Israelische Soldaten im Einsatz im Gazastreifen.
Israelische Soldaten im Einsatz im Gazastreifen.
AP/Moti Milrod

Einen Monat noch, aber nicht länger: Die Geduld der USA, was Israels Offensive im Gazastreifen betrifft, hat Grenzen, so hört man aus Kreisen, die damit vertraut sind. Washington drängt Israel, den intensiven Kampf der Bodentruppen in Gaza noch vor Mitte Januar zu beenden und zur nächsten Etappe überzugehen: Rückzug der Truppen, Einrichten eines Sicherheitskorridors und Fortsetzung der Angriffe aus der Luft, wobei auch punktuelle Invasionen der Infanterietruppen möglich sind. Die intensiven Bodenkämpfe sollen laut Biden-Administration aber bald ein Ende finden. Nur so könne verhindert werden, dass Hunger, Wassermangel und Seuchen noch mehr Tote in Gaza fordern.

Damit spießt sich die Vorgabe des wichtigsten Verbündeten Israels mit der Strategie, die Israels Militärkommando vorgibt. Und die lautet: kämpfen, bis die Hamas vernichtet ist, bei möglichst geringem Schaden für die eigenen Soldaten. Luftwaffe und Bodentruppen sind dabei aufeinander angewiesen, um Hamas-Ziele auszuforschen und auszuschalten.

Tunnelnetzwerk der Hamas

Die größte Hürde in dieser Operation besteht auch weiterhin im Tunnelnetzwerk der Hamas. Das von Israel "Metro" genannte Untergrundsystem soll sich über mehrere Hundert Kilometer erstrecken. Die Armee geht davon aus, dass die Spitzen der Hamas in Gaza – angeführt von Yahya Sinwar und Mohammed Deif – sich in den Tunneln unter Khan Yunis im Süden des Gazastreifens aufhalten.

In den Untergrundkanälen lagern die Terrorgruppen ihre Waffenarsenale, Munition, aber auch Lebensmittel für den eigenen Bedarf. Während die Zivilbevölkerung dem Beschuss ungeschützt ausgeliefert ist und zunehmend Durst und Hunger leidet, schont sich das Establishment der Hamas im Untergrundbunker – in der Hoffnung, dort so lange ausharren zu können, bis Israels Truppen abziehen.

Genau deshalb stellt sich Israel gegen einen baldigen Abzug. Man will vermeiden, dass ausgerechnet die Führungsriege der Hamas diesen Krieg unversehrt übersteht.

Unbekanntes Terrain

Das Tunnelnetzwerk stellt die Armee aber vor Herausforderungen. Bis jetzt haben die Truppen davor zurückgeschreckt, weit in die Tunnel vorzudringen und sich dort intensive Kämpfe mit den Terroristen zu liefern. Dafür gibt es gute Gründe: Während die Kämpfe an der Oberfläche sich auf gut ausgeforschtem Gelände bewegen, ist das Untergrundnetzwerk unbekanntes Terrain. Die Bodentruppen sind im Tunnel auf sich allein gestellt und können aus der Luft nicht unterstützt werden.

Im Nahkampf mit den ortskundigen Hamas-Kämpfern, die laufend auf Waffennachschub zurückgreifen können, sind sie dort im Nachteil. Dazu kommt die stete Gefahr, dass die Hamas an den Eingängen zu den Tunneln Sprengsätze platziert hat.

Bis jetzt hat die Armee daher vor allem auf Luftangriffe gesetzt, um die Tunnel zu beschädigen. Dafür sind aber hohe Mengen an Explosionsmaterial nötig: Die Schächte sollen bis in siebzig Meter Tiefe reichen und zum Teil mehrere Etagen umfassen. Diese Detonationen reißen immer auch die Gebäude im Umkreis des Treffers mit. Das sorgte schon im Norden – etwa im Stadtteil Jabaliya in Gaza-Stadt – für massive Kritik, weil dabei immer auch viele Zivilisten verschüttet und getötet werden.

Sensible Infrastruktur

Das gilt umso mehr für den Süden rund um Khan Younis: Nach der von Israel verordneten Massenevakuierung ist der Süden extrem dicht besiedelt. 85 Prozent der Bevölkerung in Gaza gelten derzeit als Binnenvertriebene, der Großteil von ihnen harrt im Süden aus. Luftangriffe sind auch deshalb problematisch, weil sich die Tunnel oft unter sensibler Infrastruktur befinden, etwa unter Krankenhäusern oder Schulen.

Israels Armee hat in den vergangenen Tagen zwar mehrstündige Waffenpausen eingerichtet und die Bevölkerung im Süden aufgefordert, bestimmte Teile der Stadt Khan Younis zu verlassen, um auch dort gegen die Tunnel vorgehen zu können. Diese Informationen dringen aber oft nicht durch, weil die Handynetze nicht intakt sind oder Mobiltelefone nicht geladen werden können.

Das Tunnelnetzwerk beschränkt sich nicht auf den Gazastreifen, es reicht bis nach Ägypten. Auf diese Weise wird Nachschub an Waffen für die Hamas orchestriert. Dieser Zweig des Tunnelnetzwerks dient den Spitzen der Hamas aber auch als möglicher Exit-Punkt in dem Fall, dass die Truppen im Süden näher rücken. Für Israel wird es also entscheidend sein, auch in unmittelbarer Grenze zu Ägypten anzugreifen. Das ist aber aus mehreren Gründen heikel: Einerseits halten sich in der Nähe des Grenzübergangs Rafah derzeit besonders viele Binnenflüchtlinge auf. Andererseits sieht Ägypten diese Angriffe mit einiger Skepsis: Man befürchtet, dass sie Fluchtbewegungen auf ägyptisches Territorium auslösen könnten.

Geiseln in den Tunneln

Eine mögliche Option, um die Zahl an zivilen Opfern vergleichsweise gering zu halten und ägyptische Sorgen zu beruhigen, wäre das Fluten der Tunnel mit Meerwasser. Das wurde bereits versucht, als Ägypten große Mengen an Abwasser in einen Teil des Netzwerks leitete.

Im aktuellen Krieg stellt sich aber das Problem, dass sich immer noch mehr als 130 Geiseln in der Gewalt der Hamas befinden. Israel muss davon ausgehen, dass der Großteil von ihnen im Tunnelsystem festgehalten wird. (Maria Sterkl, 12.12.2023)