Während der Vorschlag der Wiener SPÖ vom Wochenende, Matura und Noten abzuschaffen, bei ÖVP und FPÖ laustarke Empörung nach sich zog, verhielt sich eine Partei auffällig still: die Wiener Neos, bei denen das Thema Bildung in der Bundeshauptstadt ressortiert. Auch am Montag blieb eine Aussendung des kleinen Koalitionspartners der Roten aus. Auf Anfrage ließ sich Bildungsstadtrat und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr dann aber doch eine Position entlocken. Die da lautet: Matura beibehalten, aber reformieren.
"Es ist sicher sinnvoll, wenn es auch in Zukunft einen Leistungsnachweis in Form einer zeitgemäßen, zentralen Matura gibt. Damit die Schule die Jugendlichen optimal auf das Berufsleben und weiterführende Ausbildungen vorbereitet, braucht es aber sicher eine pädagogische Modernisierung mit viel stärkerer individueller Schwerpunktsetzung der Matura", teilt Wiederkehr dem STANDARD schriftlich mit.

Ähnlich ist die Haltung des Wiener Neos-Chefs zu den Noten: "Auch die Schulnoten sollten nicht in allen Schulstufen gänzlich abgeschafft, sondern durch ein differenzierteres Feedbacksystem ergänzt werden." Was mit "Modernisierung" und "differenziertem Feedbacksystem" konkret gemeint ist, ließ er offen.
Als innerkoalitionäres Foul will man den Vorstoß, der der SPÖ gehörig Aufmerksamkeit eingebracht hat, bei den Pinken nicht verstanden wissen. Natürlich dürfe die SPÖ auch Neos-Themen beackern, heißt es sinngemäß aus der Partei. Und man legt wert auf die Feststellung, dass Pädagogik Bundeskompetenz sei: Deshalb gebe es in der Wiener Koalition auch keine offenen Punkte dazu.
Vorbereitung aufs Arbeitsleben
Deutlich offensiver gab sich am Montag der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria. Dort ist man ob des SPÖ-Vorschlags alarmiert – und lehnt ihn ab. "Es ist ein wichtiger Schritt, dass es am Ende der Schullaufbahn eine Leistungssituation gibt. Bei der Matura wird zum ersten Mal Leistung kompakt und unter einem gewissen Druck abgefragt", sagt die auf Armut und Bildung spezialisierte Ökonomin Carmen Treml. Sie begründet das so: Auch an Unis oder im Arbeitsleben müsse geballt und unter Druck Leistung abgeliefert werden – Schülerinnen und Schüler darauf vorzubereiten sei "ein wichtiger Schritt".
Das vertraute Schulumfeld sei ein guter Rahmen, derartige Situationen zu üben, sagt Treml. Schülerinnen und Schüler würden das Setting und die Menschen im Prüfungssaal kennen – im Unterschied zur Prüfungssituation an der Uni, wo alles fremd sei. "Die Matura ist da eine gute Vorbereitung." Nicht zuletzt sei die Reifeprüfung ein "wichtiger Qualitätsnachweis" beziehungsweise ein Indikator dafür, ob Schülerinnen und Schüler auf einem bestimmten Leistungsniveau sind.
Soll bei der Matura aus Sicht der Agenda Austria also alles so bleiben, wie es ist? Im Wesentlichen ja, sagt die Ökonomin. Ein perfektes System könne es natürlich nie geben, aber: Die Matura ist grundsätzlich adäquat und an die Schulformen gut angepasst." Schülerinnen und Schüler werde etwa dadurch entgegengekommen, dass die Jahresabschlussnote ins Reifeprüfungszeugnis einfließe. Das helfe zum Beispiel Prüflingen, die in der Stresssituation ein Blackout haben. (rach, 20.11.2023)