Der Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien nahe der Stadt Röszke.
Ob der Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien etwas bewirkt, wird angezweifelt.
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Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) reist am Montag in die südungarische Grenzstadt Szeged, um sich mit den Amtskollegen der Visegrád-Staaten (Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen) sowie der deutschen Ressortchefin Nancy Faeser zu treffen. Die Ministerrunde tagt im Wellness-Hotel Forrás, nur wenige Kilometer von jenem drei Meter hohen stacheldrahtbewehrten Zaun entfernt, den Ungarn im Herbst 2015 auf dem Höhepunkt der damaligen Fluchtbewegungen an der Grenze zu Serbien errichtete.

"Tagungsort und Thema haben einen inhaltlichen Bezug", schrieb das österreichische Innenministerium in einer Pressemitteilung am Freitag. Im Mittelpunkt der Gespräche stünden irreguläre Migration sowie die Bekämpfung von Schlepperkriminalität und "Asylmissbrauch". Auch eine Besichtigung der ungarischen Grenzanlage sei vorgesehen.

Tausende Pushbacks

Diese erstreckt sich auf 160 Kilometer entlang der gesamten Grenze zu Serbien. Ihre Effizienz wird bezweifelt, das Vorgehen der ungarischen Grenzsoldaten ist umstritten. Wenn die Grenzer Flüchtlinge und Migranten ertappen, die den Zaun überwunden haben, schieben sie sie unverzüglich durch Funktionstore im Zaun nach Serbien ab. Ein Asylantrag kann im Laufe dieser oft sehr kurzen Prozedur grundsätzlich nicht gestellt werden. Nach internationalem und europäischem Recht handelt es sich deshalb um illegale Pushbacks. Pro Woche ereignen sich laut Statistik des ungarischen Innenministeriums im Schnitt 2000 derartige Rückschiebungen.

Nirgendwo ist eine EU-Außengrenze auf dem europäischen Kontinent derart massiv verbaut und durch tausende Grenzsoldaten bewacht, wie dies an der ungarischen Grenze zu Serbien der Fall ist. Der Zaun mag die irreguläre Migration behindern, aufhalten kann er sie nicht. Vielmehr führte die Militarisierung dieses Grenzabschnitts dazu, dass auch die Schleuserbanden entsprechend "aufgerüstet" haben.

Angriffe und Scheinangriffe

Um die Chancen auf Durchbrüche zu erhöhen, organisieren die Schleuser mit den Migranten Angriffe und Scheinangriffe auf die Sperranlage und die Wächter, die sie verteidigen. Da werden an einer Stelle Steine, Flaschen und andere Gegenstände geworfen, damit an einer anderen Stelle dutzende oder hunderte Menschen mit Leitern über den Zaun steigen können. Teil dieser generalstabsmäßig geplanten Strategie ist es, dass die Schlepper ganze Waldstücke auf der serbischen Seite kontrollieren, wo sie ihre "Kunden" lagern lassen, um sie für die nächsten nächtlichen Angriffe vorzubereiten.

Seit etwa eineinhalb Jahren liefern sich die Schlepperbanden immer wieder Schießereien, bei denen es um die Kontrolle von Gebieten entlang der Grenze oder die Verteilung von "Kunden" geht. Dabei gibt es gelegentlich sogar Tote. Normalerweise finden die Kämpfe in den Wäldern außerhalb der Grenzorte Subotica, Horgoš und Hajdukovo statt. Im September wurde allerdings ein Migrant auf dem Parkplatz eines Großkaufhauses mitten in Subotica erschossen. Es war ein Glück, dass bei dem Zwischenfall an einem betriebsamen Nachmittag keine Unbeteiligten zu Schaden kamen.

Tote durch Schießerei

Die serbischen Behörden ließen die Banden bis vor kurzem bei ihrem Treiben unbehelligt gewähren. Serbischen Medienberichten zufolge sollen hohe Polizeioffiziere von den Schlepperbossen bestochen worden sein. Ende Oktober fielen einer Schießerei bei Horgoš drei Migranten zum Opfer, es war der bisher schlimmste Zwischenfall dieser Art. Belgrad legte daraufhin den Schalter um. Bis zum heutigen Tag durchkämmen Großaufgebote der Bereitschaftspolizei die Wälder entlang der ungarischen Grenze. 6600 Flüchtlinge und Migranten wurden seitdem aufgegriffen und ins Landesinnere gebracht, 31 Schnellfeuergewehre und 12 Pistolen sichergestellt, 277 mutmaßliche Schlepper oder Helfer festgenommen, teilte das serbische Innenministerium am Samstag mit.

Die nunmehr massive Präsenz der serbischen Polizei im Grenzraum hat den Schleppern das Geschäft vorerst verhagelt. Die ungarische Statistik weist für die ersten drei Novemberwochen gerade mal 108 Pushbacks aus. Die Frage ist aber, wie lange das serbische Innenministerium diesen Aufwand aufrechtzuerhalten vermag. Die Schlepperei ist ein Millionengeschäft. Ihre Profiteure haben den langen Atem, um derlei auszusitzen. (Gregor Mayer aus Subotica, 27.11.2023)