Es ist jener Moment aus einer Befragung, der seit Dienstag tausendfach im Internet kursiert. Liz Magill, Präsidentin der University of Pennsylvania, wird von einem Kongressausschuss mit folgender Frage konfrontiert: "Stellen Aufrufe zum Völkermord an Juden einen Verstoß gegen die Verhaltensregeln der Penn (University of Pennsylvania, Anm.) dar – ja oder nein?" Es ist eine Frage, die, wie man sich denken möchte, nicht schwer zu beantworten sein kann. Magill, selbst Juristin, aber zögert. Schließlich sagt sie: "Wenn die Sprache in ein Verhalten mündet, kann das Belästigung darstellen." Auf Nachfrage fügt sie schließlich hinzu: "Es handelt sich um eine vom Kontext abhängige Entscheidung."

Liz Magill, Chefin der University of Pennsylvania.
Liz Magill, Chefin der University of Pennsylvania, bei ihrer Aussage vor dem Kongress.
REUTERS/KEN CEDENO

Die Aufregung ist seither groß, Magill wird – ebenso wie die Präsidentinnen von Harvard und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT), die bei der gleichen Anhörung ähnliche Antworten gaben – massiv kritisiert. Zugleich melden sich aber auch Verteidiger der drei vorgeladenen Uni-Größen. Sie sagen, angesichts der Meinungsfreiheit in den USA und der Wahrheitspflicht hätten alle drei kaum eine Möglichkeit gehabt, die Frage anders zu beantworten. Es handle sich um eine Falle der Fragestellerin Elise Stefanik. Die republikanische Abgeordnete, eine fanatische Anhängerin Donald Trumps, habe den dreien eine Frage gestellt, deren wahrscheinliche Antwort sie gekannt habe. Sie habe das Ziel verfolgt, danach Videos in sozialen Medien verbreiten und Wahlkampfspenden sammeln zu können.

Der STANDARD hat sich angesehen, ob diese Argumentation der Realität entspricht.

Frage: Was ist der Hintergrund der Einladung?

Antwort: Antisemitische Vorfälle an den US-Universitäten haben seit dem pogromartigen Überfall der Hamas auf Orte nahe des Gazastreifens am 7. Oktober massiv zugenommen. 70 Prozent der jüdischen Studierenden sagten in einer Umfrage der amerikanischen Anti-Defamation League (ADL) von Ende November, sie seien im laufenden Jahr an ihrem College zum Ziel von Antisemitismus geworden. Insgesamt gelten die Universitäten als ein Hotspot der Auseinandersetzung in den USA. Ihnen wird vorgeworfen, antisemitische Kundgebungen, auf denen die Gewalt der Hamas nicht oder nicht ausreichend verurteilt wird, zuzulassen – auch solche, bei denen sich Angehörige des Lehrkörpers beteiligen. Zugleich berichten auch muslimische Studierende von einem immer feindlicheren Klima und von zunehmenden Übergriffen. Auch werde es ihnen verunmöglicht, Kritik am israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen zu äußern, klagen sie.

Frage: Wozu diente nun die Anhörung? Und wer ist hier wer?

Antwort: Die University of Pennsylvania (Penn bzw. UPenn), Harvard und das Massachusetts Institute of Technology (MIT) zählen zu den angesehensten Bildungsinstitutionen des Landes. Bereits vor der aktuellen Kontroverse waren sie, stellvertretend für andere wichtige Unis, im Zentrum einer Debatte über die freie Rede gestanden. Sie waren zum Ziel von Angriffen gegen angebliche "Wokeness" geworden – also dem Vorwurf, das Rederecht von Studierenden zugunsten einer überbordenden politischen Korrektheit einzuschränken. Auch die University of Pennsylvania zählte zu jenen Instituten, die dafür heftig kritisiert wurden. Als Magill im Jahr 2022 auf ihren aktuellen Posten berufen wurde, war die Balance zwischen freier Rede und dem Schutz Studierender vor Angriffen bereits massiv im Gange. Sie versprach damals, eine "Balance" zwischen den beiden Polen herzustellen. Die republikanische Abgeordnete Elise Stefanik, die nun in der Anhörung die Fragen stellte, stand auf der anderen Seite dieser Debatte. Sie hatte in mehreren Wahlkämpfen massiv die freie Rede gegen "Wokeness" verteidigt.

Frage: Was ist die Ausgangssituation?

Antwort: Auskunftspersonen vor Kongressausschüssen stehen unter Wahrheitspflicht und dürfen auch nur direkt die ihnen gestellten Fragen beantworten. Sie sind damit strukturell benachteiligt gegenüber den Abgeordneten, die ihnen die Fragen stellen. Diese nutzen ihre Auftritte nämlich oft, um Zusammenhänge so darzustellen, dass sich Clips davon gut zur Verwendung in Wahlkampfvideos eigenen. Anders als die Befragten dürfen sie in ihrer Fragestellung auch vom eigentlichen Thema abweichen, ungefragt Dinge einwerfen und die Aussagen der Auskunftspersonen frei interpretieren.

Frage: Wie genau waren die Fragen gestellt?

Antwort: In der Befragung Magills spricht Stefanik zunächst von einem Protest, der in Harvard tatsächlich stattfand, und auf dem unter anderen zu einer "Intifada" aufgerufen wurden, also zu einem gewaltsamen Aufstand der Palästinenser gegen Israel. Davon ausgehend fragt sie dann Sally Kornbluth, Chefin des MIT, ob Aufrufe zum "Geonzid an Juden" antisemitisch seien. Diese sagt darauf, solche Rufe habe es an ihrer Uni nicht gegeben. "Aber es gab Rufe nach einer Intifada?", fragt Stefanik dann. "Es gab Rufe, die abhängig vom Kontext antisemitisch sein können", sagt Kornbluth darauf und meint offenkundig jene nach "Intifada". Daraufhin fragt Stefanik dann Magill, ob "Aufrufe zum Genozid an Juden" mit den Verhaltenscodes der University of Pennsylvania vereinbar seien – woraufhin sich der vielzitierte Dialog entspinnt, in dem auch Magill von der "Kontextabhängigkeit" spricht.

Frage: Auch wenn die Fragen kompliziert gestellt waren – wieso kann Magill die Aufrufe nicht einfach klar verurteilen?

Antwort: Magill und ihre beiden Kolleginnen stehen, darauf jedenfalls beziehen sich ihre Verteidiger, unter Wahrheitspflicht und dürfen von der Frage auch nicht weit abweichen. Stefaniks Frage richtet sich nicht nach ihrer persönlichen Ansicht zum Gesagten, sondern danach, ob Aufrufe gegen die Richtlinien der Unis verstoßen würden. Diese aber sind vage gehalten. In der Handreichung der University of Pennsylvania heißt es etwa, Hassrede, um die es hier geht, sei schwer zu definieren und noch schwerer von der freien Rede abzugrenzen. Man sei zwar als Privatuni nicht an die – extrem breiten – Freiheiten des ersten Zusatzes der Amerikanischen Verfassung zur Redefreiheit gebunden, halte sich aber an dessen Werte. Daher könne man Studierende zwar dann disziplinär bestrafen, wenn sie sich während der Lehreinheiten hasserfüllt äußern. "Aber was Mitglieder unserer Gemeinschaft in der Öffentlichkeit, auch auf dem Gelände der Uni, sagen, kann nur bestraft werden, wenn die hetzerische Rede bewusst und direkt zur Gewalt einer Menschenmenge führt." Ähnlich sind auch die Regeln von Harvard und MIT gehalten.

Frage: Sind die Vorwürfe also ungerecht?

Antwort: So einfach ist das auch nicht. In der Anhörung ging es ja genau um die Auslegung der bestreffenden Regeln – also darum, ob Magill, Harvard-Chefin Claudine Gay und Kornbluth sich ausreichend um die "andere Seite der freien Rede" kümmern, also darum, dass alle Studierenden sich auf dem Gelände der Universität sicher fühlen können. Auch im Rahmen der Kongressbefragung hätten sie zudem Möglichkeiten finden können, sich stärker von den "Aufrufen zum Genozid" zu distanzieren. Das wäre auch mit besser Vorbereitung möglich gewesen, denn dass Fragen dieser Art auftauchen würden, kann keine Überraschung gewesen sein. Der Vorwurf, dem sich die Vorgeladenen stellen mussten, liegt darin, ihre eigenen Regeln nicht konsequent zu exekutieren – nun gegen Antisemitismus also weniger streng vorgehen als vor geraumer Zeit noch gegen politische Inkorrektheit. Dass die drei Uni-Chefinnen sich nun kritischen Fragen zu ihren Verhaltensregeln stellen müssen, liegt schließlich genau daran, dass sich jüdische Studentinnen und Studentin durch diese Regeln nicht ausreichend geschützt fühlen.

Allerdings: Ähnlichen Vorwürfen müssen sich auch republikanische Abgeordnete wie Stefanik stellen, die selbst ihre Karriere auf dem Kampf für eine sehr weit ausgelegte Redefreiheit aufgebaut haben, sich nun aber genau dafür ereifern. (Manuel Escher, 7.12.2023)