"Rogue Trader" ist am 7. Dezember 2023 erschienen und ist das erste klassische Rollenspiel in der Welt von "Warhammer 40k".
Owlcat Games

Ich bin spektakulär reich. Ich besitze ganze Sternensysteme. Vor meinem mächtigen Raumschiff, der Unforgiven, zittert der ganze Raumsektor. Wenn ich meine Stimme erhebe, dann beben die Adeligen und Gouverneure auf den Planeten vor Ehrfurcht. Nur der Imperator selbst ist mächtiger. Doch ist er das? Schließlich sitzt er als dahinmodernde Mumie seit zehntausend Jahren auf seinem goldenen Thron. Vielleicht bin doch ich der mächtigste Mensch der Galaxie.

Bevor jetzt die ersten "Ketzerei" schreien und schon Holz auf den Scheiterhaufen schichten: Nein, natürlich habe ich mich nicht vom Imperator abgewandt. Aber ich könnte, denn "Rogue Trader" lässt mir die Freiheit dazu. Diese einzigartige Rollenspielperle vermag es nämlich, die Welt von "Warhammer 40k" in all ihrer Düsternis so perfekt einzufangen, wie es sonst nur die besten Romane des Franchise schaffen.

Auf den Spuren von "Baldur's Gate"

Für alle, die einen Ork nicht von einem Succubus unterscheiden können: "Rogue Trader" ist ein klassisches Rollenspiel, das sich sehr ausgiebig bei der geistigen Vorlage "Baldur's Gate" bedient. Nur ist das zugrundeliegende Regelwerk nicht auf dem "Dungeons and Dragons"-System aufgebaut, sondern basiert auf dem Pen-and-Paper-Rollenspielen gleichen Namens aus dem Jahr 2009.

Darin übernimmt man die Rolle eines namensgebenden Freihändlers. Diese sind vom Imperium der Menschen in die Leere des Alls ausgesandt, um neue Planeten zu erobern, zu kolonisieren und Handelsnetze aufzubauen. Sie sind so etwas wie die Speerspitze der Menschheit, was man keinesfalls mit "menschlich" verwechseln sollte.

Im Lauf des Spiels bekommt man es natürlich auch mit Necrons zu tun.
Im Lauf des Spiels bekommt man es natürlich auch mit Necrons zu tun.
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Denn im 41. Millennium hat die Menschheit einen intoleranten religiös-faschistischen Staat geformt, der sich seit Äonen über die ganze Galaxie ausgebreitet hat. Bedroht wird diese Dystopie von Außerirdischen und den Mächten des Chaos, Dämonengöttern aus dem Warp. Und genau hier setzt auch "Rogue Trader" an. In den ersten Minuten des Rollenspiels erlebt man eine Meuterei von Kultisten auf dem Flaggschiff, die dunklen Mächte greifen an; und im Zuge der Kämpfe wird die alte Chefin getötet – und man übernimmt als Spieler künftig die Geschicke der gesamten Freihändlerdynastie.

Triumphzug durch die Straßen

Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise arbeitet man sich in Rollenspielen vom kleinen Straßenvagabunden zum mächtigen Fürsten empor. Doch was; wenn man schon gleich als mächtiger Fürst oder Fürstin ins Spiel einsteigt? Dafür fand das Entwicklerstudio Owlcat einen erzählerischen Kniff: Man wird zwar von den NPCs mit größtem Respekt, Ehrfurcht oder Angst behandelt, muss aber gleichzeitig beweisen, dass man kein unqualifizierter Emporkömmling aus den Unterdecks ist.

Schon in der ersten "richtigen" Quest dürfen wir Soldaten herumkommandieren und dem örtlichen Verwalter die Leviten lesen, schließlich müssen wir einen Aufstand auf einem Planeten niederschlagen. Am Ende gibt es sogar einen echten Triumphzug durch die Straßen. Quests wie "Töte zehn Ratten im Keller der Taverne" sucht man hier zum Glück vergeblich. Stattdessen hat man ständig das Gefühl; von Anfang an Aufgaben von echter Bedeutung zu erfüllen. Das spielt sich erfrischend und unverbraucht, man fühlt sich wichtig und ernst genommen. Wie ein Rogue Trader eben.

Ganz klassisches Gameplay

So originell die Erzählweise und das Setting sind, so klassisch ist das Gameplay. Man kommandiert eine Party aus bis zu sechs Spielfiguren, führt Dialoge mit NPCs, erkundet die Welt und schickt die Feinde des Imperiums gleich massenweise in den Warp zurück. Denn "Rogue Trader" ist äußerst kampfbetont. Die Auseinandersetzungen laufen rundenbasiert ab und passend zur Prämisse, ist die eigene Gruppe so gut wie immer in der Unterzahl: Von allen Seiten stürmen Kultisten und Mutanten heran. Einzeln stellen sie keine Gefahr dar, aber in der Gruppe können die Gegner sehr schnell zur ernsthaften Bedrohung werden.

Obwohl es ein heruntergekommenes Piratennest ist, hat die Raumstation Footfall eine spektakuläre Architektur.
Obwohl es ein heruntergekommenes Piratennest ist, hat die Raumstation Footfall eine spektakuläre Architektur.
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Aber auch das ist Absicht: Die irren Kultisten nehmen nämlich keinerlei Rücksicht auf ihr eigenes Leben oder das ihrer Kameraden, und so fliegt schon mal eine Granate in die eigenen Reihen, nur um ein Mitglied der Party zu erwischen. Gleichzeitig bedeutet das auch, dass die Spielfiguren mit ihren Boltern, Kettenschwertern und Energiehämmern in einer Runde oft mehrere Gegner gleichzeitig ausschalten. Im Betatest war noch das Balancing ein Kritikpunkt, und vor allem die Nahkämpfer wirkten etwas schwach. Da hat man bei Owlcat offenbar noch einmal nachgebessert: Zum Release sind die Haudraufs beinahe schon wieder zu stark und gewinnen viele Kämpfe fast im Alleingang.

Umfangreiche Charakterentwicklung

Das hängt natürlich auch von den Skills ab, mit denen man seine Charaktere ausstattet, und diese sind zahlreich: Pro Level-Aufstieg kommt mindestens eine Fähigkeit dazu. Zu Beginn können wir nur aus Krieger, Soldat, Operativer oder Offizier wählen. Mit Level 16 bekommen die Heldinnen und Helden der "Rogue Trader"-Gefolgschaft noch eine Subklasse mehr, bevor sie mit Level 36 zum "Exemplar" aufsteigen. Die vielen Fähigkeiten sind es auch, die den Kämpfen die nötige taktische Tiefe verleihen. So kann man etwa die Motivationsfähigkeiten der Offiziere nutzen, damit der Scharfschütze angreifen darf, obwohl er eigentlich nicht an der Reihe ist. Oder man lässt die Sister of Battle zum Imperator beten, woraufhin sich ihre Zielgenauigkeit mit dem Bolter verbessert.

Die Kämpfe laufen rundenbasiert ab.
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Spätestens ab Akt drei ist es auch dringend nötig, die eigenen Fähigkeiten wohlüberlegt einzusetzen, sonst wird man von den Feinden der Menschheit unweigerlich überrannt. Auch hier wirkt das Balancing manchmal ein wenig daneben: Manche Kämpfe sind so leicht, dass sie in Runde zwei schon wieder vorbei und gewonnen sind. Wieder andere Begegnungen sind unfair schwer, wenn ein Zeitlimit dazukommt oder sich die Gegner plötzlich in massige Chaos Spawns verwandeln. DER STANDARD hat allerdings eine Prerelease-Fassung getestet, gut möglich, dass das Balancing am Veröffentlichungstag geändert wurde. Wie man nämlich bei Owlcat erklärt, hat man insgesamt noch vor dem Erscheinungstag 1.300 Bugs gefixt.

Bitte warten im Ladebildschirm

Das ist auch gut so, denn manches Mal machten nervtötende Fehler das Testerleben unnötig schwer. Manche Dialoge wollten nicht starten, manchmal war es unmöglich, eine Kiste mit Beute auszuwählen, und Figuren blieben gerne an Geländekanten hängen. Richtige Plotstopper sind aber im Gegensatz zur Beta nicht mehr aufgetreten. Es bleibt auch zu hoffen, dass Owlcat noch einen Weg findet, die Ladezeiten ein wenig zu verkürzen. Denn gerade in den Story-Abschnitten mit den In-Engine-Sequenzen wird gefühlt jede Szene von einem eigenen Ladebildschirm eingeleitet. Das erwies sich bei besonders epischen Momenten leider manchmal als ein Stimmungskiller.

Aber "Rogue Trader" besteht nicht nur aus Ladebildschirmen und äußerst blutig inszenierten Kämpfen: Es bemüht sich auch, ein wenig Open-World-Spiel zu sein. So darf man nach rund 20 Spielstunden den Raumsektor namens Koronus Expanse mehr oder weniger frei erkunden, Schiffswracks plündern, Planeten scannen und sogar sein eigenes Minenunternehmen betreiben. Manchmal wird man auch von Piraten angegriffen. Bei diesen Überfällen darf man sein eigenes Schiff steuern und die gegnerischen Schiffe mit Torpedos und Makrobatterien heim zu Papa Nurgle schicken. Leider spielen sich diese Kämpfe ein wenig zäh, und sie sind auch nicht besonders spannend inszeniert. Dennoch sind sie eine nette Abwechslung zum Rogue-Trader-Alltag, auch wenn sie nicht an die Qualität eines "Battlefleet: Gothic Armada 2" heranreichen.

Handeln, tauschen, plündern

Natürlich wurde auch der Aspekt des Handels gut umgesetzt: Nicht nur darf man mit den selbstabgebauten Ressourcen Lieferaufträge erfüllen und so seinen Ruf festigen, man darf auf Wunsch auch Piraten und Schmuggler mit erbeuteten Waffen beliefern oder mit der Kirche heilige (oder ketzerische) Artefakte handeln, die man zuvor in der Spielwelt gefunden hat. Damit steigt die Reputation bei den einzelnen Fraktionen, und man schaltet so neue Waffen oder Ausrüstung für das Flaggschiff frei.

Auf Wunsch darf man "Rogue Trader" auch im Koop-Modus durchspielen, wobei aber nur der Host Gebiete wechseln oder Dialoge führen darf. In besonders herausfordernden Kämpfen lohnt es sich aber, einen zweiten Spieler zur Hilfe zu holen, weil man nur noch drei statt sechs Charakteren selbst steuern muss.

Zum Schluss stellt sich natürlich die Frage: Kann "Rogue Trader" gegen das Rollenspielmeisterwerk des Jahres 2023 in Form von "Baldur's Gate 3" anstinken? Nicht ganz, aber es ist verdammt nah dran. Die Produktionsqualität ist bei "Rogue Trader" natürlich deutlich niedriger, und die Dialoge sind lange nicht so sensationell gut inszeniert. Dafür punktet das Spiel im "Warhammer-Universum" mit einer hervorragend gelungenen Umsetzung der Vorlage. Selten wurden etwa die Techpriester der Adeptus Mechanicus so gut dargestellt. Auch die Geschichte weiß zu überzeugen, auch wenn diese natürlich von einem Chaoskult handelt.

Fazit: Die Überraschung des Jahres

Für mich ist "Rogue Trader" die Überraschung des Jahres. Wobei ich zugeben muss, ganz objektiv bin ich nicht: Steht "Warhammer" drauf, gibt es von mir von Haus aus schon einmal einen satten Sympathiebonus, weswegen auch Kollege Alexander Amon ein weiteres Fazit beisteuern musste. Der ist nämlich im Gegensatz zu mir vom Verdacht befreit, ein Fanboy zu sein.

Dennoch kann ich ruhigen Gewissens sagen: Wer klassische Rollenspiele liebt und sich ein wenig mit dem düsteren Scifi-Setting anfreunden kann, wird über die Weihnachtsfeiertage viel Freude mit "Rogue Trader" haben. Wer beim Anblick eines Ceramit-gerüsteten Space Wolves feuchte Augen bekommt und "Cadia hält stand" auf dem Oberarm tätowiert hat, für den ist "Rogue Trader" ein Pflichtkauf. Wer dieses Spiel als "Warhammer"-Fan auslässt, ist nicht nur selber schuld, sondern auch ein abscheulicher Ketzer.

Zweitmeinung: Nicht nur für "Warhammer"-Fans

Mein Vorwissen in Bezug auf "Warhammer" beschränkt sich auf das Anspielen weniger Computerspiele und ein paar Runden mit dem Brettspiel "Space Quest" im Jahr 1995. Mit den langen Texten, zahlreichen Verweisen und Anspielungen kann ich demnach im Gegensatz zum Kollegen wenig anfangen. Trotzdem ist "Rogue Trader" für mich ein starker Vertreter des Genres, auch wenn man natürlich in Sachen Präsentation gegenüber dem diesjährigen Klassenprimus "Baldur's Gate 3" klar den Kürzeren zieht.

Dennoch, wer ein Herz für rundenbasierte Kämpfe und eine ausgereifte Story hat, der wird bei "Rogue Trader" fündig. Die Klassen machen Spaß, auch wenn das Balancing offenbar noch in Arbeit ist. Mein Tipp: Genug Zeit mitbringen. Auch dieses Game ist ein Monster, was den Umfang betrifft. Gut, dass bald die Weihnachtsfeiertage kommen. (Alexander Amon, Peter Zellinger, 7.12.2023)