Luca und Josef von hinten, sie schauen aus dem Fenster
Der 15-jährige Luca (li.) und der 17-jährige Josef sind auf Long-Covid-Reha im Kokon Bad Erlach. Sie hoffen, dass sie sich dort von ihrem portviralen Erschöpfungssyndrom erholen.
Regine Hendrich

Die zwei Burschen lachen, blödeln und sekkieren einander beim Mittagessen. "Normalerweise ist er nicht so nett", stichelt Josef, als Luca seinen Teller abräumt. "Na, du redest ja gerade mit der Journalistin", empört sich Luca über diese Ungerechtigkeit. Josef überlegt kurz, ob er antworten soll, dann grinsen sich die beiden an, und es geht weiter im Gespräch. Zwei ganz normale Burschen, die tun, was Teenager halt so tun.

Nur, dass die beiden eben nicht "ganz normal" sind. Josef und Luca sind gerade für fünf Wochen im Kokon Bad Erlach, wo Der Standard sie trifft. Der Kokon ist ein Reha-Zentrum für Kinder und Jugendliche mit Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats, mit psychischen Erkrankungen oder mit neurologischen Problemen. Und es ist ein Reha-Zentrum für Jugendliche, die Long Covid haben. Genau deshalb sind Josef und Luca hier.

Josef ist 17 Jahre alt. Er lebt im Waldviertel und arbeitet auf dem elterlichen Hof, die Schule hat er bereits abgeschlossen. Im Ort ist er gut eingebunden, er ist bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv, arbeitet auf benachbarten Höfen mit oder hilft aus, wenn irgendwo Not am Mann ist. Am Wochenende geht er mit seinen Freunden aus.

Oder richtiger gesagt: Er würde am Wochenende gern mit seinen Freunden ausgehen. Er würde gern so oft den Nachbarn helfen, wie es nötig ist. Er würde gern richtig aktiv sein bei der Feuerwehr. Aber das alles geht nicht mehr so leicht, seit er im Jänner 2022 an Corona erkrankte. Seither muss er ganz genau abwägen und planen, was er tun kann. Und was einfach nicht geht.

"Ungefähr drei Tage lang war ich echt krank. Seither bin ich nicht mehr richtig fit geworden. Am Anfang war ich nach einer halben Stunde draußen völlig fertig. Jetzt schaffe ich es immerhin, vier bis fünf Stunden normal zu arbeiten. Aber danach muss ich mich hinlegen. Und es geht auch nicht jeden Tag." Das betrifft nicht nur die körperliche Arbeit. Josef erzählt: "Wenn ich eine Stunde auf dem Traktor sitze oder mit dem Auto fahre, ist einfach die Konzentration weg. Ich bin müde, und mir wird schwindlig."

Keine klare Diagnose

Man merkt dem Burschen seinen Frust an. Er würde so gerne einfach rausgehen und werken, gemeinsam mit anderen etwas schaffen. Ganz normal arbeiten. Und kann einfach nicht. Was genau er hat, weiß Josef bis heute nicht, es gibt keine klare Diagnose. Sein Blutbild passt, Röntgen, EKG und weitere Untersuchungen haben keine Auffälligkeiten ergeben. "Irgendwann hat die Hausärztin gemeint, das muss wohl Long Covid sein."

Das Einzige, was Josef schwarz auf weiß hat, ist die Bestätigung, dass er nicht so fit ist, wie er als gesunder 17-Jähriger eigentlich sein sollte. Das haben EKG und MRT gezeigt. Jetzt ist er also in Bad Erlach, einem der wenigen Reha-Zentren in Österreich, das Long-Covid-Reha für Jugendliche anbietet. Und hofft, dass es ihm nach dem Aufenthalt hier besser geht. Mit Josef sind zwei weitere Betroffene im Reha-Zyklus, der 15-jährige Luca und ein gleichaltriges Mädchen.

Ihr Aufenthalt hier folgt einem fixen Tagesablauf: In der Morgenrunde werden die Pläne für den Tag besprochen. Man klärt, wo das Energielevel an dem Tag steht, was man sich vorgenommen hat und was man glaubt, auch tatsächlich zu schaffen. Dann geht es zum Sport, zur Ergotherapie, zur psychologischen Betreuung oder auch zum sozialpädagogischen Programm.

Sportwissenschaftlerin und Burschen beim Training
Fitnesseinheiten bei Sportwissenschafterin Julia Berger, Ergo- und Gesprächstherapie sollen den Jugendlichen helfen, die eigenen Grenzen besser zu spüren und die Kräfte einzuteilen.
Regine Hendrich

Die Reha-Patienten haben also einen dichten Stundenplan – mit Ausnahmen. "Unsere Long-Covid-Betroffenen haben insofern einen Sonderstatus, da sie nicht alles mitmachen müssen. Wenn sie sich etwa zu erschöpft fühlen für das Sportprogramm, wird das berücksichtigt", sagt Jutta Falger. Die ärztliche Direktorin des Kokon Bad Erlach ist Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und Psychotherapeutin. Seit Sommer 2022 begleitet sie junge Menschen zwischen zehn und 18 Jahren auf ihrem Weg aus Long Covid. Man merkt, wie sehr ihr die Jugendlichen am Herzen liegen. In Bezug auf die Reha hatte sie bereits eine steile Lernkurve.

Steile Lernkurve

"Am Anfang war etwa das Bewegungsprogramm dichter geplant als jetzt. Wir haben aber schnell festgestellt, dass das einfach zu viel ist für diese Jugendlichen. Auch die psychotherapeutischen Prozesse haben wir angepasst, wir setzen stärker auf niederschwellige Formen wie Kunst- und Musiktherapie."

Denn die Kids, die wegen Long Covid hier sind, haben nicht per se psychische Probleme. Irgendwann geht es ihnen freilich auch psychisch nicht mehr so gut, wenn sie permanent erschöpft sind, höllische Kopfschmerzen haben, sich nicht konzentrieren und ihre Jugend nicht genießen können. "Bei ihnen steht das Wahrnehmen und Hineinspüren im Vordergrund. Wie weit kann ich heute gehen? Was darf ich mir zumuten, und wie merke ich, dass ich aufhören muss, bevor es mir zu viel wird?", erklärt Falger.

Gleichzeitig müssen die Jugendlichen auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wieder lernen. Gerade wenn man so ehrgeizig ist wie Luca, fällt es schwer, wenn einen der eigene Körper im Stich lässt. Der 15-Jährige kämpft seit über einem Jahr mit den Folgen seiner Covid-Infektion im September 2022, zwei Wochen lang ging es ihm da ziemlich schlecht. Im Dezember folgte außerdem das Pfeiffersche Drüsenfieber, das durch das Epstein-Barr-Virus (EBV) hervorgerufen wird – und das auch mit postviralem Erschöpfungssyndrom in Zusammenhang gebracht wird. "Seither hab ich jeden Tag Kopfweh und kann mich nicht richtig konzentrieren", erzählt der Schüler aus dem Burgenland. Ein bis zwei Schmerztabletten wirft er jeden Tag ein, damit er den Schulalltag überhaupt bewältigen kann. Und danach ist er komplett erschöpft.

Was denken die anderen?

Das kann man sich fast nicht vorstellen, wenn man Luca gegenübersitzt. Er sprüht richtiggehend vor Lebenslust, ist begeistert, aufmerksam, wissbegierig und erzählt viel tiefgründiger und informierter von seinen gesundheitlichen Problemen, als man das von einem Burschen in seinem Alter erwarten würde. Er sagt auch ganz offen, dass sich das auf die Psyche schlägt: "Wenn du jeden Tag Schmerzen hast, geht es dir irgendwann psychisch einfach nicht mehr gut."

"Erklär einmal jemandem, dass du etwas hast, was es eigentlich nicht gibt und das man auch nicht sehen kann."
Josef, 17-jähriger Long-Covid-Betroffener

Ihn beschäftigt auch, was sich die anderen denken: "Ich war immer ein sehr guter Schüler. Am Anfang haben dann schon ein paar Lehrer gedacht, dass ich einfach faul bin." Erst ein ausgiebiger Check beim Hausarzt mit Blutbefund zeigte, dass bei Luca irgendetwas nicht stimmen kann. Eine klare Diagnose hat aber auch er nicht.

Genau das ist auch das große Problem in der Reha nach postviralem Syndrom: Man weiß nicht genau, wo man ansetzen muss, um wirklich etwas zu verbessern. Es gibt weder klare Biomarker noch Medikamente, die man einsetzen könnte. Auf den Zuweisungen steht "Long Covid", aber was genau das Problem ist, bleibt diffus. Falger erklärt: "Wir fokussieren uns deshalb hier auf die drei P: Pacing, Planen, Priorisieren."

Jutta Falger, ärztliche Direktorin Kokon Bad Erlach
Jutta Falger leitet die Long-Covid-Reha im Kokon Bad Erlach.
Regine Hendrich

Beim Pacing, einem Kernelement im Umgang mit solchen Erschöpfungszuständen, lernen die Jugendlichen, ihre Kräfte einzuschätzen – und nicht darüber hinaus zu gehen. Denn sonst kann ein "Crash" folgen, man kommt durch die Überanstrengung womöglich tagelang nicht richtig aus dem Bett. Dafür braucht man das zweite und das dritte P: Indem man den Tag plant, überanstrengt man sich nicht so leicht. Und man priorisiert, was man unbedingt machen will und was man im Zweifelsfall weglässt – für die ehrgeizigen Burschen, die aus ihrer vollen Kraft schöpfen wollen, eine Herausforderung.

Man sieht ja nichts

Die Reha ist für Luca so weit in Ordnung. "Irgendwie ist sie angenehm, aber gleichzeitig auch anstrengend." Das Alleinsein, weg von den Eltern, findet er mittelgut. "Und bis jetzt merke ich halt noch gar keinen Unterschied. Man muss natürlich daran glauben, dass es besser wird, sonst funktioniert es nicht. Aber wenn sich nach ein paar Wochen einfach nichts verändert hat, fängst du halt an zu zweifeln …"

Was es für Luca – und auch alle anderen – so schwierig macht, ist, dass das Problem so schwer zu fassen ist, es gibt keine klaren Parameter, auf die man sich stützen kann: "Manchmal ist das Kopfweh extrem, obwohl ich mich eigentlich nicht angestrengt habe." Es sind banale Dinge, an denen die Burschen im Alltag scheitern können. Etwa wenn sie zwei Stufen auf einmal hinauflaufen. Manchmal ist das schon zu anstrengend, erzählen sie.

Womit sowohl Luca als auch Josef im Alltag kämpfen: dass man die Krankheit nicht sieht. Anders als mit einem Gipsfuß wird man nicht als krank wahrgenommen und entsprechend schnell einmal als Tachinierer abgetan. Josefs Verzweiflung bricht da durch: "Erklär einmal jemandem, dass du etwas hast, was es eigentlich nicht gibt und das man auch nicht sehen kann."

Das ist auch der Grund, warum er und Luca so offen und bereitwillig über ihre gesundheitlichen Probleme erzählen. Josef sagt: "Ich will, dass endlich mehr Menschen überhaupt wissen, dass es Long Covid gibt und wie es einem Betroffenen damit geht. Dort, wo ich herkomme, kennt das nämlich fast niemand."

Das soll ihnen auch ersparen, im Alltag ständig erklären zu müssen, was mit ihrer Gesundheit nicht stimmt. "Wenn ich einmal die Kraft habe rauszugehen, dann will ich nicht erklären müssen, was ich habe. Es ist ja nicht so, dass ich Lust darauf hätte, so erschöpft zu sein", bringt es Josef auf den Punkt. Das kann Luca nur bestätigen und ergänzt: "Rauszugehen ist eine angenehme Ablenkung."

Sein großer Wunsch: "Ich will einfach wieder ich sein. Weil ich bin einfach nicht mehr der Luca, der ich vor Corona war." (Pia Kruckenhauser, 9.12.2023)