Abgefangene Briefbombe
Ein Bild aus dem Archiv: Im Oktober 1995 konnte diese Briefbombe abgefangen und entschärft werden.
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Eines macht Robert Sturm, Chefinspektor im Ruhestand, gleich zu Beginn klar: "Auch dreißig Jahre nach Beginn des Bombenterrors von Franz Fuchs gibt es keine Erkenntnisse, wonach es damals Mittäter gab." Nur, falls das zur Sprache kommen sollte, sagt er. Sollte es natürlich. Robert Sturm war Sprecher der polizeilichen Sonderkommission, die die Aufgabe hatte, den umfangreichsten Terrorfall der Zweiten Republik zu klären: die fremdenfeindlich und rassistisch motivierten Bombenattentate der selbsternannten "Bajuwarischen Befreiungsarmee", bei denen im Verlauf von drei Jahren vier Menschen ermordet und 15 weitere zum Teil schwerstens verletzt wurden. Die erste Briefbombe detonierte am 3. Dezember 1993.

"Es war ein Freitag", erinnert sich Sturm im Gespräch, das DER STANDARD gemeinsam mit der Austria Presse Agentur geführt hat. Kurz nach elf Uhr kam damals aus Hartberg in der Steiermark die Meldung, dass dort im Pfarramt der Pfarrer und Flüchtlingshelfer August Janisch durch eine Explosion verletzt worden sei. Wenig später wiederholte sich das Schreckensszenario in der Minderheitenredaktion des ORF, wo eine Redakteurin und eine Sekretärin ebenfalls verletzt wurden. Die Öffentlichkeit wurde via Fernsehen und Zeitungen gewarnt. "Es war die Zeit vor dem Internet. Selbst Handys waren noch nicht weitverbreitet", gibt Sturm zu bedenken.

Anschlag auf Helmut Zilk

Insgesamt sechs weitere Briefbomben der ersten Serie konnten tatsächlich abgefangen und entschärft werden, doch drei detonierten noch. Eine davon verletzte am 5. Dezember den Wiener Bürgermeister Helmut Zilk in seiner Privatwohnung in der Naglergasse lebensgefährlich. "Der Knall war bis in das Büro der Staatspolizei auf dem nahegelegenen Innenstadtplatz Am Hof zu hören", so Sturm. Zilks rechte Hand war zerfetzt, doch schon am Tag nach der Notoperation trat der Bürgermeister an die Öffentlichkeit und kündigte an, vor staatsfeindlichen Umtrieben keinen Millimeter zurückzuweichen.

Österreich war paralysiert, die Polizei tappte völlig im Dunkeln. "Wir hatten Erfahrungen mit Anschlägen von radikalpalästinensischen Terroristen in den 1980er-Jahren, aber diese Art von Attentaten war völlig neu", so Sturm. Schnell war klar, dass man es mit jemandem zu tun habe, der hochbrisanten Sprengstoff (Quecksilberfulminat, Nitroglycerin) selbst herstellen konnte. Dazu kamen, wie der Öffentlichkeit erst später mitgeteilt wurde, Bekennerbriefe. Die Schreiben strotzten vor Politikerbeschimpfungen, Ausländerfeindlichkeit, Deutschtümelei und absurden Ausführungen zur Geschichte der Germanen. "Heute würde man dazu Fake News und Hatespeech sagen", zieht Sturm Parallelen zur Gegenwart.

Die erste Stoßrichtung der Ermittlungen gegen Neonazikreise ging in die völlig falsche Richtung. Worüber sich der oder die Bekennerbriefschreiber sogar lustig machten. Die Polizei und damit auch die Politik gerieten immer mehr unter Druck.

Bombe in Klagenfurt

Doch das Schlimmste sollte erst noch kommen: Am 24. August 1994 wurde bei der zweisprachigen Rennerschule in Klagenfurt eine Rohrbombe entdeckt. "Wenn die hochgegangen wäre, hätte es viele Tote gegeben", so Sturm. Als der sprengstoffkundige Gendarm Theo Kelz das bereits entleerte Rohr in der Röntgenstraße am Flughafen durchleuchten wollte, kam es zur Detonation, die ihm beide Hände wegriss. Ein anderer Beamter wurde durch die Wucht durch eine Glastür geschleudert. Bei Kelz wurde Jahre später an der Uniklinik Innsbruck erfolgreich eine beidseitige Unterarm- und Handtransplantation durchgeführt.

"Und dann kam Oberwart", sagt Sturm, und macht eine kleine Pause, bevor er weitererzählt. Mit einer Sprengfalle bei der Roma-Siedlung in der südburgenländischen Bezirkshauptstadt wurden Josef Simon, Karl Horvath, Erwin Horwath und Peter Sarközi ermordet. Die Bombe war einem mobilen Verkehrszeichen nachempfunden und stand auf der Schotterstraße ganz in der Nähe der Siedlung. Als die vier Männer kurz vor Mitternacht das seltsame Gebilde mit der Tafel "Roma zurück nach Indien" inspizieren wollten, lösten sie den Rüttelzünder aus.

Kollektives Gedächtnis

Wie sehr sich der Oberwarter Anschlag ins kollektive Gedächtnis in Österreich eingebrannt hat, zeigte die erst jüngst zu Ende gegangene Jubiläumsausstellung zu 100 Jahre Burgenland in der Friendensburg Schlaining, wo Reste der Bombe ausgestellt waren und den Opfern gedacht wurde. Auch die Sprengfalle in Form einer Spraydose, die zwei Tage nach dem Oberwarter Vierfachmord in Stinatz einen Mitarbeiter der Müllentsorgung verletzt hatte, war Teil der zeitgeschichtlichen Ausstellung. "Eigenartigerweise hat der Anschlag von Oberwart auch Franz Fuchs selbst berührt, zumindest dann, als er bereits verhaftet war. Wenn bei den langen Einvernahmen die Rede auf seine Mordopfer kam, hatte er Tränen in den Augen", erinnert sich Sturm.

Reste der Oberwarter Sprengfalle bei der Ausstellung
Reste der Sprengfallen von Oberwart und Stinatz in der Jubiläumsausstellung "Wir sind 100. Burgenland schreibt Geschichte" in der Friedensburg Schlaining.
Michael Simoner

"Oberwart hat alles verändert", sagt Sturm, auch polizeiintern. Schon zwei Monate später gab es einen Wechsel im damals SPÖ-geführten Innenministerium, Caspar Einem löste Franz Löschnak ab. Auch die Staatspolizei erhielt einen neuen Leiter und die Spezialeinheiten wurden neu aufgestellt. Robert Sturm war endgültig Sprecher der Soko und damit rund um die Uhr Ansprechpartner für hunderte Medienanfragen täglich aus aller Welt.

Täterprofil grenzte Suche ein

Der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Michael Sika, engagierte schließlich den Kriminalpsychologen Thomas Müller, der in den USA zum Profiler ausgebildet worden war. Der erstellte ein Täterprofil, das, wie sich später herausstellen sollte, erstaunlich genau auf Franz Fuchs passte: männlich, um die 50, wohnhaft in einem Einfamilienhaus in Ost- oder Südösterreich, alleinstehend, mobil, chemisch und technisch versiert, historisch interessiert, belesen, ordnungsliebend, Zyniker. Diese Beschreibung grenzte den Personenkreis ein, traf aber natürlich nicht nur auf Fuchs zu. "Wie oft haben wir geglaubt, dass wir den Täter jetzt haben, weil scheinbar alles passte", erzählt Sturm. 150 Hausdurchsuchungen habe es wegen eines konkreten Tatverdachts gegeben.

Als Fuchs sich 1997 praktisch selbst verriet, weil er auch durch die Ankündigung der damals neuen Rasterfahndung (ein Datenabgleich im großen Stil) in die Enge getrieben wurde, war es schon fast ein Jahr her, dass er die letzte seiner insgesamt 25 Briefbomben versandt hatte. Sie war an Lotte Ingrisch, die Stiefmutter von Innenminister Einem, adressiert gewesen. Die Polizei hatte das verdächtige Kuvert aus dem Verkehr gezogen, bei der Untersuchung detonierte die Briefbombe jedoch.

Letzte Explosion in Gralla

Mit einer Explosion endete schließlich auch das Katz-und-Maus-Spiel. Am 1. Oktober 1997 alarmierten zwei Frauen die Polizei, weil sie sich im steirischen Gralla von einem Autofahrer verfolgt fühlten. Bei der Kontrolle des verdächtigen Fahrzeuges stieg ein Mann aus und zündete eine Bombe in seinen Händen. Nach dem Knall lief der Mann weg. Als ihn einer der Gendarmen einholte und ihm die Handschellen anlegen wollte, bemerkte er, dass sich der Verdächtige beide Hände weggesprengt hatte. Der Rest ist Geschichte: Franz Fuchs wurde am 10. März 1999 einstimmig zu lebenslanger Haft und Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilt. Ein knappes Jahr später beging er in der Justizanstalt Graz-Karlau Suizid.

Franz Fuchs bei seinem Prozess im Jahr 1999.
Franz Fuchs vor Beginn seines Prozesses am 2. Februar 1999 im Grazer Straflandesgericht.
APA/ Hans Techt

Auch wenn Fuchs stets behauptete, nur Teil einer Terrororganisation zu sein – "er war hundertprozentig allein. Er hätte in seinem Hang zur Perfektion nie jemand anderen neben sich akzeptiert", ist sich Robert Sturm sicher. Außerdem gab es nie stichhaltige Sachbeweise für Mittäter. Im Sockel der Oberwarter Bombe wurde durch eine Restwasseranalyse festgestellt, dass sie aus dem Raum Leibnitz stammen musste. In einem aufwendigen Gerichtsgutachten, das später im "Journal of Forensic Sciences" veröffentlicht wurde, hatten Geotechniker und Isotopenanalytiker sogar feststellen können, in welchem Raum Franz Fuchs die Bomben gebaut haben musste. Auch Sprengstoffe und eine als Blumentopf getarnte Sprengfalle wurden bei Fuchs sichergestellt. Die Schreibmaschine und der Drucker, die den Bekennerbriefen zugeordnet wurden, konnten hingegen nie sichergestellt werden. "Fuchs hatte viel Zeit, belastendes Material verschwinden zu lassen", ist Sturm überzeugt.

Grenze der Belastbarkeit

Den Job als Soko-Sprecher, den er nie angestrebt hatte, der ihm zugeteilt wurde, weil er gut organisieren kann, hat Sturm als unglaublich fordernd erlebt. Der permanente Stress forderte seinen Tribut. Sturm erlitt mehrere Herzinfarkte, kehrte direkt aus der Reha zurück ins Geschäft. 2003 musste er dann im Alter von 51 Jahren vorzeitig den Ruhestand antreten. Sein Porträt möchte er nicht mehr in den Medien sehen. "Wenn du ständig angesprochen wirst, weil dich die Leute aus den Medien kennen, hast du keine Ruhe mehr. Du kannst nirgends mehr hingehen." Aber das will Robert Sturm vermeiden. Er geht viel, etliche Kilometer pro Tag. (Michael Simoner 30.11.2023)