Es ist kein schönes Schreiben, das die Ministerinnen und Minister der deutschen Ampelregierung aus dem Finanzministerium bekommen haben. Nüchtern und technisch wendet sich nicht der Chef Christian Lindner (FDP), sondern sein Staatssekretär Werner Gatzer an sie.

"Um weitere Vorbelastungen für künftige Haushaltsjahre zu vermeiden, beabsichtige ich (...), alle in den Einzelplänen 04 bis 17 und 23 bis 60 des Bundeshaushaltsplans 2023 ausgebrachten und noch verfügbaren Verpflichtungsermächtigungen mit sofortiger Wirkung zu sperren", heißt es in dem Brief.

Die Deutsche Regierung muss bei ihren Ausgabe plötzlich massivst bremsen.
Der Standard

"Lindner greift zum Haushaltshammer", formuliert es die Bild-Zeitung kurz darauf etwas drastischer. Angesichts der Lage weiß sich der deutsche Finanzminister nicht mehr anders zu helfen. Er hat jene Haushaltssperre, die bereits für den Klimafonds gilt, auf den gesamten Haushalt ausgeweitet.

Das bedeutet: Ausgabenstopp für alle Ministerien – mit Ausnahme der Etats für die sogenannten Verfassungsorgane Bundestag, Bundesrat und das Verfassungsgericht.

Aus Kreisen des Finanzministeriums wird jedoch betont, dass die Maßnahme sich nicht auf aktuelle Ausgaben in diesem Jahr auswirke: "Bestehende Verbindlichkeiten werden weiter eingehalten, es dürfen nur keine neuen eingegangen werden."

Ohrfeige vom Höchstgericht

Lindners Vorgehen ist die Reaktion auf das historische Urteil, das das deutsche Bundesverfassungsgericht vor einer Woche gesprochen hat. In diesem hatte es den Nachtragshaushalt 2021 für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und damit für "nichtig" erklärt.

Es war eine Riesenohrfeige für die Ampel, noch dazu eine, die gravierende finanzielle Auswirkungen hat. Grundlage dafür war eine Entscheidung, die die Ampelregierung Anfang des Jahres 2022 getroffen hatte.

Damals waren SPD, Grüne und FDP erst zwei Monate im Amt. Vorgefunden hatten sie bei Amtsübernahme nicht verbrauchte Kredite aus einem Corona-Notfalltopf. Diese 60 Milliarden Euro verschoben sie in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), mit dessen Mittel sie innerhalb der nächsten Jahre Klimaschutzprojekte finanzieren will.

Doch die Union sah die Schuldenbremse umgangen, klagte beim Verfassungsgericht und bekam recht. Begründung des Gerichts: Während der Pandemie habe eine Notlage geherrscht. Da habe man Sondermittel einsetzen können. Die Notlage aber sei vorbei.

Doppelwumms in Gefahr

Daher könne man nicht am regulären Etat vorbei "haushalten", schon gar nicht über mehrere Jahre hinweg. Denn das Gesetz besagt, dass Kredite in dem Jahr abgerufen werden müssen, in dem sie bereitgestellt wurden.

In der Ampelkoalition herrscht derzeit große Ratlosigkeit. Aktuell wird das Budget für das Jahr 2024 erstellt – und es könnte noch schlimmer kommen.

Die Bild-Zeitung meldete nämlich am Abend, auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) wäre von Sperren betroffen. Er wird in Deutschland salopp "Doppelwumms" genannt – so hat ihn der heutige Kanzler Olaf Scholz bezeichnet, als er ihn 2020 (noch als Finanzminister) vorstellte. Auch mit dessen Mitteln sollten Pandemie-Folgen gemildert werden.

2022, nach Ausbruch des Ukrainekrieges, wurde der Zweck erweitert. Der Fonds soll seither helfen, die Energiekrise besser zu bewältigen. Die Krux dabei formulierte Hanno Kube, Rechtswissenschafter an der Uni Heidelberg, am Mittwoch im Haushaltsausschuss des Bundestags so: "Dieser Fonds weist sehr, sehr ähnliche Probleme auf."

Warnung von Experten

Und er warnte die Ampel: Unter diesen Umständen sei der Haushalt für das kommende Jahr nicht beschlussreif. Kube: "Insgesamt muss also noch mal ein Kassensturz vorgenommen werden." Sonst drohe wieder ein Verstoß gegen das Grundgesetz.

Wie sie jetzt genau vorgehen will, wusste die Ampelkoalition am Dienstag noch nicht. Aber Ideen gibt es schon. So gerät nun die 2009 eingeführte Schuldenbremse wieder ins Visier. Diese besagt, dass Deutschland jährlich maximal nur in Höhe von 0,35 Prozent des BIP neue Schulden machen darf.

Ginge es nach der SPD, würde die Schuldenbremse ausgesetzt. "Wenn die SPD allein regieren würde, dann wäre das sicherlich etwas, was wir tun würden, nicht aus Trickserei, sondern weil die Notlage objektiv gegeben ist", sagt Generalsekretär Kevin Kühnert.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fände eine Reform der Schuldenbremse gut. Diese sei "sehr statisch" und unterscheide nicht zwischen Geldern, die im Laufe des Jahres ausgegeben würden, und Investitionen in die Zukunft, die sich erst nach Jahren rechneten. (Birgit Baumann aus Berlin, 21.11.2023)