Bei einer Pressekonferenz in Manila werden Videos von den Vorfällen vom Wochenende gezeigt.
AFP/EARVIN PERIAS

Nach dem Zusammenstoß eines chinesischen mit einem philippinischen Schiff im Südchinesischen Meer sind die Spannungen zwischen den zwei Ländern auch am Montag groß. Der Zwischenfall am Wochenende stellt die größte Eskalation seit Jahren in der Region dar. Doch worum geht es bei dem Konflikt eigentlich? Und warum streiten sich die Länder um vermeintlich bedeutungslose Inseln und Atolle mitten im Ozean?

Frage: Was genau ist am Wochenende passiert?

Antwort: Die Darstellungen davon, was passiert ist, gehen auseinander: Die chinesische Seite wirft den Philippinen vor, dass ein philippinisches Versorgungsschiff am Sonntag ein Schiff der chinesischen Küstenwache gerammt habe. Zuvor habe es Warnungen der Küstenwache ignoriert und darauf bestanden, in die Gewässer um das Second-Thomas-Shoal einzudringen, wie ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am Montag sagte.

Die Philippinen stellen den Vorfall gänzlich anders dar: Schiffe der chinesischen Küstenwache hätten philippinische Versorgungsschiffe mit Wasserwerfern attackiert. Dabei habe ein Boot einen erheblichen Motorschaden erlitten, ein anderes Boot sei "absichtlich" gerammt worden. Wie sich am Montag außerdem herausstellte, war ein hochrangiger philippinischer Militär selbst an Bord des Schiffs, das gerammt wurde. Romeo Brawner, Chief of Staff des Militärs, blieb nach eigenen Angaben unverletzt. Er selbst glaubt nicht, dass die chinesische Seite wusste, dass er an Bord war.

Bereits am Tag zuvor, also am Samstag, hatten chinesische Schiffe mindestens achtmal die Versorgungsschiffe mit Wasserwerfern um das Scarborough-Shoal angegriffen.

Frage: Wo genau ereignete sich der Zwischenfall?

Antwort: Die Kollision ereignete sich nahe des sogenannten Second-Thomas-Shoal, wo die Philippinen bereits 1999 die Sierra Madre, ein altes militärisches Transportschiff absichtlich auf Grund laufen ließen. Dieses wird bis heute als Militärbasis verwendet, um die Region gegen Chinas Machtansprüche zu verteidigen. Auf der Sierra Madre leben das ganze Jahr über einige Soldaten, die von den philippinischen Hauptinseln aus versorgt werden. Die Schiffe, die nun in den Vorfall involviert waren, befanden sich auf einer Weihnachtsmission zu den Soldaten.

Das Second-Thomas-Shoal liegt rund 200 Kilometer von der nächsten größeren philippinischen Insel Palawan entfernt. Die nächstgelegene chinesische Insel (Hainan) liegt über tausend Kilometer entfernt.

Frage: Warum kümmert man sich um so abgelegene Inseln?

Antwort: Die kleinen Inseln, um die es bei den immer häufiger werdenden Zwischenfällen im Regelfall geht, wirken auf den ersten Blick unbedeutend – wie auch im Fall des Second-Thomas-Shoal. Und doch investieren die beteiligten Konfliktparteien viele Ressourcen, um ihre Ansprüche im Südchinesischen Meer zu verteidigen. Immerhin führt ein Großteil des weltweiten Schiffshandels durch diese wichtige Meeresregion.

Dabei gibt es nicht nur zwischen China und den Philippinen Streit darüber, wem welche Abschnitte gehören. Fast alle an das Südchinesische Meer angrenzenden Länder stehen mit einem oder mehreren anderen der Länder im Clinch: Vietnam, Malaysia, Brunei, Indonesien oder die Insel Taiwan erheben eigene Ansprüche.

Die chinesischen Ansprüche sind aber mit Abstand die umfangreichsten. Außerdem geht China am aktivsten vor, diese umzusetzen. So beansprucht die Volksrepublik anhand der "Nine-Dash-Line" so gut wie das gesamte Meeresgebiet für sich. 2016 hat der Internationale Schiedsgerichtshof in Den Haag in einem historischen Urteil Chinas Ansprüche als haltlos zurückgewiesen. Doch Peking erkennt das Urteil nicht an, bleibt bei seinen Forderungen und beruft sich immer wieder auf historische Ansprüche.

Frage: Was ist nun neu an der Eskalation?

Antwort: Es ist vor allem der Konflikt zwischen China und den Philippinen, der besonders besorgniserregend ist. Seit Jahren schafft China einerseits Fakten, indem es Inseln rund um die umstrittenen Spratly Islands aufschüttet und andere Infrastruktur verstärkt. In den vergangenen Monaten kam es aber auch öfter zu direkten Kollisionen von Schiffen, wie etwa bereits im Oktober. Die vergangenen Monate haben außerdem den verstärkten Einsatz von Wasserwerfern auf chinesischer Seite gesehen.

Vor einigen Wochen kam es auch in der Luft zu einer Beinahe-Kollision zwischen chinesischen und US-amerikanischen Kampfjets über dem Südchinesischen Meer. Der chinesische Pilot sei in "unsicherer und unprofessioneller Weise" unter und vor einem US-Flugzeug im Abstand von nur drei Metern geflogen, teilte das US-Kommando im Indopazifik Ende Oktober mit. China reagierte mit Gegenvorwürfen: Dass ein US-Militärflugzeug den weiten Weg bis vor die Haustür Chinas auf sich nehme, um Stärke zu zeigen, sei die Ursache für das Sicherheitsrisiko zu Wasser und in der Luft, hieß es aus Peking.

Frage: Was haben die USA damit zu tun?

Antwort: Als ehemalige US-Kolonie haben die Philippinen ein historisches Verhältnis zu den USA. Nach der philippinischen Unabhängigkeit 1946 blieben die Länder vor allem in Sicherheitsfragen enge Partner. Als der Rechtspopulist und Hardliner Rodrigo Duterte 2016 an die Macht kam, erlitt das Verhältnis einen Dämpfer. Duterte suchte aktiv den Kontakt mit Peking und betonte, die Beziehungen nach China bessern zu wollen, trotz der Territorialstreitigkeiten. Seitdem Ferdinand Marcos 2022 ins Präsidentenamt gezogen ist, vertiefen sich die Beziehungen mit den USA wieder rapide. US-Präsident Joe Biden versucht aktiv, Allianzen vor Ort zu stärken, um Chinas wachsenden Einfluss in der Region einzudämmen.

Am Montag verurteilte US-Außenamtssprecher Matthew Miller Chinas "Einmischung in philippinische Marineoperationen". Diese untergrabe die regionale Stabilität. Die USA bekräftigten außerdem ihre Unterstützung für den philippinischen Verbündeten und ihr Engagement für den gegenseitigen Verteidigungspakt zwischen den beiden Ländern. Präsident Ferdinand Marcos Jr. twitterte bereits am Sonntag, dass sein Land "standhaft" bleibe.

Manila hat den chinesischen Botschafter am Montag wegen der "aggressiven Aktionen" einberufen. (Anna Sawerthal, 11.12.2023)