"Wenn Italien ruft, antwortet Albanien" – das sagte der albanische Premierminister Edi Rama Anfang November bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner italienischen Amtskollegin Giorgia Meloni. Die beiden vereinbarten damals, dass ab kommendem Jahr bis zu 3.000 Migrantinnen und Migranten, die im Mittelmeer von den italienischen Behörden aufgegriffen werden, nicht aufs italienische Territorium, sondern nach Albanien verschifft werden sollen. Dort sollen sie in geschlossenen Lagern von Beamten der italienischen Behörden festgehalten werden, bis ihr Asylstatus geklärt wird.

In diesen Tagen kommt nun der umstrittene Gesetzesentwurf ins albanische Parlament, wo Ramas Sozialisten über eine Mehrheit verfügen. Die Vereinbarung zwischen Italien und Albanien ist allerdings Rechtsexperten zufolge nicht nur verfassungswidrig, sondern sie würde auch sehr viele andere Gesetze verletzen.

Edi Rama und Giorgia Meloni schmieden Pläne, die allerdings in Tirana für verfassungsrechtliche Bedenken sorgen.
Edi Rama und Giorgia Meloni schmieden Pläne, die allerdings in Tirana für verfassungsrechtliche Bedenken sorgen.
AP/Roberto Monaldo

Grundsätzlich ist die Gesetzgebung in Albanien jener in den EU-Staaten sehr ähnlich, weil Albanien bereits EU-Verhandlungen führt und auch die Venedig-Kommission sämtliche albanische Regelungen unter die Lupe nimmt. Der Verfassungsrechtsexperte und Dekan an der Universität Tirana, Jordan Daci, meint im Gespräch mit dem STANDARD, dass allein schon der Gesetzwerdungsprozess in der Causa regelwidrig erfolge. Denn die beiden Regierungschefs dürften aufgrund des Artikels 121 der albanischen Verfassung gar nicht über Verträge entscheiden, die das Territorium oder die Menschenrechte betreffen. "Das kann nur im Parlament gemacht werden“, meint Daci.

Artikel 46 der Wiener Konvention

Die beiden Regierungen dürfen laut Daci gar keine solchen Verträge unterzeichnen. Denn dies widerspreche dem Artikel 46 der Wiener Konvention über das Gesetz für Verträge. Inhaltlich seien die Abmachungen, die in der Vereinbarung zwischen Rama und Meloni stehen, ohnehin auf vielen Ebenen rechtswidrig, konstatiert Daci. "Es ist verrückt, überhaupt über so etwas zu reden – geschweige denn so etwas im Parlament zu ratifizieren", sagt er.

Einer der Hauptkritikpunkte betrifft das Hoheitsrecht. Ein Staat darf nämlich keinem anderen Staat ein Territorium zur Verfügung stellen und auch nicht Exekutivvollmachten auf Beamte eines anderen Staates übertragen. Deshalb können etwa Frontex-Beamte im Auslandseinsatz auch keine exekutiven Aufgaben übernehmen, sondern nur beobachten. "In Albanien als Nato-Staat dürfen außer Albanern und Albanerinnen nur Nato-Angehörige exekutiv tätig werden", so Daci.

Ein extraterritoriales Gebiet in Albanien sei ausschließlich für diplomatische Zwecke – also in Botschaften – oder für militärische Zwecke der Nato zulässig, erklärt der Verfassungsexperte. Jenes Gebiet in der Nähe von zwei Häfen, auf dem die beiden Lager für die Migranten errichtet werden sollen, soll jedoch laut der italienisch-albanischen Vereinbarung nicht mehr als "Teil Albaniens betrachtet werden". "Laut der Verfassung Albaniens darf Albanien aber keinen Zentimeter seines Territoriums einem anderen Staat übergeben", so Daci zum STANDARD. "Das ist auch eine Straftat."

Schwere Bedenken

Abgesehen von diesen schweren Verfassungsbrüchen werden durch die Vereinbarung auch weitere Gesetze verletzt. Albanien ist nämlich durch die Menschenrechtskonvention für den Schutz der Migranten auf seinem gesamten Territorium verantwortlich. Eine Freiheitseinschränkung oder Freiheitsberaubung von Migranten, die sich überhaupt nichts zuschulden haben kommen lassen und die sich nicht in Schubhaft befinden, ist menschenrechtswidrig.

Genau so eine Freiheitsberaubung ist aber in der Vereinbarung vorgesehen. Im Punkt fünf des sechsten Artikels der Vereinbarung zwischen Meloni und Rama heißt es: "Die zuständigen italienischen Behörden werden die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um den Aufenthalt der Migranten in den Zonen zu gewährleisten und ihnen sowohl während der Dauer des Verwaltungsverfahrens als auch am Ende keine unbefugte Ausreise in das restliche Hoheitsgebiet der Republik Albanien ermöglichen, was auch immer das Endergebnis sein mag.“ Im Klartext heißt das: Die Migranten werden in den Lagern eingesperrt und dürfen nicht einmal einkaufen gehen.

Jordan Daci, albanischer Verfassungsrechtler
Jordan Daci, albanischer Verfassungsrechtler.
IBJ

"Offenbar will sich Italien durch diese Vereinbarungen von jeglichen rechtlichen Verpflichtungen verabschieden, die in Italien gelten", meint Dekan Daci. "Die Migranten werden wie Gefangene behandelt." Er verweist darauf, dass Albanien, wie auch immer solche Verträge oder Vereinbarungen gestaltet seien, in jedem Fall rechtlich verantwortlich sei, weil das Recht über diesen Verträgen stehe. "Der Staat Albanien kann sich da nicht entziehen", so Daci.

Er betont auch, dass jenseits von der Wiener Konvention, der UN-Charta, der albanischen Verfassung auch das EU-Recht gebrochen würde, weil Italien als Ersteintrittsland laut dem Dublin-Abkommen für die Verfahren auf eigenem Territorium zuständig ist. "Es ist wegen all dieser Gründe sehr zu hoffen, dass dieser Gesetzesvorschlag vom albanischen Verfassungsgericht gestoppt wird", so Daci. Die albanischen Parlamentarier haben jedenfalls die Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshof aufzufordern, den Vorschlag zu prüfen – dann könnte er auch aufgehalten werden.

Artikel 33

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte von Migranten befasst werden, die illegalerweise von Italien nach Albanien gebracht werden. Laut dem Artikel 33 der Europäischen Menschenrechtskonvention könnten auch andere Unterzeichnerstaaten den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen, wenn ein Staat die Konvention verletzt, wie dies offensichtlich die albanische Regierung zu tun gedenkt, erklärt Daci.

Außerdem könnten die Mitglieder des Europarats, zu dem Albanien gehört, eine Sitzung zu dem Thema einberufen. Angesichts der Menge von Rechtsverletzungen, die mit der Meloni-Rama-Vereinbarung einhergehen, könnte das gesamte Vorhaben ähnlich enden wie der Versuch der britischen Regierung, Migranten nach Ruanda zu bringen. (Adelheid Wölfl, 21.11.2023)