Bild einer Salamipizza mit Mozzarella und Tomaten.
Die nicht unbedingt bestimmungsgemäß verwendete Sauce für den belegten Fladen spielt in einem Strafverfahren um beharrliche Verfolgung eine gewisse Rolle.
AP

Wien – "Passen Sie auf, was Sie tun im Internet", spricht Richterin Michaela Röggla am Ende des Verfahrens ein großes Wort recht gelassen aus. Wobei unklar ist, wen genau sie warnt: den 21-jährigen Angeklagten oder das 17 Jahre alte Opfer? Die beiden sind in einen einigermaßen kuriosen Fall von beharrlicher Verfolgung verwickelt. Der Angeklagte aus Wien soll gemeinsam mit unbekannten Tätern den in einem anderen Bundesland lebenden Teenager von Mitte September bis Ende Jänner drangsaliert haben, indem er ihm 44-mal Speisen liefern ließ – zum Teil klingelten die Zusteller um drei oder vier Uhr nachts.

Der unbescholtene Angeklagte und sein Verteidiger Roland Friis plädieren aber auf nicht schuldig. "Ich habe ihm zwei Mal etwas liefern lassen, das war am 21. November und am 16. Dezember. Aber das war auf seinen Wunsch!", beteuert der angehende Student. "Woher kennen Sie sich?", will die Richterin vom Angeklagten wissen. Wie sich herausstellt, ist die Bekanntschaft, wie in der Generation Z oft üblich, lediglich virtuell. "Ich habe bei einem Kleinunternehmen ein Social-Media-Praktikum gemacht", erzählt der Angeklagte. Das Opfer sei Cutter gewesen, gekannt habe man sich nur über Gruppenchat-Programme. Lediglich einmal habe er ihn im Rahmen eines Videotelefonats gesehen.

In den Chats habe der Teenager geklagt, dass er die Hauptschule abgebrochen und kein regelmäßiges Einkommen habe. "Er hat meinen Chef aufgefordert, ihm Essen zu bestellen. Und zwei Mal hat er mich gebeten, dass ich ihm was liefern lasse." Aus Mitleid habe er den Wunsch erfüllt, sagt der Angeklagte. An die erste Lieferung könne er sich sogar genau erinnern, da dabei aus Spaß Pizzasauce als Salatdressing geordert worden sei, worüber im Chat gescherzt wurde. "Aber ich habe beide Male bezahlt", bekräftigt der 21-Jährige.

Order nur an zwei Tagen nachweisbar

"Da muss ich Ihnen aber schon vorhalten, dass Ihnen fünf Bestellungen zugeordnet werden konnten", wirft Röggla ein. Wie jedoch nach dem Studium der Unterlagen selbst die Staatsanwältin zugeben muss, gab es am 21. November zwar vier Bestellungen, die aber innerhalb von drei Minuten getätigt worden sein sollen. Im Dezember gab es dagegen – wie vom Angeklagten behauptet – nur eine. Bei sechs Lieferungen konnte die Polizei den Chef als Besteller eruieren, in den restlichen 33 Fällen, bei denen nicht im Voraus bezahlt wurde, war es dagegen eine unbekannte Person.

"Sind Sie zerstritten?", versucht die Richterin ein Motiv zu finden, warum man einen de facto Fremden derart belästigen sollte. "Eigentlich nicht", lautet die Antwort. "Eigentlich?" – "Einmal haben wir uns gegenseitig geärgert. Ich habe ihn arbeitslos genannt, er mich Flüchtling", gibt der geborene Österreicher unumwunden zu.

Er hat aber einen anderen Verdacht: In den Chats sei einmal ein Streit um den Gutschein eines sehr großen US-amerikanischen Internetversandhauses ausgebrochen, für den das Opfer 50 Euro überweisen sollte. "Wissen Sie, wer da involviert war?", fragt Röggla interessiert. "Nein, ich habe den Usernamen nicht gekannt", bedauert der Angeklagte. "Aber der hat später auch die Adresse des Opfers in Chats veröffentlicht", ergänzt der 21-Jährige, den entsprechenden Beleg übergibt Verteidiger Friis dem Gericht.

Hungergefühle nur aus Spaß

Der 17-Jährige sagt als Zeuge dagegen, es sei nie etwas auf seinen Wunsch bestellt worden. "Ich habe aus Spaß gesagt, dass ich Hunger habe", behauptet der von seiner Mutter begleitete Jugendliche. Er habe seine Privatadresse auch nur dem Kleinunternehmer zukommen lassen, ist er sich sicher. "Warum?", will der Angeklagte wissen. "Aus welchem Grund?" – "Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das sagen soll!", reagiert der Zeuge unfroh. "Na ja, weil es belegen würde, dass er sie brauchte, um Essen bestellen zu können!", schlussfolgert der Angeklagte.

Angeblich belastende Chats seien leider gelöscht worden, bedauert der Jugendliche auf eine entsprechende Frage der Richterin. Die unerwünschten Lieferungen hätten seine Lebensführung aber durchaus beeinträchtigt, führt er aus. "Das war krass Psychoterror!", erklärt er Röggla.

Sie versucht die Sache gütlich zu regeln und schlägt den beiden einen außergerichtlichen Tatausgleich und damit eine diversionelle Erledigung für den Angeklagten vor. "Das heißt, Sie entschuldigen sich", sagt die Richterin dem Angeklagten. "Und Sie nehmen die Entschuldigung an", wendet sie sich an den Zeugen. Der Angeklagte und Verteidiger Friis verlassen kurz den Saal, um den Vorschlag zu besprechen. "Mein Mandant bleibt dabei, dass er nicht schuldig ist", verkündet Friis nach der Rückkehr und lehnt damit das Angebot ab.

Zweifelnde Staatsanwältin

Selbst die Anklägerin überlässt es am Ende der Beweiswürdigung durch das Gericht, welches Urteil zu fällen ist. Die Verteidigung führt mehrere Gründe für den geforderten Freispruch an: Nachweisbar seien nur Bestellungen an zwei Tagen, dadurch sei bereits der Tatbestand der beharrlichen Verfolgung nicht erfüllt. Außerdem sei es widersinnig, warum der Angeklagte bei zwei Bestellungen bezahlt haben sollte, wenn er das Opfer tatsächlich stalken wollte.

Dem ersten Argument folgt Röggla mit ihrem rechtskräftigen Freispruch. "Ob Sie der Unbekannte waren, kann man Ihnen im Zweifel nicht nachweisen, daher sind Sie freizusprechen", begründet die Richterin ihre Entscheidung, ehe sie die beiden jungen Männer mit der eingangs zitierten Mahnung entlässt. (Michael Möseneder, 29.11.2023)