Javier Milei
"Steuern sind Diebstahl", meint Javier Milei. Wie er aber die Probleme Argentiniens konkret lösen will, das erklärt er nicht – oder kaum.
AFP/LUIS ROBAYO

Vor drei Jahren war Javier Milei den meisten Menschen in Argentinien noch unbekannt. Am Sonntag wurde der 53-jährige Ökonom mit dem Wuschelkopf und der Kettensäge zum Präsidenten gewählt. Es war ein beispielloser Durchmarsch eines Politneulings – zu erklären wohl nur mit dem Abgrund der Krise, in dem sich das südamerikanische Land befindet, erdrückt von Schuldenlast, Hyperinflation, Arbeits- und Perspektivenlosigkeit.

Videoporträt von Oktober 2023: Der ultraliberale Wirtschaftsexperte und Trump-Fan Javier Milei schwingt die Kettensäge
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Milei hat dafür einfache Erklärungen parat: Schuld ist das politische Establishment, das sich am aufgeblähten Sozialstaat bereichere. Sein Rezept: die Kettensäge. Der Staat gehöre zertrümmert, der freie Markt müsse das Regiment übernehmen, und zwar komplett, von Bildung über Gesundheit bis zur Sicherheit. Den Peso will Milei durch den Dollar ersetzen, Abtreibung verbieten, den Klimawandel hält er für eine sozialistische Lüge, Waffen- und Organhandel will er freigeben.

Mit solchen Parolen, gepaart mit einem schrillen Auftreten, langen Koteletten und Lederjacke, war der libertäre Ökonom jahrelang ein Quotenbringer in Talkshows. Für provokante Sätze wie "Der Feind ist der Sozialismus" oder "Steuern sind Diebstahl" bekam er Applaus – politisch jedoch spielte er keine Rolle.

2021 gründete der Wirtschaftswissenschafter aus Buenos Aires dann die Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran), die wenige Monate später in der Hauptstadt bei der Parlamentswahl 17 Prozent der Stimmen holte und auf den dritten Platz kam. Am Sonntag gewann er in 21 der 24 Provinzen.

Skurril und widersprüchlich

Alles an Milei ist skurril und widersprüchlich: Er ist Katholik, beleidigte aber den Papst als "Symbol des Bösen". Mithilfe seiner esoterischen Schwester Karina spricht er mit seinem verstorbenen Lieblingshund im Jenseits. Er ist Single und lebt mit fünf geklonten dänischen Doggen, die nach Ökonomen benannt sind. Mit seinen Eltern hat er gebrochen. Sein Vater, ein Trinker und Busfahrer, schlug ihn als Kind häufig. In der Schule war er ein Einzelgänger und trug den Spitznamen "der Irre". Als Jugendlicher wollte er Rockstar werden, bewunderte die Rolling Stones und sang in einer Band. Später studierte er Ökonomie, lehrte an der Universität von Buenos Aires und fungierte als Berater von Politikern und Unternehmern.

Aus seiner Nähe zu erzkonservativen, rechten Gruppen wie der spanischen Vox-Partei macht er kein Hehl. Unter seinen Mitstreitern finden sich Sympathisanten der Militärdiktatur. Zu seinen Lieblingsautoren gehören Murray Rothbard, Gründer des Anarchokapitalismus, und die Philosophin Ayn Rand, die Altruismus für destruktiv hält.

Für Linke, die er gerne mit Hass und Häme überschüttet, ist er deshalb eine Bedrohung der Demokratie und ein Schreckgespenst. Aber auch neoliberale Dogmen wirft er über Bord, wenn er zum Beispiel damit droht, die Zentralbank in die Luft zu jagen, weil diese schuld sei an der hohen Inflation und damit der Enteignung der Bürgerinnen und Bürger. Möglicherweise hegt er aber auch nur Groll gegen die Institution, in der er einst ein Praktikum machte und die ihn wegen Ungehorsams vor die Tür setzte.

Beliebt macht er sich damit vor allem bei Jüngeren, die seine unkonventionelle Art cool finden und sich von ihm das Aufbrechen eines zunehmend als lähmend empfundenen Status quo erhoffen. Ob er das Zeug hat, um ein politisches komplexes Land aus der Wirtschaftskrise zu hieven, muss sich weisen. Milei sei sich selbst der größte Feind, meint der argentinische Kommentator Andrés Oppenheimer. "Außer er schafft es, zum Teamplayer zu werden und seine narzisstische Persönlichkeit unter Kontrolle zu halten." (Sandra Weiss, 20.11.2023)