Der Umstieg von Industrie und Verkehr auf erneuerbare Energien ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Klimakrise. Energie aus Wind und Sonne muss in Batterien gespeichert werden, für die Kupfer, Nickel, Kobalt und Lithium benötigt werden. Diese Metalle müssen aufwendig abgebaut und aufbereitet werden. Nach dem Wunsch der EU soll das verstärkt in Europa geschehen, um bei kritischen Rohstoffen weniger abhängig von Drittstaaten zu sein. Entsprechende Pläne gibt es auch in Österreich und seinen Nachbarländern.

In der Kärnter Koralpe und in der Steiermark hat ein australisches Unternehmen Schürfrechte für Lithium erworben. Im deutsch-tschechischen Grenzgebiet um die Ortschaft Cinovec soll das federleichte Metall bald im großen Stil abgebaut werden. Das verspricht neue Jobs, aber oft regt sich auch Widerstand. In Serbien haben massive Proteste sogar zum Stopp eines Lithiumprojekts im Jadar-Tal geführt. Betroffene und Aktivistinnen fürchten sich vor zerstörten Landschaften, schlechter Luft, verseuchten Gewässern und unabsehbaren Altlasten. Unternehmen und Politik verweisen derweil auf Wirtschaftsentwicklung, nachhaltige Abbaupläne und den notwendigen Kampf gegen die Klimakrise. Alles bloß Greenwashing?

Der Begriff Nachhaltigkeit auf dem Prüfstand

Die Wissenschaftsgeschichte forscht zu Klimakrise und Energiewende – indem sie kritisch und konstruktiv prüft, welche Ideen und Praktiken unser Verständnis der Natur prägen. So zeigt ein Blick in die Geschichte schnell: Nachhaltigkeit hatte ursprünglich nichts mit Umweltschutz zu tun. Es war ein Bewirtschaftungsprinzip, das in und für Bergbauregionen entwickelt wurde. Die Anleitung zur "wilden Baumzucht" von 1713 des sächsischen Bergbeamten Carl von Carlowitz gilt hierbei als erste ausdrückliche Formulierung des Nachhaltigkeitsprinzips. Nötig war diese Form der Waldbewirtschaftung, weil Bergwerke und Schmelzhütten viel Holz verschlangen.

Auch in den Minen selbst gab es nachhaltige Ansätze, doch ging es dabei nicht um die Umwelt, sondern um den Schutz eines fragilen Wirtschaftszweigs. Erzadern sollten langsam ausgebeutet werden, damit genügend Zeit für die Erkundung und Einrichtung neuer Bergwerke blieb, bevor die alten erschöpft waren. Gieriger Raubbau gefährdete ein Bergwerk, das sonst mehreren Generationen Auskommen bot. Ausbeute war ein positiver Begriff für Erträge, und die Ausbeutung von Bodenschätzen war eingebettet in ein christliches Weltbild. Ein gütiger Schöpfergott stellte für den Menschen regelmäßig neue Erze zur Verfügung: Er ließ sie buchstäblich für ihn im Schoß der Erde wachsen.

Am steirischen Erzberg wird seit mindestens dem 11. Jahrhundert Eisenerz abgebaut.
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Der heutige Nachhaltigkeitsbegriff ist säkular und höchst technisch, aber zielt ebenfalls darauf ab, Ressourcenabbau auf Dauer sicherzustellen. Nicht mehr das Wachstum von Bäumen oder Erzen steht im Mittelpunkt, sondern Wirtschaftswachstum. Wissenschaftlerinnen, Politiker und internationale Organisationen wie die Uno haben seit der Mitte des 20. Jahrhundert Schlagwörter wie wirtschaftliche Entwicklung und Umweltschutz zu einem widersprüchlichen Begriffsgeflecht verbunden. Anders als im 18. Jahrhundert ist nun die Abwendung von negativen Industriefolgen auf die Umwelt zentral. Aber wie Kritiker der Postwachstumbewegung anmerken, dient die Rede von Nachhaltigkeit der Fortführung eines eigentlich untragbaren Wachstumspfads. Es muss also kein Greenwashing sein, wenn Bergbaukonzerne und Fossilriesen Nachhaltigkeit zur unternehmerischen Leitlinie erheben. Sie folgen damit lediglich den Sustainable Development Goals der Uno.

Jenseits von Nachhaltigkeit

Ist es möglich, über Ressourcen jenseits dieser Logik von Wirtschaftswachstum und Schadensbegrenzung nachzudenken? Auch hier hilft der Blick in die vorindustrielle Vergangenheit. Praktische Lösungen um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern sind kaum zu erwarten, dazu sind die historischen Rahmenbedingungen zu verschieden. Aber mitunter entdeckt man erfrischend andersartige Konzepte, um über Mensch-Umwelt-Dynamiken nachzudenken. Darauf hat schon in den 1980er-Jahren die Wissenschaftshistorikerin und Vordenkerin des Ökofeminismus Carolyn Merchant hingewiesen. Bis ins 17. Jahrhundert galt die Erde als lebendiges Wesen, weshalb Bodenschätze nicht ohne weiteres ausgebeutet werden konnten – so ihre frappante These.

Das zeigt sie am Beispiel eines Textes mit dem Titel Iudicium Iovis, den der Humanist Paul Schneevogel um 1475 im böhmischen Erzgebirge verfasste. Untenstehende Darstellung zeigt Mutter Erde vor einem Göttergericht. In zerrissenem Gewand klagt sie, dass der Mensch in ihren Eingeweiden gewühlt und sie damit fast umgebracht habe. Bergbau als Verwandtenmord! Der Mensch wiederum fühlt sich stiefmütterlich behandelt, verstecke sie seine Lebensnotwendigkeiten doch an unzugänglicher Stelle. Die Verhandlung geht ohne rechtes Urteil aus, und Jupiter lässt den Anklagten ungeschoren laufen.

Die Darstellung aus dem Text Iudicium Iovis von Paul Schneevogel zeigt Mutter Erde vor einem Göttergericht.
Schneevogel, Paul: Iudicium Iovis ad quod mortalis homo a terra tractus parricidii accusatus, mit Widmungsbrief des Autors an Stephan Gülden, [Leipzig], [ca. 1495] [BSB-Ink N-45 - GW M26130] via daten.digitale-sammlungen.de

Im heutigen Kontext ist die Feminisierung von Erde und Natur höchst problematisch, wie nicht zuletzt im Ökofeminismus breit diskutiert wurde. Aber der alte Text regt dennoch die Vorstellungskraft an. Was würde die Erde sagen, wenn sie eine menschliche Stimme hätte? In welchem juristischen Forum könnte sie Klage führen, und gegen wen? Braucht es neue Tabus im Umgang mit der Erde? (Sebastian Felten, 5.12.2023)