Es war wie in einem schlechten Film. In dem Dorf Crépol südlich von Lyon waren am Samstagabend auf einem Dorffest 350 Jugendliche am Tanzen und Partymachen, als eine Gruppe Unbekannter das Fest stürmte. Unklar ist bis heute, wie sich die Männer Zutritt zu dem Saal verschafften. Ein Türsteher verlor durch einen Messerstich mehrere Finger, einzelne Gäste versuchten ihm zu helfen.

Trauerkundgebung für einen bei dem Überfall auf ein Dorffest getöteten Jugendlichen
"Thomas, wir lieben dich" – große Anteilnahme bei einer Trauerkundgebung für einen bei dem Überfall auf ein Dorffest getöteten Jugendlichen.
IMAGO/Sandrine THESILLAT

Panik brach aus, als auch andere der rund 20-Jährigen lange Messer zogen. Es floss viel Blut, von dem noch später Boden und Wände verschmiert sein sollten. Dann zogen die Angreifer wieder ab. Der Albtraum dauerte nur wenige Minuten – zurück blieben 16 Verletzte, zwei davon in Lebensgefahr. Thomas, ein 16-Jähriger Rugbyspieler des lokalen Klubs, starb kurz danach.

Gerüchte, Anschuldigungen

Ganz Frankreich war und ist auch Tage nachher noch schockiert. In den sozialen Medien zirkulierten rasch Meldungen, denen zufolge es sich bei den geflüchteten Tätern um Jugendliche aus dem Einwandererviertel La Monnaie im benachbarten Provinzort Romans-sur-Isère handle. Einer habe gerufen, man wolle sich "Weiße vorknöpfen".

Dementsprechend fielen die politischen Reaktionen aus. Die Chefin des rechten Rassemblement National, Marine Le Pen, erklärte, immer mehr Dorffeste und Hochzeiten würden zu Schauplätzen "regelrechter Razzien". Marion Maréchal, rechtsextreme Nichte Le Pens, ging am Mittwoch noch einen Schritt weiter und sprach von "Halsabschneidern", die einen "ethnischen Krieg" lancieren wollten, der sich auf die Dauer in einen "Bürgerkrieg" verwandeln werde.

Von Journalisten gefragt, woher sie diese Gewissheit nehmen, antwortete Maréchal: "Wenn sie 'Weiße' töten wollen, werden sie ausländischer Herkunft sein, auch wenn sie einen französischen Pass haben sollten."

Festnahmen

Die Polizei hat bisher neun mutmaßliche Täter festgenommen, darunter jenen jungen Mann, der für die tödlichen Stiche verantwortlich sein soll. Ein Teil der Gruppe wurde auf der Flucht nach Spanien gefasst. Ihr Anwalt Guillaume Fort stellte am Mittwochabend in Abrede, dass die Angreifer von außen gekommen seien; sie hätten sich bereits im Dorfsaal aufgehalten, "um sich zu amüsieren" – dann sei es aber zu einem Streit gekommen, der ausgeartet sei. "Die Sache ist weniger schwarz oder weiß, als sie dargestellt wird", erklärte der Advokat. Ein anderer Festbesucher bestätigte diese Darstellung in Teilen, indem er ausführte, die Angreifer hätten nicht mitgefeiert, sondern seien unbeteiligt auf Sesseln gesessen und hätten offenbar auf etwas gewartet.

Der ermittelnde Staatsanwalt Laurent de Caigny warnte indes vor vorschnellen Schlussfolgerungen. Der mutmaßliche Haupttäter der "feindlichen Gruppe" – so sagte er – stamme gar nicht aus dem berüchtigten Monnaie-Viertel. Er trat auch Spekulationen entgegen, es habe sich um eine Drogenbande gehandelt, die einen Racheakt verübt habe.

"Zurückhaltung und Anstand"

Premierministerin Elisabeth Borne rief in der Nationalversammlung zu "Zurückhaltung und Anstand" auf und verbat sich jede Art von politischer Vereinnahmung: "Dieses Drama zu benützen, um mit unseren Ängsten zu spielen, stellt einen Mangel an Würde und Respekt für die Opfer dar", sagte sie. Dennoch fühlte sich Innenminister Gérald Darmanin bestätigt in seiner früheren Aussage über die "Verwilderung" der Gesellschaft.

Am Mittwoch nahmen in Romans-sur-Isère dann 6000 Menschen an einem Schweigemarsch teil – eine sehr hohe Zahl angesichts der nur 530 Dorfbewohnerinnen und -bewohner. Mitgeführt wurden bei dem Marsch "unpolitische" Transparente wie "Thomas, wir lieben dich". Die allgemeine Stimmung in Frankreich ist allerdings nicht von liebevollen Gefühlen gekennzeichnet. (Stefan Brändle, 23.11.2023)