Stefan Kraft springt in dieser Saison allen voran. Am Wochenende kann er einen alten Rekord einstellen.
AP/Jussi Nukari

In der Vogtland Arena zu Klingenthal ist Stefan Kraft am Wochenende auf dem Sprung, einen Rekord seines einstigen Idols Thomas Morgenstern einzustellen. Im Dezember 2007 hatte der Kärntner Olympiasieger die ersten sechs Einzelspringen der neuen Saison gewonnen. Kraft eröffnete den aktuellen Skisprungwinter mit vier Siegen en suite, weitere Erfolge am Samstag und Sonntag sind dem 30-jährigen Salzburger, der auf der Großschanze in Sachsen schon vor zwei Jahren einen Weltcupsieg feierte, zuzutrauen.

Bei halbwegs stabilen Verhältnissen sollte sich am Wochenende auch der Eindruck bestätigen, den der Zirkus in den ersten vier Springen hinterließ. In Ruka und Lillehammer kündigte sich sehr zur Freude der Veranstalter der Vierschanzentournee eine Saison an, die vom Duell zwischen Österreich und Deutschland geprägt sein könnte. Aufs Podest fand bisher kein Springer anderer Nationalität. Auch Werner Schuster glaubt an die Bestätigung des Trends, der sich auf drei recht unterschiedlichen Bakken (Großschanze in Ruka, Normal- und Großschanze in Lillehammer) herauskristallisiert habe. Der ehemalige deutsche Cheftrainer, der nach rund drei Jahren am Skigymnasium Stams wieder in den Deutschen Skiverband zurückgekehrt ist und beim DSV als Nachwuchschef für Frauen und Männer wirkt, hat die deutsche Mannschaft um Andreas Wellinger hoch eingeschätzt, "aber ich habe nicht gedacht, dass sie so gut sind".

Goldene Zeiten

Die Dominanz seiner Landsleute überrascht den 54-jährigen Kleinwalsertaler, der seine Expertise auch Eurosport zur Verfügung stellt, noch weniger. Ja, Schuster sieht gar goldene Zeiten für die Flugabteilung von Ski Austria heraufdämmern. "Die Springer, die aus dem Continental-Cup nachdrängen, könnten zum Beispiel Liechtenstein zur viertstärksten Nation im Weltcup machen."

Werner Schuster hat große Veränderungen kommen sehen.
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Das liegt freilich auch daran, dass in der Vorsaison noch starke Mannschaften zuletzt regelrecht abgestürzt sind. Am härtesten traf es bisher Polen. Platz 21 war das bisher beste Ergebnis für die erfolgsverwöhnte Truppe von Coach Thomas Turnbichler, Fluglegende Kamil Stoch sah sich schon genötigt, die Fans um Geduld zu bitten. Für den Tiroler Turnbichler könnte es bald zum Problem werden, dass der Bulgare Vladimir Zografski unter Anleitung zweier polnischer Trainer in den letzten drei Springen besser als der beste Pole abschnitt. Die eklatante Schwäche der Polen erklärt sich für Schuster auch durch das Alter von Stoch und Piotr Zyla (beide 36), "sie haben mit Dawid Kubacki, der sich noch am ehesten erfangen dürfte, den Karren schon sehr lange gezogen".

Der Leistungsabfall der Slowenen um Großschanzenweltmeister Timi Zajc und – deutlich moderater – der Norweger um Gesamtweltcupsieger Halvor Egner Granerud sei aber auch durch Weichenstellungen des Weltverbandes Fis zu erklären. Athletinnen und Athleten wurden vor der Saison erstmals nicht händisch, sondern digital vermessen. So konnten auch Manipulationsgerüchte ausgeräumt werden, sagte Renndirektor Sandro Pertile.

Weniger für weniger

Die Aktiven werden zudem ohne Sprunganzug und Schuhe gewogen. Um im Body-Mass-Index von 21 und damit bei der optimalen Skilänge bleiben zu können, müssen Springerinnen und Springer ein bis zwei Kilogramm zunehmen. Zudem wurden die zuletzt vor allem im Schritt oft grotesk bauschigen Anzüge beschnitten, die Standhöhe inklusive Ski unter der Ferse um zwei Zentimeter verringert und die Materialstärke der gebräuchlichen Wadenkeile im Sprungschuh reduziert.

"Ich habe es fast schon fahrlässig gefunden, dass da gleichzeitig an so vielen kleinen Schrauben gedreht wurde", sagt Schuster, "aber es scheint in die richtige Richtung zu gehen." Das Skispringen sei in den vergangenen Jahren immer aerodynamischer geworden, die Springer seien dank des Materials nach dem Absprung schneller in die Flugphase gekommen. Nicht nur leicht, sondern auch klein flog weiter. Gleichzeitig seien die Bewerbe unberechenbarer geworden. Kleinste Windänderungen zeitigten große Wirkung. Schuster verweist auf den Slowenen Zajc, der beim Weltcup in Willingen "beinahe aus dem Stadion geflogen wäre, weil plötzlich bessere Bedingungen geherrscht haben". Zajc konnte den Flug auf 161,5 Meter und also 8,5 Meter über den Schanzenrekord nicht stehen, blieb aber wunderbarerweise unverletzt.

Die Regeländerungen eröffnet athletischeren Springerinnen und Springern bessere Möglichkeiten, Groß kann neben Klein bestehen, wie Wellinger (1,84 Meter) als aktuell zweitbester Springer hinter Kraft (1,70) zeigt. Schuster wäre es ein Fest, könnte es bei der Tournee zum Duell zwischen dem Bayern und dem Pongauer kommen.

Kraft und Djoker

Noch sieht er Kraft im Vorteil, "der jetzt vielleicht in der Form seines Lebens springt". Ein Baustein zum Erfolg sei die Konkurrenz im eigenen Team, die Herausforderung etwa durch Jungspund Daniel Tschofenig. Schuster: "Kraft ist einer wie Novak Djokovic, der diese Herausforderung positiv annimmt und eben noch einen Gang höher schalten kann. Am Djoker ist zuletzt auch schon die dritte Tennisgeneration abgeprallt." (Sigi Lützow, 5.12.2023)