Im Gastbeitrag erklärt Anwalt Andreas Tinhofer eine aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichtshofs.

Der gesetzliche Schutz der Arbeitnehmer gegen eine sozialwidrige Kündigung spielt in der arbeitsrechtlichen Praxis eine bedeutende Rolle. Er besteht im Wesentlichen darin, dass Kündigungen unter bestimmten Voraussetzungen gerichtlich bekämpft werden können. Wird die Kündigung vom Gericht aufgehoben, so lebt das zunächst beendete Arbeitsverhältnis wieder auf.

Bei einer Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des – seit wenigstens sechs Monaten beschäftigten – Arbeitnehmers beeinträchtigt werden. Nach ständiger Judikatur sind dabei die gesamten Lebensverhältnisse des Arbeitnehmers und seiner Familie zu berücksichtigen. Neben allfälligen anderen Einkunftsquellen des Gekündigten (z. B. aus Vermögen) spielen auch das Einkommen erwerbstätiger Familienmitglieder, die Sorgepflichten des Arbeitnehmers sowie sonstige berücksichtigungswürdige Schulden eine Rolle (z. B. ein Hypothekardarlehen für den Wohnungskauf).

Stieg im Justizpalast in Wien.
Im einem aktuellen Fall befasste sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, wann eine Änderungskündigung angefochten werden kann.
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In der Praxis steht jedoch regelmäßig die Frage nach den Arbeitsplatzchancen des gekündigten Arbeitnehmers im Vordergrund. Diese Prognose wird regelmäßig durch einen vom Gericht bestellten berufskundlichen Sachverständigen erstellt. Hat der Arbeitnehmer bei entsprechenden Bemühungen Aussicht auf eine gleichwertige Stelle, so ist die Kündigung grundsätzlich nicht sozialwidrig.

Nach der Judikatur ist jedoch auch eine gewisse Entgelteinbuße in Kauf zu nehmen, ohne dass wesentliche Interessen beeinträchtigt sind. Nach dem Obersten Gerichtshof (OGH) geht es dabei nicht um "starre Prozentsätze" der Entgelteinbuße. Sofern durch das zu erwartende künftige Einkommen auf einem anderen Arbeitsplatz die Lebenshaltungskosten gut abgedeckt werden können, ist die Kündigung nicht sozialwidrig, selbst wenn die Einkommenseinbuße 40 Prozent oder mehr beträgt.

Auch Arbeitsbedingungen entscheidend

In einer aktuellen Entscheidung (9 ObA 59/23a) ging es um eine Änderungskündigung. Ein leitender Angestellter war aufgrund der Beschwerde einer Mitarbeiterin als "Area Manager" abgesetzt worden. Mit Zustimmung des Betriebsrats bot ihm die Arbeitgeberin seine frühere, geringerwertige Position an und verknüpfte dies mit einer Kündigungsdrohung. Der Mann lehnte ab und focht die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit beim Gericht an.

Für eine Änderungskündigung gelten im Grunde dieselben Grundsätze wie für eine normale Kündigung. In diesem Fall ist jedoch zusätzlich zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer die Annahme des angebotenen Ersatzarbeitsplatzes zumutbar war. Dies wurde vom OGH hier verneint, obgleich der aus der Versetzung resultierende Einkommensverlust nicht mehr als 20 Prozent ausgemacht hätte.

Das Höchstgericht stellte fest, dass es bei der Beurteilung der Zumutbarkeit nicht bloß um das Entgelt, sondern auch um Arbeitsbedingungen gehe. Am angebotenen Ersatzarbeitsplatz hätte der Angestellte anders als bisher feste Arbeitszeiten einhalten müssen. Davon abgesehen war eine Einschulung notwendig, um die von ihm zuletzt 1993 ausgeübte Tätigkeit wieder aufnehmen zu können. In der neuen Position stand dem Manager kein Dienstwagen mehr zur Verfügung, obwohl er in jeder Filiale eines großen Bundeslands hätte eingesetzt werden dürfen. In der Filiale am Wohnort des Angestellten wäre er jener Filialleiterin fachlich und disziplinär unterstellt gewesen, deren Vorgesetzter er vorher war und die mit ihrer Beschwerde zum Verlust seiner bisherigen Position beigetragen hatte. All dies bewog den Angestellten offenbar dazu, den angebotenen Ersatzarbeitsplatz abzulehnen, obgleich der Betriebsrat der Versetzung zugestimmt hatte. Das Pokern zahlte sich aus, denn die Gerichte gaben dem Kläger recht.

Häufiger Fall in der Praxis

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Arbeitnehmer auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden sollen. Dies geschieht etwa im Zuge einer Reorganisation oder weil sie den Anforderungen des Arbeitgebers an den Inhaber dieser Position nicht gerecht werden. Gegen solche einseitigen Versetzungen besteht ein zweifacher arbeitsrechtlicher Schutz. Zum einen muss die neue Tätigkeit vom Arbeitsvertrag gedeckt sein. Zum anderen bedarf eine verschlechternde Versetzung der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats, sofern ein solcher im Betrieb errichtet ist. Die Verschlechterung kann die Entgeltbedingungen betreffen (z. B. Entfall von Zulagen) oder die Arbeitsbedingungen (oder beides).

Zu beachten ist jedoch, dass mit dem Nachweis der Interessenbeeinträchtigung das Kündigungsverfahren im Normalfall noch nicht gewonnen ist. Der Arbeitgeber muss dann die Kündigung sachlich begründen. Letztlich hat das Gericht die Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung und jene des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung gegeneinander abzuwägen. Der damit verbundene richterliche Ermessensspielraum macht es für beide Seiten schwer, den Ausgang eines solchen Verfahrens vorherzusagen. Dies ist wohl der Hauptgrund, warum Kündigungsverfahren häufig nicht durch Urteil, sondern durch Vergleich enden. (Andreas Tinhofer, 20.11.2023)