Vor dem Sheba-Krankenhaus in der Nähe von Tel Aviv.
Vor dem Sheba-Krankenhaus in der Nähe von Tel Aviv.
AFP/JACK GUEZ

Als der 75-jährige Teo Dagi am Morgen des 7. Oktober die Horrornachrichten aus Israel hörte, war sein Entschluss schnell gefasst: Er würde nach Israel fliegen und seinen Teil beitragen. In Dagis Fall ist es ein gigantischer Beitrag: Der Professor an der Mayo Clinic in Minnesota und Herausgeber mehrerer Fachjournale ist einer der renommiertesten Neurochirurgen der Welt. Seit sechs Wochen arbeitet er Seite an Seite mit den Chirurgen des Sheba-Krankenhauses. Und er verdient daran keinen Schekel. Was er dort tut: "Alles, was von mir verlangt wird." Dazu gehörten neben Patientenvisiten und operativen Eingriffen auch Aufnahmegespräche in der Notaufnahme und das Falten von Leintüchern.

Dagi ist einer von tausenden Juden aus der Diaspora, die nach dem 7. Oktober beschlossen haben, in Israel mitzuhelfen. Mehr als 7000 Ärzte und Ärztinnen aus dem Ausland haben sich laut Angaben des israelischen Gesundheitsministeriums für den freiwilligen Dienst in Israel gemeldet, rund 200 von ihnen sind schon im Land. Israelis, die dem Land seit längerem den Rücken gekehrt hatten, meldeten sich zum Dienst in der Armee. Andere kamen zurück, um ihre Familien zu unterstützen – oder jenen Teil der Familie, der nicht eingerückt ist.

Gigantische Zahl an Verwundeten

Dagi erzählt seine Gedankengänge am 7. Oktober auf lakonische Art. "Es war absehbar, dass es jetzt Krieg geben wird, und wann immer es Krieg gibt, gibt es verwundete Soldaten. Da ich auf Kopfverletzungen spezialisiert bin, habe ich gefragt, ob ich helfen kann." Im israelischen Gesundheitsministerium klärte man die Formalitäten ab, wenige Tage später stand Dagi schon im größten Krankenhaus Israels.

Die ersten Tage waren "extrem angespannt", sagt der Chirurg, der auch eine Fachausbildung als Psychiater abgeschlossen hat. "Diese gigantische Zahl an verwundeten Soldaten und Zivilisten – und dazu die Angst, weil niemand wusste, was kommen wird."

Dr. Teo Dagi
Dr. Teo Dagi, von der Mayo Clinic in Minnesota nach Israel.
Sterkl

Die Verwundeten der Massaker stellten das ganze Team vor Herausforderungen. Dagi erzählt von massiven Gehirnverletzungen durch Explosionen und von den Komplikationen, die damit einhergehen: Zwar gebe es keine Kopfwunde, aber durch die massive Energie der Explosion können im Gehirn Blutungen und Risse entstehen. Dagis Beitrag war hier vor allem, Erstdiagnosen zu stellen, Patienten zu reihen und das Chirurgenteam zu beraten.

Im Fall von Kopfschüssen oder Granatensplittern, die durch die Schädeldecke dringen, sei eine sorgfältige Diagnose das Wichtigste: "Manchmal ist es besser, die Kugel nicht zu entfernen. Wenn man das Gefühl hat, dass das Gehirn mit der Kugel besser heilt, dann lässt man sie drin. Sitzt die Kugel nahe an einer kritischen Zone im Gehirn oder liegt sie so, dass sie noch wandern kann, dann nimmt man sie heraus." All das seien "extrem folgenschwere Entscheidungen", die von den Neurochirurgen getroffen werden müssen. Seit der Bodenoffensive sehe man zunehmend auch Soldaten mit Verletzungen durch Helmsplitter oder Fahrzeugsplitter.

Dagis Eltern waren Überlebende des Holocaust. Der Vater war deutschsprachiger Jude aus Litauen, die Mutter musste Wien verlassen, als sie als Jüdin ihr Medizinstudium nicht fortsetzen durfte. In Italien lernten sie einander kennen. Als es für Juden auch dort zu gefährlich wurde, gelang ihnen die Flucht in die Schweiz und von dort aus später in die USA. Er verstehe sich als Zionist, und das habe seinen Entschluss, in Israel mitzuhelfen, beschleunigt, sagt Dagi. Er habe aber auch in anderen Konfliktzonen gearbeitet: in Nordirland, in Sarajevo, im Kosovo.

Zusammenhalt der Menschen

Was er in Israel als "herzerwärmend" erlebe, sei der Zusammenhalt der Menschen und ihr Einsatz für andere: Schulkinder, die im Krankenhaus von Zimmer zu Zimmer gehen, um Patienten und Angehörige aufzumuntern. "Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig das für die Heilung ist."

Dieser Zusammenhalt ist es, der viele Israelis aus dem Ausland dazu trieb, die Koffer zu packen und nach Israel zu kommen. Sivan M., eine 45-jährige Israelin, die in den Niederlanden lebt, beschreibt dieses Gefühl so: "Es ist hart, weit weg zu sein, nichts beitragen zu können. Wir haben gewaltige Schuldgefühle. Ich kenne keine Israelis hier, denen es gut damit geht, nicht zu Hause zu sein."

Sivan war mit ihrem Mann und den drei Töchtern erst vor drei Monaten ausgewandert, um "für ein paar Jahre gemeinsam eine neue Umgebung kennenzulernen". So weit der Plan. Schon am 7. Oktober stand für Sivan und ihren Mann Itzik fest, dass Itzik zurückfliegen würde, um die Armee zu unterstützen. Zwei Tage dauerte es, bis er einen Platz in einem Flieger ergatterte, seit dem 9. Oktober ist er nur wenige Hundert Meter von der Grenze zum Libanon mit seiner Panzereinheit stationiert. Jeden Tag feuern die Terrorgruppen aus dem Süden des Libanon Panzerabwehrraketen über den Grenzzaun, immer wieder landeten sie auch in unmittelbarer Nähe von Itziks Einheit. Es wäre leicht vermeidbar gewesen, dass Itzik in Lebensgefahr gerät: Im Alter von 45 Jahren ist er nicht mehr Teil der aktiven Reservisten.

Dennoch hat er sich freiwillig gemeldet. Eine schwierige Entscheidung für das Paar? "Überhaupt nicht", sagt Sivan, "ich habe ihn dabei unterstützt." Einerseits, weil Itzik schon im zweiten Libanonkrieg gekämpft hat und dadurch Erfahrung mitbringe, die vielen der jungen Soldaten in den Kampftruppen fehle, erzählt Sivan. Vor allem aber Überzeugung: "Seit dem Holocaust haben wir nur dieses eine Zuhause. Auch wenn wir jetzt im Ausland leben, ändert das nichts daran, dass Israel immer noch unser Heim ist. Wir müssen es verteidigen und unterstützen, so gut wir können." (Maria Sterkl, 21.11.2023)