Googles KI-Tool Gnome hat 2,2 Millionen neue Kristallstrukturen entdeckt.
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Moderne Technologien, von Computerchips über Batterien bis hin zu Solarzellen, sind auf anorganische Kristalle angewiesen. Um neue Technologien zu ermöglichen, müssen diese Kristalle aber stabil sein, denn ein zerfallender Kristall in einer Batterie für ein E-Auto nützt niemandem etwas. Hinter jedem stabilen Kristall steht also monate-, wenn nicht jahrelange Forschung. Kurz: ein enorm aufwendiger und mühevoller Prozess.

Ein Forscherteam von Google hat nun in einem im Fachblatt "Nature" veröffentlichten Bericht das KI-Tool Gnome vorgestellt, mit dessen Hilfe sie mehr als 2,2 Millionen Kristallverbindungen berechnet haben. Darunter sollen 380.000 besonders stabile Verbindungen sein. Vor allem Letztere sollen Potenzial für zukünftige Technologien wie Supraleiter, bessere Akkus und neuartige Halbleiter haben. Laut dem Paper entspricht das etwa 800 Jahren "klassischer" Forschung. Die Menge der von Gnome gefundenen Materialien entspricht etwa dem 45-Fachen dessen, was die Wissenschaft bislang hervorgebracht hat.

Neues Deep-Learning-Tool

Graph Networks for Materials Exploration (Gnome), ist ein neues Deep-Learning-Tool, das die Geschwindigkeit und Effizienz der Entdeckung durch Vorhersage der Stabilität neuer Materialien drastisch erhöht. Es handelt sich aber nicht nur um theoretische Erkenntnisse. Externe Forschungsteams unabhängiger Labore haben 736 dieser von der künstlichen Intelligenz (KI) gefundenen Strukturen in praktischen Experimenten herstellen können. In Zusammenarbeit mit Google Deepmind hat ein Forscherteam des Lawrence Berkeley National Laboratory außerdem eine zweite Studie in "Nature" veröffentlicht, die zeigt, wie die KI-Vorhersagen von Google für die autonome Materialsynthese genutzt werden können.

Google hat die von Gnome berechneten Kristallstrukturen für die Forschungsgemeinschaft zugänglich gemacht. Jene 380.000 Kristallverbindungen, die als stabil gelten, wurden dem Materials Project zur Verfügung gestellt. Diese werden nun in die Datenbank des Open-Source-Projekts eingespeist und stehen damit der Forschung zur Verfügung. "Wir hoffen, dass diese Unterlagen die Forschung im Bereich der anorganischen Kristalle vorantreiben und das Versprechen des maschinellen Lernens als Werkzeug für Experimente freilegen werden", teilte Google per Presseaussendung mit.

52.000 neue graphenähnliche Verbindungen

In der Vergangenheit suchten Wissenschafter nach neuartigen Kristallstrukturen, indem sie bekannte Kristalle veränderten oder mit neuen Elementkombinationen experimentierten – ein teurer Versuch, der Monate dauern konnte und selbst dann oft nur begrenzte Resultate lieferte. In den vergangenen zehn Jahren haben rechnerische Ansätze unter der Leitung des Materials Project und anderer Gruppen zur Entdeckung von rund 28.000 neuen Materialien beigetragen. Bisher stießen Ansätze der KI-Berechnung an ihre Grenzen, weil die bisherigen Systeme Schwierigkeiten damit hatten, die Stabilität von Strukturen korrekt vorherzusagen. "Die Entdeckung von 2,2 Millionen möglichen Werkstoffen durch Gnome entspricht dem Wissensstand von etwa 800 Jahren und zeigt eine noch nie dagewesene Größe und Genauigkeit der Vorhersagen", so das Unternehmen.

So wurden mit der Hilfe von Gnome 52.000 neue graphenähnliche Verbindungen entdeckt. Diese sollen das Potenzial haben, die Elektronik durch die Entwicklung von Supraleitern zu revolutionieren. Bislang wurden etwa 1.000 solcher Materialien identifiziert. Außerdem fand Gnome 528 potenzielle Lithium-Ionen-Leiter, 25-mal mehr als in einer früheren Studie, die zur Verbesserung der Leistung von wiederaufladbaren Batterien eingesetzt werden könnten.

Wie jedes KI-Modell wurde auch Gnome zunächst mit öffentlich verfügbaren Daten trainiert. Dafür wurden die Veröffentlichungen des Materials Project zur Kristallstruktur und Stabilität bekannter Materialien verwendet. Anschließend wurde das System durch "Active Learning" dramatisch verbessert: Gnome schlug neue Materialien vor, deren Stabilität dann mithilfe der quantenphysikalischen Dichtefunktionaltheorie überprüft wurde. Oder in verständlicheren Worten: Die Vorhersagegenauigkeit, ob eine Kristallverbindung stabil ist oder nicht, wurde von 50 auf 80 Prozent gesteigert. (pez, 30.11.2023)