Aktuell ist China die einzige Nation der Welt mit einer eigenen dauerbesetzten Raumstation im Orbit. Für die Errichtung des "Himmelspalastes" Tiangong benötigte das Land nur wenige Jahre: Am 29. April 2021 brachte China das erste Modul in die Erdumlaufbahn, sechs Wochen später folgte die erste Besatzung, und am 31. Oktober 2022 startete eine Rakete vom Typ Langer Marsch 5B mit dem vorläufigen Abschlussmodul Mengtian an Bord. Erfahrungen mit Behausungen im All hat China bereits mit den beiden Raumlabors Tiangong-1 (Start 2011) und Tiangong-2 (Start 2016) gesammelt.

Die (vorläufig) fertige Raumstation Tiangong, aufgenommen von der Shenzhou-16-Crew während ihrer Rückkehr zur Erde am 30. Oktober. Zu sehen ist das zentrale Kernmodul, an das die beiden Wissenschaftsmodule Wentian und Mengtian gekoppelt sind.
Foto: China Manned Space Agency

Erste Gesamtansicht

Nun hat die chinesische Raumfahrtbehörde CNSA erstmals eine Gesamtansicht der fertigen Station Tiangong veröffentlicht. China präsentierte die Aufnahme am 28. November 2023 anlässlich des Besuchs chinesischer Astronauten und Beamter der Raumfahrtbehörde in Hongkong. Die drei Raumfahrer Jing Haipeng, Zhu Yangzhu und Gui Haichao waren am 30. Oktober nach einem sechsmonatigen Aufenthalt auf Tiangong mit dem Shenzhou-16-Fährschiff zurückgekehrt. Das Bild entstand kurz nach der Trennung der Rückkehrkapsel von der Station.

Tiangong besteht aus drei Modulen, die in T-Form miteinander verbunden sind und ein Gesamtvolumen von 110 Kubikmetern besitzen: dem Kernmodul Tianhe "Himmlische Harmonie" und den beiden Wissenschaftsmodulen Wentian ("Himmelsbefragung") und Mengtian ("Himmelstraum"). Das Kernmodul beherbergt das Kontrollzentrum, die Lebenserhaltungssysteme, Antrieb und Lageregelung und bietet drei Raumfahrern Platz zum Leben und Arbeiten.

100 Tonnen

Das Wissenschaftsmodul Wentian dient als Labor und auch Lagerraum für Ersatzteile und Verbrauchsgüter sowie als Schutzraum für den Notfall. Wentian ist mit einem außen an der Station angebrachten Roboterarm ausgestattet. Auch im Wissenschaftsmodul Mengtian werden Experimente durchgeführt, Nutzlast gelagert und durch eine Luftschleuse (ebenfalls mit Roboterarmhilfe) in Empfang genommen. China plant, die Raumstation nach einer gewissen Betriebsphase um ein zweites T zu erweitern.

Tiangong ist mit einer Geschwindigkeit von 27.600 Kilometern pro Stunde unterwegs. Die 16 Meter lange und rund 100 Tonnen schwere Raumstation (zum Vergleich: Die ISS hat eine Masse von über 400 Tonnen) kreist 340 bis 450 Kilometer über der Erde – und damit ungefähr in derselben Höhe wie die ISS.

Tiangong über Land. Insgesamt hat die Station eine Spannweite von 39 Metern.
Foto: China Manned Space Agency/CNSA

Wer sie mit eigenen Augen sehen will, benötigt gutes Sehvermögen, besser noch einen Feldstecher oder ein Teleskop, den richtigen Standort und Zeitpunkt und optimale Sichtbedingungen, denn Tiangong ist am Nachhimmel nur schwer aufzuspüren. Die Raumstation erscheint schwächer als die ISS, was kein Wunder ist, denn ihre Reflexionsfläche umfasst nur 20 Prozent jener der ISS. Daher wird man auch den Großteil der Transits verpassen. Die besten Bedingungen findet man einige Stunden nach Sonnenuntergang beziehungsweise vor Sonnenaufgang; zu dieser Zeit ist es noch dunkel genug, während die Raumstation bereits von der Sonne angestrahlt wird.

Tief im Süden

In solchen Fällen erscheint Tiangong als Lichtpunkt, der gemächlich über den Himmel zieht. Allerdings wird man die Station mit bloßem Auge nur bei besonders hellen Transits erkennen können. Und selbst wer ein starkes Fernglas sein Eigen nennt, wird kaum Details erkennen.

Vorsicht, man könnte Tiangong mit der ISS wechseln, wenn man falsch schaut: Während sich die ISS auf einer um 51,6 Grad geneigten Bahn bewegt, liegt die Bahnneigung von Tiangong bei 41 bis 43 Grad. Tiangong kreist also recht weit südlich und erscheint daher auch niedrig am südlichen Horizont. Dies bedeutet auch, dass Tiangong nicht überall auf der Erde beobachtet werden kann.

Jenseits des 60. nördlichen Breitengrades bleibt Tiangong unter dem Horizont, und auch in mittleren Breiten wird die Raumstation nie sehr hoch über den südlichen Horizont aufsteigen. Zwischen 42,8 Grad südlicher und 42,8 Grad nördlicher Breite kann jedoch Tiangong gelegentlich am Himmel vorbeiziehen, und zwar von Westen nach Osten. Die Suche erleichtern sollten Satellitentracker wie Heavens Above oder Astroviewer. (tberg, 5.12.2023)