Neandertaler gingen gut organisiert auf die Jagd. Welchen Aufwand sie trieben, um offenbar auch eine größere Bevölkerung zu ernähren, bewies bereits ein spektakulärer Fund vor annähernd drei Jahren. Damals entdeckte ein Forschungsteam an der Fundstelle Neumark-Nord in einem ehemaligen Braunkohletagebau in Sachsen-Anhalt die Überreste von Europäischen Waldelefanten. In einer im vergangenen Februar vorgestellten Untersuchung bewiesen die Forschenden anhand von Schnittmarken, dass vor rund 125.000 Jahren über Jahrhunderte hinweg die riesigen Dickhäuter auf dem Speiseplan der Neandertaler standen.

Neandertaler, Waldelefant, erfolgreiche Jagd
Um einen ausgewachsenen Waldelefantenbullen niederzuringen, brauchte es vermutlich eine große Zahl hochmotivierter Neandertaler.
Illustr.: Alex Boersma/PNAS

Ein solches Wesen zu erlegen war keine Kleinigkeit: Der vor spätestens 33.000 Jahren ausgestorbene Waldelefant (Palaeoloxodon antiquus) war ein Gigant, selbst im Vergleich zum modernen Afrikanischen Elefanten. Mit einer Schulterhöhe von bis zu vier Metern und einem Gewicht von über zehn Tonnen überragte ein Waldelefantenbulle sogar das Wollhaarmammut, was ihn zu einem der größten Rüsseltieren machte, die je auf der Erde gewandelt sind.

Verräterische Schnittspuren

Dass die Waldelefantenjagd keine alleinige Spezialität der Neandertaler von der Fundstelle Neumark-Nord war, untermauert nun eine neuerliche Analyse von Überresten zahlreicher entsprechender Mahlzeiten von anderen Ausgrabungsstätten. Die Forschungsgruppe um Sabine Gaudzinski-Windheuser von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz identifizierte an Knochenfunden aus Gröbern in Sachsen-Anhalt und Taubach in Thüringen zahlreiche unverkennbare Schnittspuren von Steinwerkzeugen.

"Die Ergebnisse der Untersuchung der Knochen aus Gröbern und Taubach zeigen nun, dass die Jagd von Neandertalern auf Waldelefanten keine Ausnahme, sondern regelhaftes Verhalten war", sagte Gaudzinski-Windheuser. Die Forscherin war bereits maßgeblich an der Untersuchung der Knochen in Neumark-Nord beteiligt gewesen.

Neandertaler, Beckenknochen, Waldelefant
Ein fossiler Beckenknochen eines Waldelefanten vom Fundort Gröbern. Schnittspuren weisen darauf hin, dass das Tier wohl Opfer einer Neandertaler-Jagdgruppe geworden ist.
Foto: Lutz Kindler, LEIZA

Ausgereifte Vorratshaltung

Wie das Team nun im Fachjournal "Pnas" berichtet, dürften die Jagdgewohnheiten der Neandertaler auch auf eine ausgefeilte Vorratshaltung hindeuten, denn die große Mengen an Fleisch und Fett, die ein Elefant abwirft, werden wohl nicht alle auf einmal verzehrt worden sein. Womöglich beherrschten die Neandertaler bereits Techniken, die es ihnen erlaubten, Nahrungsmittel zu konservieren und zu lagern.

Außerdem lässt sich aus diesen Elefantenjagden auch auf das Sozialleben der Neandertaler schließen: Um solche großen Tiere erlegen zu können, bedarf es großer Jagdgesellschaften, berichten die Forschenden im Fachjournal "Pnas". Die Beute einer erfolgreichen Elefantenjagd reichte dann auch für eine große Zahl von Menschen, was den Fachleuten zufolge ebenfalls Hinweise auf die Lebensweise des Neandertalers liefert.

Neandertaler, Beckenknochen, Waldelefant
Die rund fünf Millimeter langen Schnittspuren an dem Waldelefanten-Beckenknochen in der Vergrößerung.
Foto: Lutz Kindler, LEIZA

Große Neandertalergruppen

Nach Berechnungen der Wissenschafter könnte ein ausgewachsener Waldelefantenbulle den täglichen Kalorienbedarf von 2500 Neandertalern gedeckt haben. "Diese Zahl ist wichtig, denn sie führt zu neuen Einblicken in das Verhalten der Neandertaler", sagte Gaudzinski-Windheuser. Bisher war man eher davon ausgegangen, dass sich Neandertaler in Gruppen von kaum mehr als 20 Individuen zusammenschlossen. Doch die neuen Ergebnisse zur systematischen Jagd auf Waldelefanten deuten viel eher darauf hin, dass sich die Neandertaler zumindest zeitweise zu deutlich größeren Gruppen versammelt haben. (tberg, red, 6.12.2023)