Toni Innauer
Toni Innauer weiß, wie man Veränderung durchzieht. Er verfolgt eine Art Salamitaktik: das Aufteilen eines Vorsatzes in viele kleine Scheiben.
Ingo Pertramer

Es ist so eine Sache mit den guten Vorsätzen. Die fasst man voller Elan und Zuversicht – und irgendwann versinken sie still und heimlich im Meer der unerfüllten Pläne. Egal ob es dabei um mehr Bewegung geht, um gesündere Ernährung oder auch um besseren Schlaf, Erfolgsstorys bei den guten Vorsätzen sind nicht unbedingt dicht gesät.

Einer, der sich mit dem Umsetzen von Plänen auskennt, ist Toni Innauer. Der Skisprung-Olympiasieger, langjährige ÖSV-Sportdirektor und studierte Sportwissenschafter hat sich sein Leben lang mit der Frage beschäftig, wie schaffe man es schafft, gute Vorsätze in nachhaltige Gewohnheiten zu verwandeln. Darüber hat er jetzt ein Buch geschrieben. Er analysiert darin zutiefst menschliche Widerstände und präsentiert handfeste Tricks, wie man "Ein neues Leben" – so lautet der nicht ganz ernst gemeinte Buchtitel – umsetzen kann.

Im STANDARD-Interview erzählt er, wann er selbst das letzte Mal etwas Neues gelernt hat, wie er seine inneren Widerstände austrickst und warum Beharrlichkeit am Ende Talent schlägt.

STANDARD: Sind Sie ein Mensch, der seine Vorsätze einhält?

Innauer: Ich würde sagen, ich bin nicht schlecht im Einhalten. Weil ich mir nicht zu viel vornehme – und überlege, wie ich diese Pläne auch durchhalten kann. Aus dem Sport habe ich da, glaube ich, eine ganz gute Basis. Ich weiß, ich muss auf mehreren Ebenen ansetzen, um eine Verhaltensänderung geduldig durchzuziehen.

STANDARD: Wann haben Sie das letzte Mal etwas Neues gelernt oder einen Vorsatz nachhaltig umgesetzt?

Innauer: Ich habe mir vorgenommen, etwas auf der Gitarre auswendig zu lernen, nämlich das Lied "Morgen" von der EAV, die Hymne aller Vorsatzbrecher. Das kann man vom Blatt ganz gut spielen, aber es hat durchaus komplizierte Harmonien, auswendig ist doch etwas anderes und in meinem Alter nicht mehr so leicht. Man braucht viel Energie und Konzentration dafür, muss üben und ständig wiederholen, und ich muss es aushalten, wenn es länger dauert, als es mein musikalisches Ego gerne hätte. Der innere Schweinehund schlägt dann ja vor, die Noten hinzulegen und nachzuschauen … Aber die Serie an kleinen Erfolgserlebnissen, zuerst eine Strophe, dann den Refrain und schließlich das ganze Lied aus dem Kopf zu spielen, hat eine andere Qualität und ist ein erfüllender Prozess.

STANDARD: Warum gelingt Ihnen das? Liegt das an Ihrem starken Willen? Weil Sie so musikalisch talentiert sind? Oder ist die Übungsdisziplin ausschlaggebend?

Innauer: Ich glaube nicht, dass das mit dieser vielzitierten Willenskraft zusammenhängt, die man uns Sportlern oft nachsagt. Wir wissen einfach viel besser, welche Tricks es gibt, damit man nicht wieder aus der Spur geworfen wird. Im Spitzensport haben die Athletinnen und Athleten deshalb auch ein Team aus Expertinnen und Experten um sich, die sie beim Training unterstützen, Psychologin, Arzt, Trainer, Mannschaftsführer und so weiter. Dadurch gelingt es, dass man bei Laune bleibt und so lange aushält, bis die ersten Erfolgserlebnisse da sind.

STANDARD: Im normalen Leben hat man aber nicht so ein Unterstützungsteam an der Hand ...

Innauer: Das stimmt, da muss man sich das selbst arrangieren. Und genau darüber schreibe ich in meinem Buch. Ich denke, es gibt einige Grundpunkte, die dabei helfen, dass man eine neue Verhaltensweise lernt und zur Gewohnheit macht. Ich fasse nicht das große Ganze als Ziel ins Auge, sondern zerlege es in einzelne Abschnitte. Ich schaffe mir ein Umfeld, in dem es mir leicht fällt, eine Tätigkeit auszuüben. Ich wiederhole das Gelernte immer wieder, damit es sich automatisiert. Und ich belohne mich für kleine Erfolge. Zieht man das so durch, entwickelt sich daraus eine Gewohnheit, ein Automatismus, der das trägt und den Aufwand an Willenskraft reduziert.

STANDARD: Wenn man das auf Ihr auswendig gelernte Lied umlegt, wie geht das dann?

Innauer: Ich lerne Strophe für Strophe, höre das Original immer wieder, auch verlangsamt, und freue mich darüber, wenn ich die Harmonien kann. Dann hantle ich mich über den Refrain zur nächsten Strophe und so weiter. Damit ich überall üben kann, habe ich eine Klappgitarre, die ich auch im Flugzeug als Handgepäck mitnehmen kann. Die war schon überall mit, von Peking bis Kuusamo in Finnland. Steht die Gitarre dann einmal im Hotelzimmer, übe ich auch, und es macht mir Spaß. So schaffe ich die vielen nötigen Wiederholungen, bis ich das Lied kann. Dabei entwickelt sich das sogenannte prozedurale Gedächtnis, das Hirn spaltet das Lied sozusagen in Scheiben auf. Ich weiß nicht unbedingt auf Knopfdruck, welche Harmonien in der zweiten Zeile der dritten Strophe zu spielen sind, aber wenn ich das Lied durchspiele, weiß ich es an der richtigen Stelle, weil eines das andere auslöst. Die Mechanismen, ein Lied zu lernen, sind natürlich andere, als die Kondition zu stärken, aber das Prinzip dahinter ist das gleiche. Die Belohnung schließlich kommt beim Liedeinlernen fast von selbst, weil man ja das Erfolgserlebnis hat, dass es auf einmal funktioniert. Das ist selbstverstärkend, ähnlich wie bei einem Kind, das lesen lernt. Zuerst müht es sich mit den einzelnen Buchstaben ab, dann ergeben die auf einmal ein Wort, und aus den Worten werden Geschichten. Dann wollen die Kinder oft gar nicht mehr aufhören zu lesen.

STANDARD: Aber es gibt ja auch Vorsätze, die nicht so selbstverstärkend sind. Wenn ich für einen Marathon trainiere, bleibt die Anstrengung eigentlich immer präsent, man schwebt nie leichtfüßig dahin. Abnehmen ist auch so ein Thema. Natürlich ist es super, wenn man die Kilos, die man loshaben will, verloren hat. Aber man hat halt auch Lust auf das Stück Sachertorte zwischendurch ...

Innauer: Da haben Sie natürlich recht, nicht alles ist selbstverstärkend. Aber auch dafür gibt es ein paar Ansätze. Ein Kapitel im Buch heißt "Sich helfen lassen". Gemeinsam mit dem Partner, der Schwester, einem guten Freund geht es leichter, man bestärkt sich dann gegenseitig. Man trifft sich zum Training, tauscht sich aus, hantelt sich gemeinsam vor. Man merkt, dass geteiltes Leid halbes Leid ist. Das hat uns zum Beispiel im Skisprungteam geholfen, als wir auf den V-Stil umgestiegen sind. Das war wochenlang nur frustrierend, wir sind einfach nicht draufgekommen, wie es geht. Aber Fehler sind auch Lernhilfen. Scheitern zeigt uns auch immer etwas über die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Und irgendeiner hat immer zumindest eine Kleinigkeit entdeckt, die uns bei Laune gehalten und weitergebracht hat. Das hat die Zuversicht erhalten.

Buchcover
Soeben ist Toni Innauers Buch "Ein neues Leben. Vom guten Vorsatz zur täglichen Gewohnheit" bei CSV erschienen. 22,95 Euro
CSV

STANDARD: Was sind für Sie die wichtigsten Parameter, um eine Veränderung durchzuziehen? Sind es die Psyche und der starke Wille? Oder eqher die Disziplin?

Innauer: Die Psyche ist natürlich enorm wichtig, auch die Bereitschaft, eine Zeitlang ohne großen Durchbruch auszuhalten. Da muss man einfach ein bisschen listig sein und sich mit ein paar Taktiken sozusagen selbst austricksen. Denn ein Erfolg passiert nicht wie durch Zauberhand. Dahinter stecken natürliche Anpassungsprozesse und viele Wiederholungen.

STANDARD: Was wäre so eine Taktik?

Innauer: Zum Beispiel Blending. Ich teile meinen Tag nicht streng in unterschiedliche Kategorien wie Arbeit, Sport, Freizeit ein, sondern vermische die Bereiche beziehungsweise lasse sie ineinander überfließen. Wenn man zum Beispiel mit dem Fahrrad in die Arbeit fährt, die Treppe statt den Lift nimmt, dann hat man automatisch auch schon Bewegung und Sport gemacht. Dazu kommt, dass es den Alltag viel bunter und lebendiger macht.

STANDARD: Gleichzeitig ist die Psyche natürlich auch das, was die größten Hackeln reinhauen kann auf dem Weg der Veränderung. Worauf sollte man achten, damit das nicht passiert?

Innauer: Nicht zu große Schritte planen. Man nimmt sich zu Neujahr vor, dass man zehn Kilo abnimmt, eine Sprache lernt, oder dreimal die Woche sportelt. Aber dann kalkuliert man Aufwand und innere Widerstände nicht mit, und deshalb fährt man das Projekt an die Wand. Es ist gut, mit dem inneren Schweinehund und seinem Widerstand zu rechnen. Und sich zu überlegen, wie man damit umgeht. Wir sind ja in unserem digitalen Zeitalter sehr daran gewöhnt, dass es schnelle und effiziente Lösungen gibt. Aber wenn es darum geht, das eigene Verhalten zu verändern, kämpfen wir mit biologischen Gesetzmäßigkeiten und Determinierungen. Wir denken, wir steuern den Großteil unseres Verhaltens bewusst mit dem Kopf. Tatsächlich ist es so, dass Gewohnheiten uns steuern, und zwar viel stärker, als unser Selbstbild das wahrhaben will. Die Zusammenhänge zu durchleuchten, wie Veränderung trotzdem gelingen und sogar Spaß machen kann, hat mich gereizt. Weil letztendlich steigert Selbstbestimmtheit unser Lebensgefühl enorm, wenn man etwas geschickt durchzieht und Veränderungen schafft.

STANDARD: Am Ende des Tages muss ich aber dranbleiben, egal was ich mache, oder?

Innauer: Ja, das stimmt, Ausdauer schlägt Talent. Am Ende des Tages ist Beharrlichkeit immer die wichtigere Qualität für den Erfolg. Nur aufgrund meiner Ausdauer wäre ich zwar nicht Weltmeister geworden. Aber ich glaube, ich bin relativ raffiniert darin, mich so auszutricksen, dass unterm Strich dann doch Kontinuität herauskommt. Eines ist dabei außerdem noch wirklich wichtig: Man sollte über sich selbst schmunzeln können, auch oder vor allem, wenn es einmal nicht so gut klappt. Weil wenn das nicht mehr gelingt, dann wird es echt anstrengend im Leben. (Pia Kruckenhauser, 10.12.2023)