AquaMaof, Lachs, Indoor-Zucht
Statt im Netzgehege im Meer sollen die Lachse in Indoor-Becken aufwachsen.
AquaMaof

Noch fällt es schwer, sich vorzustellen, dass der kleinen Stadt Gmünd im nordwestlichen Waldviertel bald Großes bevorsteht. Dass über der braunen Ackerfläche zwischen Wald und Industriehallen bald tausende Fische schwimmen. Dass dort, direkt an der Grenze zu Tschechien, bald die größte Indoor-Lachsfarm Österreichs steht. Der Lachs – nicht aus der Aquakultur in Norwegen oder als Wildlachs aus dem Atlantik, sondern direkt aus dem Waldviertel?

"Wir stehen kurz vor dem Beginn der Bauphase", sagt Markus Habermann von dem Unternehmen Waldlachs. Mitte 2024 könne man mit dem Bau beginnen. 3000 Tonnen Lachs wolle man im Waldviertel ab 2026 jedes Jahr produzieren und damit ein Drittel des heimischen Lachsbedarfs decken. 70 Millionen Euro kostet die Anlage das Unternehmen, an dem auch der ehemalige Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) beteiligt ist.

Große Versprechen

Dabei geht es um mehr als das Sushi aus Österreich. Mit der Lachsfarm wolle man einen Beitrag zur Selbstversorgung Österreichs, zum Schutz der Weltmeere und zur Reduktion von CO2 leisten, beispielsweise indem weite Transportwege vermieden werden. So lauten die großen Versprechen, die auf der Website von Waldlachs prangen. Statt in Meerwasser schwimmt der "Waldlachs" laut Unternehmen in Waldviertler Wasser, frisst hochwertiges Futter, lebt stressfrei und gesund und darf als krönenden Abschluss seines Lebens durch seinen "natürlichen" Geschmack und seinen hohen Anteil an Omega-3-Fettsäuren dazu beitragen, das Waldviertel zu einem "kulinarischen Hotspot" zu machen, wie es Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ausdrückte.

Auch in Gmünd erhofft man sich einiges von dem Projekt. Seit Jahren kämpft die 5000-Einwohner-Stadt mit Abwanderung und einer Überalterung der Gesellschaft. Während die Städte rund um Wien wegen eines Zuviel an Zuzug jammern, verschlägt es nur wenige ins "ferne" nordwestliche Waldviertel. "Wenn das alles richtig und gut umgesetzt wird, bringt das sicher einen Aufschwung für die Region", sagt Gmünds Bürgermeisterin Helga Rosenmayer (ÖVP). "Wir brauchen den Zuzug, und dafür müssen wir unter anderem Arbeitsplätze schaffen." 100 Jobs sollen durch das Projekt in Gmünd entstehen, von Fischfiletierern bis hin zu Technikerinnen, die sich um die Maschinen und Anlagen kümmern.

Waldlachs, Gmünd, Lachszucht
Die Anlage soll auf einem Feld neben dem Access Industrial Park in Gmünd errichtet werden.
Waldlachs

Weltweit Lachsfarmen

Die "Wanderung" des Lachses vom Atlantischen Ozean zur Indoor-Farm im Waldviertel ist alles andere als selbstverständlich. "Um Lachse an Land züchten zu können, muss man eine sehr sensible Technik beherrschen", sagt Habermann. Lachse sind sehr vielseitige Lebewesen: Im Laufe ihres Lebens wechseln sie vom Süßwasser der Flüsse ins Salzwasser der Meere und wieder zurück und stellen dabei immer wieder ihren Stoffwechsel um. "Es braucht eine Umgebung, die so naturnah wie möglich ist", sagt Habermann. Die spezielle Technologie für die Lachszucht soll das israelische Unternehmen Aquamaof liefern, das bereits viel Erfahrung auf diesem Gebiet habe.

Die Website von Aquamaof lässt erkennen, dass das Waldviertel tatsächlich kein Pionier bei der Indoor-Lachszucht ist. Zu den bisherigen Projekten von Aquamaof zählen unter anderem eine Anlage neben dem Mount Fuji in Japan, in der mehr als 5000 Tonnen Lachs pro Jahr produziert werden, eine Lachsfarm in der Stadt Wologda, rund 400 Kilometer nördlich von Moskau, die bald 2500 Tonnen Lachs produzieren soll, sowie eine Lachszuchtforschungsstationen in der Nähe von Warschau in Polen.

Nicht ganz "naturnah"

Ganz so "naturnah", wie es Habermann ausdrückt, sehen die von Aquamaof geplanten Lachsfarmen jedoch nicht aus, wie die Videos auf der Website zeigen: In gewaltigen runden Becken schwimmen tausende Lachse gegen die künstliche Strömung. Von langen Leitungen rieselt das Futter automatisch ins Wasser. Sobald die Lachse schwer genug sind, gelangen sie über Förderbänder zur Schlachtung und enden dann als Sushi in Restaurants oder als Lachsfilet im Supermarkt.

AquaMaof, Lachs, Indoor-Zucht
Die Lachse werden in großen Becken gezüchtet, in denen das Wasser laufend gereinigt wird.
AquaMaof

"Wir versuchen die optimalen Bedingungen zu schaffen, damit die Lachse möglichst schnell und gut wachsen können", sagt Neder Snir, Geschäftsführer von Aquamaof. Die Technologie hinter der Indoor-Zucht ist ausgeklügelt: In einer ersten Station werden die Brütlinge in Süßwasser aufgezogen und deren Ausscheidungen laufend gefiltert. Danach werden die bereits etwas größeren Lachse über Wasserkanäle automatisch zu weiteren Becken geleitet, in denen das leicht salzhaltige Wasser ebenfalls mithilfe von Filtern laufend gereinigt und wieder mit Sauerstoff angereichert wird. Durch diese Fließbandtechnik könne sichergestellt werden, dass jedes Becken gut genutzt wird, sagt Snir. Das Abwasser, das bei der Lachszucht anfällt, könne aufgrund der Nitrate, die darin enthalten sind, und des nur geringen Salzgehalts wiederum gut für die Landwirtschaft eingesetzt werden.

Fische "züchterisch manipuliert"

Einigen stößt diese Art der Zucht sauer auf. Das hat im Vorfeld der Bauarbeiten in Gmünd bereits zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. "Die Lachse müssen in solchen Fischfabriken in unnatürlichen Wasserbecken mit viel zu vielen Fischen auf zu engem Raum leben", sagt Erich Schacherl vom Verein gegen Tierfabriken (VGT). Wassertemperatur und Wasserqualität würden ständig unnatürlich beeinflusst, um die Fische züchterisch zu manipulieren. Ihre natürlichen Verhaltensweisen können die Fische in solchen Fabriken keinesfalls ausleben. "Aus Tierschutzsicht bedeutet das, dass ihnen Schmerzen und Qualen zugefügt werden", sagt Schacherl.

Der Verein hat vor kurzem gemeinsam mit dem Verein Tierschutz Austria eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht. Der Grund: Das Amt der niederösterreichischen Landesregierung habe in einem Bescheid festgestellt, dass die Lachszucht keiner Umweltverträglichkeitsprüfung unterliege. Eines der Bedenken der Vereine: Die rund zwei Hektar große Anlage könnte mit ihrem täglichen Frischwasserverbrauch von rund 500 Kubikmetern die Wasserversorgung in Gmünd gefährden.

Bei Waldlachs kann man der Kritik wenig abgewinnen. "Die Wasserversorgung in Gmünd ist keineswegs gefährdet", sagt Eli Sananes, Geschäftsführer von Waldlachs. Die Wassermengen, die für die Anlage benötigt werden, seien gering im Vergleich zur Menge, die insgesamt zur Verfügung stehe, was auch externe Gutachten bestätigen würden. Die Beschwerde der Tierschutzvereine sei vom Bundesverwaltungsgericht abgelehnt worden. "Wir sitzen in Gmünd auf zwei unterirdischen Seen", sagt Bürgermeisterin Rosenmayer. Es sei genug Wasser für die Anlage vorhanden.

Was die Kritik an der Tierhaltung betrifft, sollte man diese Argumente mal in den Kontext setzen, sagt Sananes. "Wer heutzutage Fisch isst, bekommt zumeist Fisch aus alter Netz-Aquakultur-Technik." Dort werden die meisten Lachse auf engem Raum, in schmutzigem Wasser, mit Medikamenten und unter Stress in Netzgehegen im Meer gehalten. Im Vergleich dazu biete die Indoor-Zucht den Lachsen eine stressfreie Umgebung, in der sie gegen eine Strömung schwimmen können, das richtige Futter bekommen und keine Medikamente oder Impfungen brauchen.

Weniger Krankheiten

Tatsächlich haben herkömmliche Aquakulturen, wie es sie etwa vor den Küsten Norwegens oder Islands gibt, seit Jahren mit Problemen zu kämpfen: Lachsläuse dezimieren in den Netzgehegen im Meer immer wieder die Lachszucht und springen von dort auf den Wildlachs über. Um den Ausbruch von Krankheiten zu verhindern, müssen die Lachse regelmäßig mit Medikamenten behandelt werden. Zudem belasten die Ausscheidungen der Tiere das Wasser und den Meeresboden in der Umgebung. Immer wieder entkommen gezüchtete Lachse auch aus den Gehegen und verdrängen teilweise Wildlachse aus ihren Gebieten, warnen Tierschützerinnen und Tierschützer.

Im Vergleich dazu sollen die Indoor-Lachsfarmen laut Aquamaof zur sauberen und nachhaltigen Zukunft der Lachszucht werden. "In den Indoor-Becken finden die Lachse so gute Lebensbedingungen wie nirgendwo sonst", sagt Snir. Das Risiko, dass Krankheiten ausbrechen, könne auf ein Minimum reduziert, die Wasserqualität laufend überprüft und der Wasserverbrauch durch ein neues Kreislaufsystem stark reduziert werden. Zudem ermöglichen es Indoor-Farmen, künftig überall auf der Welt Lachs regional zu produzieren, damit weite Transportwege einzusparen und den wachsenden Fischbedarf zu decken, so Snir.

Lachs, AquaMaof, Neder Snir, Indoor-Zucht
Neder Snir, Geschäftsführer von Aquamaof, will die Indoor-Zucht überall auf der Welt etablieren.
AquaMaof

"Nahrungsmittelveredelung für reiche Leute"

Ist die Indoor-Lachszucht tatsächlich so nachhaltig, wie Unternehmen vorgeben? Wissenschafter wie der deutsche Meeresbiologe Rainer Froese bezweifeln das. Bei der Indoor-Lachszucht handle es sich um eine "Nahrungsmittelveredelung für reiche Leute zwecks Erwirtschaftung von Gewinnen", sagt Froese. Da Lachse Raubfische sind, müsse man bei der Zucht mehr Nahrungsmittel wie Getreide, Soja und andere Fische verfüttern, als am Ende neu produziert werden. Mit der "Rettung der Meeresfische" oder der "Ernährung der Menschheit" habe die Lachszucht gar nichts zu tun, sagt Froese. Der Meeresbiologe plädiert stattdessen dafür, die natürlichen Lachsbestände Europas wiederaufzubauen und nachhaltig zu nutzen.

Nicht alle sehen das so. "Ich halte die Argumente von Herrn Froese für sehr blauäugig", sagt Werner Kloas, Leiter der Abteilung Ökophysiologie und Aquakultur am Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Wenn man sich ansehe, welche Futtermittel nach wie vor in die Fleischproduktion fließen, komme die Fischzucht vergleichsweise gut weg. Denn während Rinder beispielsweise rund acht Kilogramm Futter benötigen, um ein Kilogramm Körpermasse aufzubauen, brauche der Lachs dafür typischerweise nur circa ein Kilogramm Futter mit einem Proteinanteil von 60 Prozent. "Lachse liegen damit etwa im Bereich von Schweinen", sagt Kloas.

Auch die Ansicht, wonach für die Fischzucht sehr viel Fischmehl benötigt werde – also mehr Fische gefangen werden müssen, um neue Fische zu produzieren – sei veraltet. "In den meisten Fällen werden heutzutage hauptsächlich pflanzliche Proteine aus Soja oder Erbsen als Futter genutzt und weniger Fischmehl, das dann auch größtenteils nicht aus Futterfängen stammt, sondern als Schlachtabfall von Fangfisch oder Aquakulturfisch", sagt Kloas. Als Proteinquelle für die Fische könne man aber auch Geflügelmehl verwenden, das in großen Mengen als Beiprodukt bei der Geflügelproduktion entsteht.

Insekten und Algen als Futter

Bei Waldlachs heißt es, man wolle mit Fischfutterproduzenten zusammenarbeiten, die möglichst wenig Fisch für die Herstellung des Futters verwenden. Bei diesen betrage der Anteil an Fischmehl oder Fischöl im Futter meist weniger als 40 Prozent, und sie setzen zunehmend auf pflanzliche Proteine.

Generell sei es schwierig, von den Produzenten eine umfassende Transparenz zur Herstellung des Futters zu bekommen, sagt Snir. Es werde jedenfalls damit experimentiert, künftig Insektenmehl oder Algen als Futter zu nutzen. Zudem werde das Futter über ein synthetisches Mittel angereichert, das dem Lachs seine rosa Farbe verleiht. Diese erhält der Lachs in der Natur durch den Verzehr von Krabben, die in der Aquakultur jedoch fehlen. "Das ist natürlich reines Branding, das von der Netz-Aquakultur-Industrie bereits seit langem gemacht wird", sagt Snir.

Lachs, AquaMaof
Die rosa Farbe des Lachses, die normalerweise durch Krabben als Futter zustande kommt, wird heute meist über synthetische Futterzusätze erreicht.
AquaMaof

Lachslaus überwinden

Wissenschafter wie Kloas sehen in landbasierten Fischfarmen jedenfalls viel Zukunft. Sofern die Menschheit weiter Fisch isst, seien solche Systeme aus Umwelt- und Tierwohlsicht zu bevorzugen. Denn im Vergleich zu Aquakulturen im Meer seien Indoor-Farmen geschlossene Systeme, die sich viel genauer kontrollieren lassen.

Mithilfe der Biofilter könne man dort das giftige Stoffwechselendprodukt von Proteinen, Ammonium, zu Nitrit und Nitrat umwandeln, während die Lachse ansonsten im Meer diese Stickstoffemission einfach über die Kiemen in die Umgebung ausscheiden und dadurch Algenblüten verursachen können. Das in geschlossenen Kreislaufsystemen gebildete Nitrat kann wiederum als Flüssigdünger in der Pflanzenzucht zum Einsatz kommen. "Da besteht ein riesiges Potenzial, energieintensiven Kunstdünger zu ersetzen und neue Wertschöpfungsketten zwischen Fischfarmen und Gewächshäusern zu schaffen", sagt Kloas.

Zudem lasse sich in Indoor-Anlagen die Wasserqualität genau überprüfen. "Dass in so einer Anlage bakterielle Infektionen oder Parasiten wie die Lachslaus auftreten, ist unwahrscheinlich", sagt Kloas. Antibiotika brauche man deshalb nicht.

Auch dass Lachse in Indoor-Zuchtstationen leiden müssen, bezweifelt Kloas. "Wenn die Wasserqualität, die Fütterung und die Haltungsdichte in Ordnung sind, wird man am Tier keinen erhöhten Stresshormonspiegel feststellen." Der Lachs ist ein Schwarmfisch, der sich in der Gruppe wohlfühle. Man müsse das richtige Maß finden zwischen zu wenigen und zu vielen Lachsen in einem Becken, denn in beiden Fällen seien Lachse dadurch gestresst und benötigen dadurch auch mehr Futter. "Das liegt weder im Interesse des Tieres noch des Züchters", sagt Kloas. Die Technologie hinter der Indoor-Lachszucht sei jedenfalls bereits sehr gut ausgereift und könnte künftig noch in viel mehr Anlagen auch ohne Meerwasser zum Einsatz kommen.

Kombination mit Aquakulturen

Dass die neuen Indoor-Farmen die alte Netz-Aquakultur-Technik zur Gänze ersetzen werden, glaubt Snir nicht. Vielmehr könnten sich beide Bereiche in Zukunft ergänzen, sagt er. Denn schon jetzt setze die herkömmliche Aquakultur auf dieselbe Technologie der Indoor-Anlagen, um junge Lachse großzuziehen, bevor die Lachse dann in den Netzgehegen im Meer weiterwachsen. Werden diese Indoor-Zuchtstationen künftig ausgebaut, können die Lachse noch längere Zeit in der antibiotikafreien Indoor-Zucht bleiben, sagt Snir. Dadurch wachsen die Fische schneller und verbringen weniger Zeit mit den Schädlingen im Meer, wodurch sie der Umwelt weniger schaden und auch selbst weniger Umweltrisiken ausgesetzt sind.

Bis der erste Lachs von der Indoor-Anlage im Waldviertel am Großmarkt landet, dauert es noch mindestens zwei bis drei Jahre. Gmünds Bürgermeisterin Helga Rosenmayer scheint aber schon jetzt ein klares Bild zur Zukunft zu haben: "Gmünd wird durch die Anlage zur Fischhauptstadt Österreichs werden", sagt sie. Ab dann könnte die kleine Stadt den Rest des Landes mit Lachs beliefern – mit mehr oder weniger gutem Gewissen. (Jakob Pallinger, 24.12.2023)