Vielen Passanten kam die Frau mit den rötlich-blonden Haaren, die am Montag vor dem Weißen Haus protestierte, bekannt vor: Als Miranda Hobbes in der Kultserie "Sex and the City" hat die Schauspielerin Cynthia Nixon ein Millionenpublikum unterhalten. Doch der jüngste Auftritt der 57-Jährigen hätte kaum brutaler mit der unbeschwerten Welt der TV-Serie kontrastieren können.

"Ich stehe hier als Mutter von jüdischen Kindern, deren Großeltern den Holocaust überlebt haben", stellte sich Nixon vor. Dann beklagte sie die laut Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörde mehr als 13.000 Opfer der israelischen Bodenoffensive in Gaza: "In sieben Wochen hat Israel mehr Zivilisten auf einem engen Landstreifen getötet als die USA in 20 Jahren in ganz Afghanistan. Ich kann es nicht mehr hören, wenn Leute sagen, dies sei der normale Preis eines Krieges."

Schauspielerin Cynthia Nixon schloss sich einem Hungerstreik vor dem Weißen Haus an.
IMAGO/Tom Williams

Nixon, die sich 2018 vergeblich um die demokratische Kandidatur für das New Yorker Gouverneursamt beworben hatte, gehörte zu einer Gruppe linker Demonstranten, die am Montag einen Hungerstreik für einen dauerhaften Waffenstillstand im Gaza-Krieg begannen. Fünf Abgeordnete aus Bundesstaatsparlamenten wollen fünf Tage lang keine Nahrung zu sich nehmen. Nixon unterstützte sie eher symbolisch für einen Tag. Der Ort des Protests vor dem Weißen Haus ist bewusst gewählt. "Biden, Sie lassen Gaza verhungern!", stand auf einem Plakat. Nixon appellierte an die Empathie des Präsidenten: "Stellen Sie sich vor, die Kinder in Gaza wären Ihre Kinder. Die derzeitige Feuerpause muss dauerhaft werden!"

Laute Kritik in der Partei

Seit Beginn der israelischen Militärschläge im Gefolge des Hamas-Massakers vom 7. Oktober steht Joe Biden unter wachsendem Druck des linken Flügels seiner Partei, den Krieg im Gazastreifen zu beenden. Vor allem jüngere Wähler und Demokraten-Anhänger mit Migrationshintergrund wenden sich in Scharen von dem Politiker ab, der sich von Anfang an demonstrativ an die Seite Israels gestellt hat. Laut Umfragen stimmen mehr als 40 Prozent der demokratischen Wähler nicht mit Bidens Position überein, in der Gruppe der 18- bis 34-Jährigen sind es laut einer NBC-Erhebung sogar 70 Prozent. Zwei Dutzend Kongressabgeordnete um die progressive Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez fordern eine sofortigen dauerhaften Waffenstillstand, mehr als 400 Regierungsmitarbeiter haben eine Petition mit dem Anliegen unterzeichnet.

Die derzeitige Situation verschafft Biden nur eine kurze politische Atempause. Unermüdlich hatte sich der 81-Jährige für den nun bis Donnerstagmorgen verlängerten Geisel-Deal eingesetzt und direkt oder über seinen Nahost-Koordinator Brett McGurk mit den Regierungen in Katar, Ägypten und Israel verhandelt. Nach US-Medienberichten telefonierte Biden persönlich mehr als ein Dutzend Mal mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu.

Antikriegsdemonstrationen verfolgten Ende Oktober auch Außenminister Antony Blinken bei einer Anhörung im Senat.
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Entsprechend erleichtert wirkte der US-Präsident, als er während seines kurzen Thanksgiving-Urlaubs auf der Insel Nantucket vor der Küste von Massachusetts am Sonntag die Freilassung eines vier Jahre alten US-amerikanischen Mädchens bekanntgeben konnte, das die Ermordung seiner Eltern beim Hamas-Massaker miterlebt hat und anschließend entführt wurde. Ausdrücklich wies Biden auf die "unermüdlichen diplomatischen Bemühungen" im Hintergrund hin.

"Können nicht so weitermachen"

Der US-Präsident hat früh vor einer Vergeltung aus reiner Wut gewarnt und an humanitäre Werte erinnert. Er hat aber bisher jede öffentliche Kritik an Netanjahus Bodenoffensive vermieden und unterstützt die Forderung nach einem Waffenstillstand nicht. Der innenpolitische Druck dürfte daher weiter zunehmen, sobald das israelische Militär seine Bombardements im Gazastreifen wiederaufnimmt. Die bedingungslose Unterstützung durch den US-Präsidenten werde dann "immer schwieriger", sagte der ehemalige Obama-Berater Ben Rhodes im Sender MSNBC voraus, und Ex-CIA-Chef John Brennan erklärte apodiktisch: "Die Israelis können nicht so weitermachen wie in den vergangenen sechs Wochen."

Präsident Joe Biden warnt Israel offenbar vor einem zu harten Einsatz – wenn auch, freilich, nur hinter den Kulissen.
AP/Stephanie Scarbrough

Hinter verschlossenen Türen scheint auch die Biden-Regierung warnende Signale Richtung Israel auszusprechen. Eine bevorstehende Offensive im Süden des Gazastreifens müsse "sorgfältig durchdacht" sein, erklärte am Montag ein ranghoher Regierungsbeamter in Washington: Das Bombardement des Nordens dürfe keinesfalls wiederholt, weitere Vertreibungen der Zivilbevölkerung müssten vermieden werden. Das geplante 14-Milliarden-Dollar-Hilfspaket für Israel unter Bedingungen zu stellen, wie das von einigen moderat linken Senatoren gefordert wird, lehnt der Präsident aber ab.

Den Demonstrierenden vor dem Weißen Haus, die ein sofortiges dauerhaftes Ende der Kampfhandlungen fordern, geht das alles nicht weit genug. Bis zum Ende der Woche wollen sie ihren Hungerstreik fortsetzen. Am Mittwoch wollen bei ihnen neben Cynthia Nixon auch prominente Kongressabgeordnete reden. Den Protest vor seiner Tür wird Biden kaum übersehen können. (Karl Doemens aus Washington, 29.11.2023)