Wien – Wer in Österreich das Wort Pressefotografie in den Mund nimmt, muss auch Matthias Cremer sagen. Der langjährige, mehrfach ausgezeichnete STANDARD-Fotograf kennt und prägt die Branche seit 40 Jahren. Mit seiner Bildsprache veredelte er nicht nur die Berichterstattung des STANDARD – von 1988 bis zu seiner Pensionierung vor zwei Jahren –, sondern er war auch Vorbild für andere Medien. Seine Mahnung: Inszenierungen nicht auf den Leim gehen. Sein Credo: Den Stellenwert von Pressefotografie ins rechte Licht rücken.

Fotograf Matthias Cremer
Matthias Cremer, eine Institution unter Österreichs Pressefotografen.
Michael Gruber

Gelegenheit dazu hat Cremer ab Montag, 27. November, im Audimax der Universität Wien, wo er an drei Terminen über Fotojournalismus spricht. Er hält die diesjährige Theodor-Herzl-Dozentur zur Poetik des Journalismus am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Wien. DER STANDARD hat Matthias Cremer vorab getroffen, um einen Vorgeschmack darauf zu bekommen, was die Zuhörerinnen und Zuhörer erwartet. Wir veröffentlichen das Gespräch in Form eines Monologs.

Wie geht es der Pressefotografie?

"Der Pressefotografie geht es furchtbar. Die Medienhäuser sind in einer wirklichen Krise, nur der ORF hat es momentan etwas besser. Allerdings stellt sich die Frage, was passiert, wenn Volkskanzler Kickl kommt. Da könnte es auch Brösel geben. Wenn es Sparpakete gibt, wird überproportional bei den Fotos gespart. Ich nehme an, dass es damit zusammenhängt, dass am Ruder jene Leute sitzen, die vom Text kommen.

Langsame Übertragung

Als wir beim STANDARD mit der Fotoredaktion angefangen haben und auf innenpolitische Termine gegangen sind, waren meistens sechs bis acht Fotokolleginnen und -Kollegen vor Ort. Drei Agenturen – APA, Reuters und AP – sowie Tageszeitungen. Damals gab es die technische Schwierigkeit, dass die Agenturbilder, die sogenannten Funkbilder, limitiert waren. Die Übertragung hat acht Minuten gedauert. Bei wichtigen Terminen wurden ein, zwei oder höchstens drei Bilder geschickt. Damals wurde bei Medien mehr Wert darauf gelegt, einen eigenen Auftritt zu haben. Seit dem Jahr 1995 circa sind die Übertragungsgeschwindigkeiten höher, und die Agenturen liefern mehr Fotos.

Die APA, mittlerweile der weitaus größte Arbeitgeber für Fotografen, lässt ziemlich viel fotografieren. Jetzt gibt es von jedem Termin fünf bis neun Bilder, da kann man auch verschiedene Geschmäcker bedienen. Das ist eine Einladung an Medienhäuser, bei den Fotoleuten zu sparen.

Gratisbilder aus dem Kanzleramt

Das ist das eine. Das andere ist, dass Medien sehr viele sogenannte Gratisbilder bekommen. Ob Bundeskanzleramt oder andere Stellen: Sie bieten ihre eigenen Fotos an. Und die werden verwendet, wenn Medien Pressefotografie nicht so wichtig finden. So kommen nicht-journalistische Bilder als journalistische Bilder zum Einsatz. Die Verhaberung zwischen Politik und manchen Medien führt dazu, dass Medien solche Bilder verwenden, auf der anderen Seite werden sie mit Anzeigen oder Förderungen belohnt.

Bundeskanzler Karl Nehammer
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am 26. Oktober 2023 anlässlich des EU-Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Das Foto wurde den Medien vom Bundeskanzleramt zur Verfügung gestellt, die APA hat es in ihrem Bildfeed.
APA/BKA/ANDY WENZEL

Was mich wahnsinnig wurmt: Die APA ist zwar eine Super-Agentur, sie vermischt diese Bilder aber. So kommen auch jene Fotos, die von politischen Stellen angeboten werden, in den Newsfeed. Die PR-Bilder werden reingewaschen. Und Medienhäuser kommen leichter in die Gefahr, dass sie sich bedienen, auch wenn sie das nicht möchten. Leute sitzen hier unter Zeitdruck und rechnen nicht damit, dass über die APA nicht nur journalistische Bilder kommen, sondern beispielsweise auch aus dem Bundeskanzleramt.

Geldkrise, Gratis- und Symbolfotos

Das ist eine Zange. Einerseits hast du die existenzielle Geldkrise, auf der anderen Seite winken die Leute mit Gratisbildern. Und die sind ja nicht deppert. Wer sich mit Journalismus beschäftigt, weiß, wie wichtig Bilder für die Darstellung der Personen und für die Geschichten sind. Gerade auch online. Das wäre eine gute Voraussetzung für eine Hochblüte des Bildjournalismus, das ist aber nicht der Fall. Die ausgesuchten Fotos sind oft keine journalistischen Bilder, sondern Symbolfotos. Sie erscheinen auch in hochqualitativen Medien, haben aber keinen Informationswert. Das ist auch eine Krise des Journalismus, dass dieser Wert, den Bilder haben, nicht genutzt wird. In erster Linie meine ich damit Online. Ich glaube, dass diese Symbolfotos irgendwann einmal KI-generiert werden.

"New York Times" als positives Beispiel

Das sind alles Gründe, warum der Bildjournalismus keine guten Zeiten erlebt. Es wird versucht, den Fotografierenden noch weniger zu zahlen – und dass sie gleich alle Rechte abgeben. So vergraulst du irgendwann alle Leute, die schöne Sachen machen würden. Meine Hoffnung ist der Wettbewerb. Dass irgendwann einmal jemand draufkommt, dass er viel unverwechselbarer dasteht, wenn er ordentliche Fotos hat, die rausstechen. Ein Beispiel ist die Aufmacherseite der New York Times online: Die bemühen sich, zu jeder Geschichte ein passendes Foto zu finden. Es steht auch dabei, dass sie extra beauftragt wurden: der Name des Fotografen oder der Fotografin für die New York Times. Das ist eine tolle Botschaft an die Lesenden: Seht her, wir nehmen nicht irgendein nichtssagendes iStock-Bild, sondern wir bemühen uns um ein gutes Foto. Das kostet auch nicht so viel. Mir macht eine runde Geschichte Freude – mit einem tollen Text und Bildern dazu, die das zeigen, was man nicht beschreiben kann. Es gibt Extras, die erfährst du nur über Bilder.

Fotocredits in Miniaturgröße

Wenn du Alternativen hast, solltest du keine PR-Bilder aus dem Bundeskanzleramt nehmen. Man kann sie nur nehmen, wenn der Kontext klar ist. Wenn zum Beispiel der Kanzler nach New York fliegt und niemand das Geld hat, auch dort hinzufliegen, gehört es groß kommuniziert und thematisiert, woher das Foto kommt. Und zwar nicht nur im Bildcredit, sondern im Text. Man muss den Leuten erklären, warum man das macht. Dass das die einzigen Bilder waren, die verfügbar sind. Weil die Fotos im Allgemeinen an Bedeutung verlieren und auswechselbar werden, ist die Versuchung groß, dass man die Bildunterschriften immer kleiner macht. In einer Schrift, die du nur mehr mit einer Lupe lesen kannst. Manchmal befinden sich die Fotocredits auch in den Bildern selbst, wo es praktisch nicht mehr lesbar ist. Die Informationen werden versteckt, das gehört geändert und wieder größer gemacht. Genauso wie beim Text, wo der Name des Autors oder der Autorin groß dabeisteht.

Kurz ohne Abstand

Ich erinnere an die Geschichte vom Kleinwalsertal, als Kanzler Sebastian Kurz im Mai 2020, im ersten Corona-Lockdown, dort war. Da hatten wir geschlossene Bundesgärten oder den Babyelefanten als Abstandsempfehlung, diese ganzen strikten Sachen. Nach der ersten Lockerung fährt Kurz an die Grenze. Zuerst war auch ein Fotograf der APA dabei, später bei der Veranstaltung nicht mehr. Die Fotos aus dem Kanzleramt hätten nicht vermuten lassen, dass Abstandhalten ein Thema war, bis die "Vorarlberger Nachrichten" ein Video online gestellt haben. Und man hat dann gesagt: Oida, was ist denn da für ein Auflauf?

Sebastian Kurz im Kleinwalsertal
Vom Besuch des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz im Kleinwalsertal gab es keine anderen Agenturbilder als jene vom Pressedienst des Bundeskanzleramtes. Erst ein Video der "Vorarlberger Nachrichten" zeigte den Menschenauflauf.
BUNDESKANZLERAMT/DRAGAN TATIC

Ein Screenshot dieses Videos war auf der Seite eins des STANDARD. Auf den Fotos des Bundeskanzleramts war das nicht zu sehen. Die werden das nicht fotografieren, eh klar. Auch wenn sich die BKA-Fotografen von ihrem Selbstverständnis her als Journalisten fühlen, sie sind es nicht, weil sie vom Kanzleramt bezahlt werden. Kritische Bilder werden sie nicht machen, sonst sind sie ihren Job wohl los. Es wird als Superservice angepriesen, ja eh, aber der Bundeskanzler ist immer hübsch drauf und meist der Bestimmende, der den Weg weist.

Hat Kurz die Inszenierung auf die Spitze getrieben, oder hat das schon viel früher mit Werner Faymann begonnen?

Werner Faymann hatte sich mehr auf Inserate spezialisiert. Christian Kern hatte als Kanzler bereits eigene Fotos, aber so richtig angefangen hat es mit Sebastian Kurz. Jetzt ist es immer noch so. Wenn du in den APA-Bilderdienst schaust, sind so viele Fotos aus dem Bundeskanzleramt drinnen. Warum? Das muss nicht sein. Die ÖVP hat immer schon versucht, eine Inszenierung so zu machen, dass man als Fotografierender keine andere Möglichkeit hat.

Molterers Inszenierung entschlüsselt

Ich kann mich an einen ÖVP-Termin mit Vizekanzler Wilhelm Molterer erinnern, als die Partei, von den Amis abgekupfert, eine Rede zur Lage der Nation veranstaltet hat. Ein ganzer Haufen an Fotografen war vor Ort und hat gewartet. Das war in der Hofburg im Redoutensaal, inszeniert mit Sitzreihen, Beleuchtung und einer Pressebühne, wo wir fotografieren sollten. Der Einzug der Gladiatoren wurde inszeniert, und in dem Augenblick ihres Eintretens ist die Security gekommen und hat uns gleichzeitig gesagt, dass wir von hier weggehen sollen. Nämlich zu dem einen Platz hin, wo wir fotografieren dürfen. Dort konnte man nur mit dem Tele zum Rednerpult fotografieren. Wir wussten, dass es furchtbar wird, und so haben alle Fotografen gesagt: Wenn das so ist, gehen wir. Nur mehr der hauseigene Fotograf war dort.

Wilhelm Molterers Rede zur Lage der Nation am 15. Mai 2008
Wilhelm Molterers Rede zur Lage der Nation am 15. Mai 2008 wurde vor der Hofburg übertragen. Das Interesse war überschaubar.
Matthias Cremer

Wir sind rausgegangen, wo es Stehpulte und Riesenbildschirme gab, damit alle Leute dem Molterer zuhören können. Da war natürlich keine Sau, sondern vielleicht drei oder vier Leute vor dem Riesenbildschirm. Und dann habe ich diesen Riesenbildschirm mit drei Hansln davor fotografiert. Daraus haben sie gelernt, uns nachher zum Essen eingeladen und sich entschuldigt. Das war ein Schuss ins Knie.

Kurz mit Fahnen, Rendi-Wagner ohne

Ein sehr schönes Bild war jenes vom Beginn der Koalitionsgespräche nach der Neuwahl wegen Ibiza. Sie haben es im alten Trakt des Finanzministeriums inszeniert. Das war in einem leergeräumten historischen Raum. Dort waren zwei Fauteuils. In der Mitte stand ein Tischchen. Hinter Sebastian Kurz war eine Österreich- und eine EU-Fahne zu sehen, hinter Pamela Rendi-Wagner (Ex-SPÖ-Chefin, Anm.) war nichts. Um diesen Versuch der Inszenierung zu durchschauen und zu entschlüsseln, dafür brauchst du Pressefotografie. Kein Close-up zu machen, wo du im Hintergrund die Fahnen siehst, die das Staatsmännische darstellen sollen, sondern komplett zurückzugehen und den ganzen Raum zu zeigen. Dann ist alles klar, und du kannst das dechiffrieren. Das ist die Aufgabe von Pressefotografie: solche Inszenierungen durch Überhöhung zu dechiffrieren. Das war ein Superfoto und bei uns auf Seite eins.

Sebastian Kurz und Pamela Rendi-Wagner
Fahnen hatte nur einer: Sebastian Kurz und Pamela Rendi-Wagner beim ersten Sondierungsgespräch nach der Nationalratswahl 2019.
Matthias Cremer

Stadthalle türkis gefärbt

Ein sehr schönes Bild war auch jenes von Christian Fischer beim Auftritt von Sebastian Kurz in der Stadthalle. Mit der fast schon gespenstischen Inszenierung und den türkisen Jüngern im Vordergrund. Du denkst dir, das kommt aus einem schlechten Film. Christian Fischer hat es so fotografiert, dass es auf einmal komplett klar wird und man fast Gänsehaut bekommt. Ein sehr schönes Foto, das hätte ich gerne selbst fotografiert.

Sebastian Kurz, 2017 in der Wiener Stadthalle
Sebastian Kurz und die türkisen Jünger: 2017 in der Wiener Stadthalle.
Christian Fischer

Als STANDARD hatten wir schon damals den Ruf, eine besondere Bildsprache zu haben. Das ist aber relativ leicht gegangen, weil wir gewusst haben, dass Agenturfotos gemacht werden. Wenn wir etwas Abseitiges probieren und das schiefgeht, hatten wir das Agenturbild als Back-up. Es hat für uns keinen Sinn, einfach hinzugehen und das normale Foto zu machen, sondern etwas auszuprobieren.

Lieblingsfoto?

Die Geschichte war ein alljährlich wiederkehrender Routinetermin. Der Neujahrsempfang für die Diplomaten in der Hofburg durch den Bundespräsidenten. Die stehen dort aufgefädelt, er schüttelt ihre Hände, und es gibt eine Ansprache. Mit dabei war auch der Apostolische Nuntius, der Botschafter des Vatikans. Ich war früher dort, und dieser Mann ist vor mir gegangen. Ich habe mir gedacht: Oida, den muss ich jetzt fotografieren. Das war in diesem elendslangen Gang und wie in einem Märchen. Das hat keinen reinen Informationswert, das Foto erzählt eine Geschichte. DER STANDARD hatte es auf Seite eins und dazugeschrieben: "Wanderer walle, willst bei Waldheim du weilen!" Das war großartig. Dieser Aspekt der Pressefotografie macht mir wahnsinnig viel Spaß. Vom Thema wegzukommen und richtig herumzumäandern.

DER STANDARD vom 15. Jänner 1992.
DER STANDARD vom 15. Jänner 1992. Hinweis: Am Foto ist nicht der Nuntius zu sehen.
Faksimilie/Matthias Cremer

Wo verlaufen die Grenzen?

Ich finde, man braucht überhaupt nicht meucheln. Ein Foto, das viele mit mir assoziieren, ist eines mit Werner Faymann beim Ministerrat. Als Deko-Element gab es den Bundesadler. Zufällig bin ich so gestanden, dass der Bundesadler genau hinter Faymann war. Man könnte sagen, es ist despektierlich, es meuchelt Faymann aber nicht. Noch dazu war das inhaltlich spannend, weil er ein paar Wochen davor Bundeskanzler geworden ist. Er hatte gemeinsam mit Alfred Gusenbauer einen Brief an die "Kronen Zeitung" zu EU-Fragen geschrieben. Faymann war ein tiefer Diener vor der "Kronen Zeitung". Auf dem Foto hatte er als Ohrschmuck Hammer und Sichel sowie die Krone auf dem Kopf. Das hat sehr gut gepasst, und es war charmant.

Werner Faymann und der Adler
Werner Faymann und der Adler. Die SPÖ war not amused.
Matthias Cremer

Die SPÖ war aber sehr angefressen. Sie haben angerufen und Druck gemacht, dass das Foto nicht erscheint. Ich hatte einen Fotoblog damit, es war auf Seite eins. Jedenfalls war das kein Meuchelfoto. Der Adler ist noch ein Jahr dort gehangen, einige haben das nachfotografiert und mich gefragt: Matthias, stört es dich, wenn ich ihn auch adler? Das Adlern war dann schon ein eigener Terminus.

Fekters lebendige Mimik

Schwierig war es bei Maria Fekter (ehemaligen ÖVP-Innen- und -Finanzministerin, Anm.). Man konnte an ihr sehr viel kritisieren, wenn ich an ihre Aussage über Arigona Zogaj und die Rehlein-Augen denke. Fekter hat etwas in ihrer Mimik, hauptsächlich wenn sie redet, das überlebendig ist. Jedes Einfrieren ihrer Mimik stellt quasi schon eine Meuchelsituation dar. Beim Reden selbst siehst du es nicht so, sehr wohl aber, wenn du dir die einzelnen Fotos anschaust. Das ist ein Irrsinn. Ich habe so viele Fotos von ihr wegschmeißen müssen, die sonst gut gewesen wären. Ich mache keine Meuchelfotos.

Maria Fekter
Eine Herausforderung für Fotografen: Maria Fekters Mimik, hier bei einem Interview im Jahr 2011.
Matthias Cremer

Meuchelvorwurf aus Niederösterreich

Einmal gab es einen richtigen Meuchelvorwurf aus dem Büro einer Landeshauptfrau. Ich habe es nicht so gesehen. Es war kein schönes Bild, ja, aber eine Situation, die ihrem Auftreten entsprechend war. Von oben herab, sie als Chefin. Da haben sie sich aufgeregt, dass es ein Meuchelfoto ist. Johanna Mikl-Leitner hat viele eigene Fotografen, die sie hübsch und gut in Szene setzen, das ist aber nicht meine Aufgabe. Dementsprechend waren sie angefressen. Das war neben den Faymann-Foto der zweite Meuchelvorwurf. Das ist für 35 Jahre nicht so viel.

NÖ-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner
Meuchelfoto? Mitnichten, sagt Matthias Cremer über das Bild, das er von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) am 18. Jänner 2018 in ihrem Büro in St. Pölten gemacht hat.
Matthias Cremer.

Buseks Heislschmäh

Es gibt auch eine Geschichte, als ich zu höflich war. Da denke ich mir jetzt noch, ich hätte es fotografieren sollen. Es waren die Koalitionsverhandlungen zwischen Franz Vranitzky und Erhard Busek, wo es um den letzten Schliff ging. Die SPÖ saß im Bundeskanzleramt, die ÖVPler sind zuerst hingekommen, dann zu Beratungen ins Café Griensteidl gegangen. Ich war mit einem Kollegen aus der APA dort. Ganz hinten ist bei einem kleinen Kaffeehaustisch die gesamte ÖVP gesessen. Das hat rührend ausgesehen. Ich hätte die Kamera vorbereiten und zum Fotografieren hingehen sollen. Ich war im Zwiespalt, ob ich das machen soll, und habe gefragt, ob ich fotografieren darf. Nein, nein, hat es geheißen. Ich will schon gehen, da steht der Busek auf und sagt: Ich gehe jetzt aufs Heisl, wenn du willst, kannst du mitkommen und mich dort fotografieren. Das war kein lustiger Schmäh.

Fotografieren im Parlament

Schwierigkeiten hatte ich immer wieder mit FPÖ-Leuten. Die waren immer sehr zickig, etwa beim Abschlusswahlkampf im 10. Bezirk. Einmal war ich beim Wahlkampf im Prater, und einer hat sich immer so vor mich hingestellt, dass ich nicht fotografieren konnte. Richtig übel was das aber alles nicht. Ich habe es sehr genossen, dass sich die Leute im Laufe der Jahre immer mehr für mich interessiert haben und dass Respekt da war. Ich habe von 1988 bis 2005 nur für Print fotografiert, dann habe ich im November 2005 meinen Fotoblog begonnen. Da war ein Foto von mir dabei, das hat mein Standing sehr schnell verbessert, weil mich die Leute erkannt haben.

Es gab auch Szenen mit der FPÖ im Parlament, als sie versucht hatten, mich am Fotografieren zu hindern. Dann hat einmal die Barbara Prammer sehr nett das Wort für mich ergriffen. Die haben immer gesagt, dass ich die Unterlagen, die Geheimnisse fotografiere. In Deutschland ist das so gelöst, dass alle hineinfotografieren und -filmen können. Wenn jemand Staatsgeheimnisse hat, soll er sie nicht auf den Tisch legen. Das Parlament ist quasi ein öffentlicher Platz, und man muss damit rechnen, dass man fotografiert wird. So sollte es auch in Österreich sein.

Khol und die Roten

Lustig war es auch einmal mit Andreas Khol. Damals war er ÖVP-Klubobmann und immer sehr darauf bedacht, dass alles in Ordnung ist und seine Schäfchen brav sind. Khol hat bei einer Sitzung des Nationalrates unter der Bank eine Illustrierte durchgeblättert. Dann ist er lange bei einer Weinreklame von Wein & Co hängengeblieben. Ich habe ihn fotografiert. Samo Kobenter, damals Innenpolitikjournalist des STANDARD, hat den Bildtext dazu gemacht und geschrieben: "Khol und die Roten, wie er sie am liebsten hat: abgefüllt in Flaschen." Das dürfte ihn wirklich geärgert haben.

Andreas Khol
Andreas Khol und die roten Flaschen, aufgenommen am 23. November 2000.
Matthias Cremer

Klagsdrohung der FPÖ

Die FPÖ hat mir einmal den Rechtsanwalt angedroht, das war eine großartige Geschichte. Es war nachmittags im Parlament, als nicht mehr viele Leute bei der FPÖ da waren. Jörg Haider redet. Ich habe ihn fotografiert, dann sehe ich, dass die FPÖler gelangweilt herumhängen. Wenn Haider mit seiner Stimme raufgegangen ist, haben sie ein bisschen applaudiert. Ich wollte diesen Unterschied zwischen Herumhängen und Applaudieren sichtbar machen. Das Herumhängen hatte ich schön drauf, das Applaudieren nicht so sehr, dann habe ich den Haider weiter fotografiert. Ich bin dann in die Redaktion, es war schon nach 15 Uhr, die Zeitungsseite mit dem vorgesehenen Foto war bereits gezeichnet. Allerdings nur mit einem Foto.

DER STANDARD vom 3. Februar 1994. FPÖ-Mandatare während der Rede Jörg Haiders.
DER STANDARD vom 3. Februar 1994. "Spannung" unter den FPÖ-Mandataren während der Rede Jörg Haiders.
Faksimile/Foto: Matthias Cremer

Alle lauschten Haider

Wir haben das Foto der gelangweilten FPÖler während der Haider-Rede verwendet. Und das so hingeschrieben. Am nächsten Tag sind drei Faxe gekommen. Eidesstattliche Erklärungen, Herbert Haupt war einer von ihnen, alle haben gesagt: Niemals, das kann nicht während der Haider-Rede gewesen sein. Sie erwarten sich eine Richtigstellung im STANDARD, sonst gibt es eine Klage. Ich habe mir in der Dunkelkammer den Film angeschaut, dann war klar, dass es während der Haider-Rede aufgenommen wurde.

Aufklärung: DER STANDARD vom 5./6. Februar 1994.
Aufklärung: DER STANDARD vom 5./6. Februar 1994.
Faksimilie Standard / Matthias Cremer

Am Wochenende hatten wir die Geschichte, wo wir uns darüber lustig gemacht haben. Abgebildet wurde der gesamte Fotostreifen, die Faxe dazu und ganz unten stand: Einer gerichtlichen Auseinandersetzung sehen wir mit Freude entgegen. Die FPÖ hat sich nie mehr gemeldet, aber wenn immer der Haider im Parlament geredet hat, waren alle da und ganz aufmerksam. Das war eine Folge des Fotos. Ich habe natürlich versucht, es noch einmal zu machen, es ist aber nie wieder gegangen." (Protokoll: Oliver Mark, 26.11.2023)