Finanzminister Christian Lindner erklärt, dass er für 2023 einen Nachtragshaushalt einbringen wird.
Finanzminister Christian Lindner erklärt, dass er für 2023 einen Nachtragshaushalt einbringen wird.
AFP/ODD ANDERSEN

Es war kein leichter Auftritt für den deutschen Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Donnerstagnachmittag. Man merkte ihm den Druck an, als er in einem sehr kurzen Statement verkündete: "Ich betrachte es als meine Aufgabe, reinen Tisch zu machen." Das Wort "Schuldenbremse" erwähnte er zwar nicht. Aber es ist klar: Sie wird auch 2023 nicht eingehalten werden.

Eigentlich hatte die deutsche Ampel dies vorgehabt, vor allem Finanzminister Lindner hatte immer wieder drauf gedrängt. Denn die deutschen Liberalen sehen sich als Bewahrerinnen dieser Maßnahme, um die Staatsschulden nicht ausufern zu lassen.

Eingeführt wurde die Schuldenbremse 2009 – als Reaktion auf die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise. Sie besagt, dass Deutschland jährlich nur neue Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des BIPs machen darf und ist somit von der Wirtschaftsleistung Deutschlands abhängig. Ausnahmen gibt es nur in Notsituationen, "die sich der Kontrolle des Staates entziehen". In der Corona-Zeit war dies der Fall. Doch 2023 wollte die Ampel die Schuldenbremse eigentlich einhalten.

Umbuchung war rechtswidrig

Doch wie kam es nun zu dieser Kehrtwende? Das Unheil für die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte am 15. November seinen Lauf genommen. Da kippte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den von der Ampel kurz nach ihrem Amtsantritt eingebrachten Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 und beschied: 60 Milliarden Euro an nicht benötigten Kreditoptionen aus einem "alten" Corona-Topf hätte die Ampel nicht einfach in einen Klimafonds umbuchen dürfen, weil ein solches Vorgehen nicht mit dem Grundgesetz gedeckt ist. Die Umbuchung hatte die Ampel durchgeführt, um eben die Schuldenbremse einhalten zu können.

Der Schock nach dem Urteil war in der deutschen Regierung groß. Sie muss nun mit 60 Milliarden Euro weniger planen. Die Mittel hätte sie für Vorhaben eingesetzt, die dem Klimaschutz dienen. In einer ersten Reaktion erklärte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), man werde das Urteil "genau prüfen". Das tut sie immer noch. Doch der Spruch der Höchstrichter hat bereits eine Kaskade von Entscheidungen zur Folge.

Zunächst erließ Finanzminister Lindner eine Haushaltssperre für den höchstrichterlich beanstandeten Klimafonds. Wenig später sprach er eine allgemeine Haushaltssperre aus. Das bedeutet: Die Ministerien können keine Zahlungsverpflichtungen für kommende Jahre eingehen. Aktuelle Ausgaben in diesem Jahr sind davon allerdings nicht betroffen. Zugleich legte Lindner den 200 Milliarden Euro schweren Wirtschaftsstabilitätsfonds (WSF) auf Eis.

"Doppelwumms" in Gefahr

Denn dieser ist ähnlich konstruiert wie der Klimafonds, den das Verfassungsgericht ausgeschaltet hatte. Die Ampel fürchtet, dass auch der WSF einer höchstrichterlichen Betrachtung nicht standhält. Dieser Fonds wird in Deutschland auch salopp "Doppelwumms" genannt.

So hatte ihn Scholz, damals noch Finanzminister in der großen Koalition unter Angela Merkel, 2020 bei der Einrichtung bezeichnet. Aus dem Fonds wurden zunächst die Corona-Hilfen an die Wirtschaft bezahlt. So bekamen etwa die Lufthansa und der Touristikriese TUI Hilfen. Danach, nach dem Überfalls Russlands auf die Ukraine, wurden aus dem Fonds die Strom- und Gaspreisbremsen finanziert.

Doch das war noch nicht alles. Der nächste Streich erfolgte am Mittwoch. Da verkündeten die Ampelparteien im Bundestag, dass der Haushalt für 2024 nicht, wie geplant, in der kommenden Woche vom Bundestag beschlossen werde. "Auf die Tagesordnung werden andere Themen gesetzt", hieß es etwas lapidar.

Und nun, am Donnerstagnachmittag, hat Lindner erklärt, dass die Ampel die Schuldenbremse im Jahr 2023 nachträglich aussetzen wolle und er einen Nachtragshaushalt einbringen werde. Seine Begründung: "Es gibt jetzt neue Rechtsklarheit, wie wir mit Sondervermögen und mit Notlagenkrediten umzugehen haben. Wir ziehen jetzt daraus die Konsequenzen."

Finanzminister Christian Lindner (FDP) erklärte sich auch auf X, vormals Twitter.

Die Ampel will also die Ausgaben für die Strom- und Gaspreisbremsen auf eine "verfassungsrechtlich gesicherte Grundlage" stellen. Erst wenn es einen rechtssicheren Zustand gebe, könne wieder "über das Jahr 2024 und die nächsten Jahre" gesprochen werden, so Lindner. Er kündigte dies alles nur in wenigen Sätzen an, Nachfragen waren nicht gestattet. (Birgit Baumann aus Berlin, 23.11.2023)