Der griechische Premierministers Kyriakos Mitsotakis und der Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan
Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan begraben in Athen einen Großteil ihrer langjährigen Differenzen. Das sehen auch Nato und EU mit Wohlwollen.
IMAGO/Michalis Karagiannis / Eur

Seit Donnerstag wollen die Türkei und Griechenland wieder Freunde sein. Nach jahrelangen, teils heftigen Auseinandersetzungen um die Ausbeutung von Rohstoffen im Mittelmeer wurde bei einem Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Athen ein Dokument über Freundschaft und gute Nachbarschaft unterzeichnet, mit dem ein neues Kapitel im Verhältnis der beiden Nachbarstaaten aufgeschlagen werden soll. Neben Erdoğan reisten acht weitere türkische Minister mit nach Griechenland, die in einem sogenannten Großen Kooperationsrat mit der griechischen Regierung weitere 16 Abkommen beraten und unterzeichnen wollten.

Nach einem knapp zweistündigen Gespräch zwischen Erdoğan und dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis wurden bei der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz viele warme Worte ausgetauscht.

"Mein lieber Tayyip"

Mitsotakis nannte Erdoğan "meinen lieben Tayyip", während Erdoğan schon zuvor in einem Interview mit der griechischen Zeitung "Kathimerini" von seinem "Freund" Mitsotakis gesprochen hatte. Obwohl die großen Probleme zwischen beiden Ländern wie die territorialen Streitigkeiten in der Ägäis, im Mittelmeer und auf Zypern erst einmal gar nicht angesprochen wurden, kündigte Erdoğan an, mit "Optimismus" in die Zukunft schauen zu wollen. Man werde sich künftig häufiger treffen, denn "im Dialog werden wir Lösungen finden".

Vereinbart wurde bereits, dass das griechische und das türkische Militär wieder enger zusammenarbeiten und vor allem die Küstenwachen beider Länder sich abstimmen. Erdoğan hat eine enge Kooperation bei der "Verhinderung illegaler Migration" von der Türkei auf die griechischen Inseln zugesagt, im Gegenzug will Griechenland die Visabestimmungen für türkische Touristen lockern. Außerdem hoffen die beiden, den Handel zwischen Griechenland und der Türkei verdoppeln zu können.

Wirtschaftliche Annäherung

Ein wesentlicher Grund für die neue Herzlichkeit Erdoğans gegenüber Mitsotakis ist sicher in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu sehen, und zwar nicht nur mit Griechenland, sondern mit der EU insgesamt. Die Türkei braucht dringend Geld und Investoren aus der EU, und eine gute Atmosphäre mit dem westlichen Nachbarn ist da sicher hilfreich.

Sollte sich das gute Verhältnis zu Griechenland verstetigen, könnten die USA und Deutschland auch eher bereit sein, die Kampfflugzeuge F-16 und den Eurofighter an die Türkei zu liefern, was bislang vor allem mit dem Verweis auf die Gefahr für Griechenland abgelehnt wird.

Jahrelange Streitigkeiten

Tatsächlich sind dem Besuch Erdoğans in Athen erhebliche diplomatische Anstrengungen vorausgegangen. Erdoğan hat sich im Juli am Rande des Nato-Gipfels in Vilnius erstmals seit rund zwei Jahren wieder persönlich mit Mitsotakis getroffen und den beiderseitigen Austausch am Rande der UN-Vollversammlung im September vertieft. Zusätzlich trafen sich die beiden Außenminister und im November auch Vertreter der beiden Verteidigungsministerien, um vertrauensbildende Maßnahmen zu beraten. Die Unterhändler beider Seiten haben sich darauf geeinigt, jetzt erst einmal Vereinbarungen auszuloten, von denen beide Seite profitieren werden, bevor dann auch die wirklich schwierigen Themen angegangen werden können.

Dazu gehören die jahrzehntealten Dispute um den Festlandsockel in der Ägäis, die Hoheitsgebiete in der Luft und die jeweiligen Wirtschaftszonen in der Ägäis und im Mittelmeer. Nach griechischen Angaben hat die Türkei hier bereits Vorleistungen erbracht. Seit dem Sommer sei die Luftraumverletzung durch türkische Kampfflugzeuge in der Ägäis von angeblich über 1000 in den ersten drei Monaten des Jahres auf lediglich acht in den letzten drei Monaten zurückgegangen. Auch die Anzahl der Flüchtlinge, die von der Türkei aus die griechischen Inseln ansteuern, sei um 60 Prozent zurückgegangen.

Konflikte kleinhalten

Das Gipfeltreffen in Athen fand angesichts des Krieges in Gaza und des unvermindert andauernden Krieges Russlands gegen die Ukraine statt. Mitsotakis verurteilte zwar erst kürzlich Erdoğans Unterstützung der Hamas, sah aber darin keinen Grund, sich nicht zu treffen. Eher im Gegenteil, angesichts der Spannungen im östlichen Mittelmeer haben beide Seiten ein Interesse daran, wenigstens die Konflikte miteinander kleinzuhalten. Eine Entscheidung, die auch bei der EU und der Nato für Erleichterung gesorgt haben dürfte. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 7.12.2023)