen Tag verschiedene KI-Kochplattformen getestet, deren Vorschläge teils inspirierend sind – aber häufig mit simplen Rezepten übereinstimmen, die man schnell selbst entwickeln könnte. Was sie mithilfe der KI auf den Teller gezaubert hat, lesen Sie hier. (Philip Pramer, 18.11.2023)