Koffein gilt als die am meisten konsumierte psychoaktive Substanz der Welt, auch in Österreich liegt das Alkaloid in seiner beliebtesten Darreichungsform unangefochten auf Platz eins: Rund drei Tassen Kaffee gönnen sich erwachsene Österreicherinnen und Österreicher durchschnittlich pro Tag. In dieser Menge genossen, hat das beliebte Heißgetränk viele positive Effekte. Moderater Kaffeekonsum dürfte etwa das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einige Krebsarten senken.

Die meisten Menschen greifen freilich aus einem ganz anderen Grund täglich zur dampfenden Tasse. Die stimulierende Wirkung des Koffeins auf das zentrale Nervensystem macht das Getränk für viele zum unverzichtbaren Muntermacher. Doch wie groß ist der wachmachende Effekt von Kaffee bei regelmäßigem Konsum wirklich? Neuere Untersuchungen zeichnen ein differenziertes Bild.

Kaffee, Kaffeetasse
ImSchnitt drei Tassen Kaffee trinken Erwachsene in Österreich täglich. Wer davon wacher werden will, sollte öfter mal eine Pause einlegen.
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Die stimulierende Wirkung von Koffein ist unbestritten und gut erforscht. Oral zugeführt, zum Beispiel im Kaffee, wird es sehr schnell vom Körper aufgenommen, nach etwa 15 bis 30 Minuten setzt der anregende Effekt auf das zentrale Nervensystem ein: Koffein hält den körpereigenen Botenstoff Adenosin in Schach, der uns vor Überanstrengung schützt und Müdigkeit signalisiert. Gleichzeitig kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin, der antriebssteigernd wirkt.

Wie groß der Effekt ist, hängt aber von vielen Faktoren ab – nicht allein von der Koffeinmenge. So gibt es genetische Unterschiede bei der Koffeinsensibilität, aber auch andere Lebensgewohnheiten spielen eine Rolle – etwa, ob man raucht oder nicht. Zudem gilt: Wer ausgeschlafen und fit sei, werde durch Koffein nicht noch wacher oder konzentrierter, sagt Carolin Reichert vom Zentrum für Chronobiologie der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Bei Schlafdefizit sei die Wirkung dagegen eindeutig.

Entzug für die Forschung

Allerdings ist auch die Gewöhnung an Koffein ein wichtiger Faktor. "Wenn wir einen wachmachenden Effekt von Kaffee haben möchten, dann dürfen wir ihn nicht chronisch konsumieren", sagt Reichert. "Kaffee ist nur dann ein Wachmacher, wenn unsere Rezeptoren sensitiv auf ihn reagieren, und dazu braucht es Phasen der Abstinenz."

Daten dazu liefern etwa Studien, in denen kaffeeliebende Teilnehmerinnen und Teilnehmern zunächst einige Zeit auf Koffein verzichten mussten und im Schlaflabor beobachtet wurden. Wenn sie dann wieder zu kontrollierten Kaffeemengen griffen, würden die Folgen sichtbar, sagt Reichert. "Eine Gruppe an der Universität Zürich konnte zeigen, dass schon vier Tage Abstinenz ausreichen, um mit einer morgendlichen Koffeineinnahme einen reduzierten Tiefschlaf in der darauffolgenden Nacht hervorzurufen."

Der Eindruck, dass gerade der Morgenkaffee wirkt, habe bei Koffeindauerkonsumenten vermutlich auch noch einen anderen Hintergrund, sagt die Forscherin. Wer täglich Kaffee trinke, gewöhne das Gehirn an die Koffeinzufuhr und mache in der Nacht einen Mini-Entzug durch, der wiederum für Müdigkeit sorge. Die erste Tasse am Morgen lindere diese Entzugserscheinung – und man fühle sich wacher.

Aktivierende Erwartung

Nicht zu unterschätzen dürfte aber auch der Placeboeffekt sein, der bei gewohnheitsmäßigen Kaffeetrinkern zum Tragen kommt. Kürzlich untersuchte ein Team um Nuno Sousa von der portugiesischen Universität Minho die Erwartungshaltung von Kaffeeliebhabern in einem bemerkenswerten Experiment: Studienteilnehmer erhielten entweder einen Kaffee oder dieselbe Menge Koffein in Tablettenform. Zudem wurde ihre Gehirnaktivität direkt vor und 30 Minuten nach der Einnahme mittels Magnetresonanztomografie-Scans untersucht.

Zwar konnten bei beiden Gruppen nach dem Konsum Veränderungen im präfrontalen Kortex festgestellt werden, die auf eine Aktivierung hindeuteten. Allerdings zeigten sich bei den Probanden, die Kaffee getrunken und nicht bloß Koffeinkapseln geschluckt hatten, noch andere Effekte: Bei ihnen stieg die Konnektivität in höheren visuellen Kortexarealen und im Netzwerk für kognitive Kontrolle – beides Teile des Gehirns, die für das Arbeitsgedächtnis und das zielgerichtete Handeln wichtige Rollen spielen.

Sousa und Kollegen führen das im Fachblatt "Frontiers in Behavioral Neuroscience" auf die Erwartungshaltung zurück: "Diese Effekte zeigten sich spezifisch nach dem Kaffeetrinken und werden ausgelöst von Faktoren wie dem besonderen Geruch und Geschmack des Getränks oder der psychologischen Erwartung, die mit dem Konsum dieses Getränks verbunden ist." Dazu passt auch das Ergebnis eines Experiments, das vor einigen Jahren zu dem Ergebnis kam, dass allein schon der Duft von Kaffee leistungsfördernd wirken kann.

Für die Chronobiologin Reichert ist Kaffee aber viel mehr als ein Aufputschmittel. "In manchen Studien gibt es Anzeichen dafür, dass regelmäßiger Koffeingenuss vor neurodegenerativen Erkrankungen schützen könnte. Auch im psychiatrischen Bereich, zum Beispiel bei affektiven Störungen, weisen manche Studien nach, dass ein regelmäßiger Konsum günstig sein kann." Und dann gibt es, bei aller Selbstoptimierung, auch noch einen anderen guten Grund, sich eine heiße Tasse zu gönnen: den puren Genuss. Aber selbst der geht nicht spurlos am Belohnungszentrum des Gehirns vorbei. (David Rennert, 27.11.2023)