Mit fünf Milliarden Euro Überschuldung geht die Pleite der Signa-Holding in die österreichische Wirtschaftshistorie ein. Jahrelang wurde das vom Tiroler René Benko 2001 gegründete Immobilienunternehmen mit Superlativen beschrieben, so wie der Gründer himself. "René", wie er amikal genannt wird, galt als ökonomisches Wunderkind und heimste eine Auszeichnung nach der anderen ein. 2011 kürte ihn der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter zum "Tiroler des Jahres", im gleichen Jahr wurde der damals 34-Jährige "Mann des Jahres" im Wirtschaftsmagazin Trend – das ihm die nicht ganz unumstrittene Auszeichnung (nicht nur einer der Geehrten ging später pleite) sieben Jahre später gleich noch einmal angedeihen ließ. 2018 ernannte ihn das Handelsblatt zum "Strategen des Jahres".

Im Trend formuliert Benko seine Vision so: "Signa soll eine europäische Industrie- und Beteiligungsholding im Familienbesitz sein, ähnlich wie die Familienholdings der Agnellis, Oetkers oder Reimanns." Alle drei Familien gehören zu den traditionsreichen Dynastien Europas und haben ihr Vermögen über Generationen zusammengetragen. Reimanns beschäftigen sich etwa mit Waschmitteln, Oetkers mit Nahrungsmitteln, Agnellis mit Autos, Versicherungen und Fußball.

Benko hat 2001 die Immofina gegründet und fünf Jahre später in Signa umfirmiert. Heute, 17 Jahre später, ist die Dachgesellschaft, an der er und seine Familie indirekt die Mehrheit halten, pleite; die Signa Prime, in der die Luxusimmobilien geparkt sind, soll an einem Insolvenzantrag arbeiten. Alteingesessene Investoren wie Hans Peter Haselsteiner (Strabag), Fressnapf-Gründer Torsten Toeller oder Logistiker Klaus-Michael Kühne bangen um millionenschwere Investments.

Nicht bei allen beliebt: Protest gegen Benko von Mitarbeitern bei Galaria Karstadt Kaufhof wegen der Schließung von Filialen.
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Ebenso wie ein paar von Österreichs größten Banken, die mit Krediten von 2,2 Milliarden Euro bei der Signa festhängen. Früher war auch Österreichs Formel-eins-Weltmeister Niki Lauda investiert, der 2018 noch jubelte, dass er bei Signa im Schnitt mit einer Rendite von 18 bis 20 Prozent im Jahr aussteige.

Daneben gelang es Benko, eine illustre Schar an Promis auf seiner Seite in Stellung zu bringen. Im von ihm geführten Beirat, dessen Mitglieder die Signa-Chefs angeblich strategisch berieten, sitzen etwa Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ), die frühere FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Hahn, der Ex-Chef der Raiffeisen Bank International, Karl Sevelda, Ex-Casinos-Austria-Chef Karl Stoss oder Ex-Bank-Austria-Chef Karl Samstag.

Worüber alle, Investoren wie Beirats- oder Aufsichtsratsmitglieder offenbar hinwegsahen: Die Signa-Gruppe ist ein völlig intransparentes Konstrukt aus Hunderten von Gesellschaften, in dem es keine Konzernbilanz gibt. Eine Blackbox.

Ein Innsbrucker Schulabbrecher, der binnen kurzem ein Milliardenreich zusammenkauft, Superreiche für Investments gewinnt, mit Villen, Yacht und Privatflieger ebenso beeindruckt wie mit Festen, bei denen er für Wirtschafts-, Medien- und Politprominenz Hof hält. Ein Unternehmer, der offenbar die Gesetze der Schwerkraft aushebelt – und kaum einer hinterfragt den Spuk? Was macht Benkos augenverschließende Anziehungskraft aus?

Reiche laufen Reichen nach

Geld zum Beispiel. Mit Benko ließ sich bestens verdienen – so lang Geld nichts kostete und Immobilienwerte stiegen. Dazu kommen psychologische Faktoren, die erklären, warum auch Experten ein mögliches Ende des Höhenflugs ausblendeten. Mit "Überoptimismus" erklärt es Verhaltensökonomin Katharina Gangl vom Institut für Höhere Studien: "Menschen tendieren zum Glauben, sie selbst hätten Glück, egal ob beim Autofahren oder beim Investieren." In solchen Fällen gehen auch Experten, die sonst Abwägungen treffen, vom Best Case aus, ergänzt eine Unternehmensberaterin.

Dazu kommt ein Promi-Nachzieheffekt. "Wenn ein Superstar zum Mitmachen an Projekten einlädt, sind andere schnell überzeugt. Und wenn andere erfolgreiche Personen mitmachen, setzt häufig ein Mitzieheffekt ein, der sogar jene überzeugt, die davor noch gezögert haben", sagt der Wirtschaftspsychologe an der Uni Wien, Erich Kirchler. Bei Benko, der als Superverkäufer und extrem arbeitsam gilt und jede Zahl zu seinem Unternehmen im Kopf hat, sind die ganz Reichen den ganz Reichen gefolgt. Denn Menschen messen ihren Erfolg innerhalb der eigenen sozialen Schicht – und Renditen, die sogar einen Niki Lauda begeistert hatten, wollte niemand auslassen.

Rene Benko bei einem Charity-Rennen im Jänner 2023 in Kitzbühel
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Sogar Auskenner tendieren mitunter dazu, an Verheißungen zu glauben. Wissenschafter sprechen vom "Ankereffekt": Die versprochenen Zahlen zum Gewinn setzen sich im Kopf fest – selbst wenn man weiß, dass das Gegenüber zu dick aufträgt. Dazu kommt der Gruppeneffekt: Wenn kritische Aufsichtsratsmitglieder oder ein anderer Gegenpol fehlen, "laufen besonders männlich dominierte Gruppen Gefahr, zu riskant und zu optimistisch zu agieren", so Verhaltensökonomin Gangl.

Nicht einmal, als Benko 2019 den Schritt über den Großen Teich machte und in New York mit einem Partner das 77-stöckige Chrysler Building erwarb, nicht einmal, als er plötzlich ins ihm völlig fremde Mediengeschäft einstieg und einen Anteil an Krone und Kurier kaufte: Nicht einmal da schrillten die Alarmglocken. "Spätestens da war klar, dass er und alle Beteiligten von seinem Erfolg übermannt waren", so ein Unternehmer.

Vielleicht sind aber auch einfach die Finanzkrise und die Erfahrung, dass es auch schnell nach unten gehen kann, zu lang her. Ein irischer Banker, dessen Institut damals mit Krawumm zusammengebrochen war, erklärte das ganz psychologiefrei so: "Wer will schon in einer Boomphase, wenn alles nach oben geht, aus dem Lift steigen?" (Renate Graber, András Szigetvari, 8.12.2023)