Litauen gilt als entschiedener Unterstützer der Ukraine. Die Grenze zum autoritär regierten und mit Russland verbündeten Belarus hingegen ist mittlerweile mit einem Zaun gesichert.
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Hochrangige Abgeordnete aus Litauen haben sich am Montag in Wien für die rasche Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine ausgesprochen. "Diese Woche steht uns eine Schlüsselentscheidung bevor", sagte Žygimantas Pavilionis, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im litauischen Parlament, in Anspielung auf den am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel dem STANDARD. Pavilionis, der am Montag im Vorfeld des Gipfels zu Gesprächen in Wien war, fürchtet allerdings, dass ein entsprechender Beschluss im Europäischen Rat "durch Ungarn und einige andere Länder" blockiert werden könnte.

Tatsächlich hatte Ungarns rechtsnationaler Premier Viktor Orbán zuletzt mit einem solchen Schritt gedroht. Er berief sich dabei auf angeblich nicht erfüllte Reformauflagen für Kiew. Allerdings gehen viele Diplomatinnen und Diplomaten davon aus, dass er vor allem im eigenen Interesse den Druck auf die EU erhöhen will, um Fördergelder für Ungarn freizupressen, die wegen Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit eingefroren wurden.

"Wir wissen, dass auch Österreich immer für die Erweiterung war und auch eigene Prioritäten auf dem Balkan hat", so Pavilionis, der sich dafür aussprach, "die Kräfte zu bündeln, um die Erweiterung umzusetzen." Österreich war stets ein Fürsprecher der Aufnahme der Westbalkanstaaten. Zuletzt war in Wien deshalb auch die Sorge laut geworden, die Ukraine und die Republik Moldau könnten diese Länder, die schon viel länger Richtung EU streben, dabei überholen. Pavilionis teilt diese Befürchtung nicht und plädiert für eine Paketlösung: "Österreich kennt den Westbalkan viel besser, aber wir kennen die Ukraine viel besser. Das Reformtempo dort, und auch in der Republik Moldau, ist enorm. Das hat auch die europäische Kommission bestätigt."

"Kraft der Transformation"

Selbst nach der Aufnahme von Beitrittsgesprächen würde eine Mitgliedschaft in der EU für Kiew freilich nach wie vor in weiter Ferne liegen. Auf lange Sicht aber wäre der Beitritt dieser "riesigen Volkswirtschaft" auch für Österreich attraktiv, meint Pavilionis. Als Beispiel für das Potenzial, das in der wirtschaftlichen Umgestaltung liegt, nannte er auch sein eigenes Land, also das kleine Litauen: "Unser Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt heute bei 90 Prozent des EU-Durchschnitts. Vor 30 Jahren lagen wir bei 15 Prozent. Die Kraft der Transformation ist enorm, das sind auch großartige Perspektiven für die Wirtschaft in Österreich."

Aber nicht nur ökonomische Verlockungen würden für eine weitere EU-Annäherung der Ukraine sprechen: "Andernfalls wird die gesamte Region unter dem Einfluss Russlands und Chinas stehen – also auch Moldau, der Kaukasus oder die zentralasiatischen Republiken. Wir haben daher eine sehr wichtige strategische Entscheidung zu treffen." Die baltischen Staaten sehen sich aufgrund ihrer Nachbarschaft zu Russland und ihrer Geschichte besonders stark von Moskau bedroht. Während des Kalten Kriegs gehörten sie nicht nur – wie die Staaten des Warschauer Pakts – zum sogenannten Ostblock, sondern direkt zur Sowjetunion.

Pavilionis warb auch für eine baldige Wiedereröffnung der österreichischen Botschaft in Vilnius. Derzeit wird diese lediglich von Wien aus betreut. Pavilionis kritisierte, dass Österreich zwar eine Botschaft im autokratisch regierten Belarus habe, nicht aber in Litauen. Vor allem, dass die Vertretung in Vilnius geschlossen wurde, nachdem Russland die Krim annektiert und im Donbass mit der Unterstützung der Separatisten begonnen hatte, habe er als Zeichen dafür gesehen, "dass ihr nicht glaubt, dass wir überleben werden".

Engagement für Entminung

Einen anderen Appell an Österreich richtete Laurynas Kasčiūnas, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im litauischen Parlament. Auch er war, gemeinsam mit Pavilionis, am Montag in Wien zu Gast und plädierte für verstärktes Engagement bei der Entminung in der Ukraine. Eine Beteiligung des Bundesheers vor Ort hatten sowohl Verteidigungsministerin Klaudia Tanner als auch Bundeskanzler Karl Nehammer schon im Frühjahr unter Berufung auf die Neutralität abgelehnt. Kasčiūnas wies nun darauf hin, dass man an einer von Litauen initiierten "Entminungskoalition" auch teilnehmen könne, ohne Soldaten in die Ukraine zu schicken, etwa durch die Bereitstellung von Ausrüstung oder die Ausbildung von Personal.

Österreich unterstützt die Ukraine bei der Entminung bisher vor allem finanziell. Ende November hat der Ministerrat beschlossen, weitere vier Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Laut einer Aussendung des dafür zuständigen Außenministeriums fließt das Geld aus dem Auslandskatastrophenfonds in ein Entminungsprojekt des UN-Welternährungsprogramms (WFP). Drei Millionen Euro aus Österreich gingen zudem an das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), das Minenopfer unterstützt und Informationskampagnen durchführt.

Migration über Belarus

Dankbar zeigte sich Kasčiūnas im Zusammenhang mit der österreichischen Hilfe im Jahr 2021, als über Belarus zahlreiche Migrantinnen und Migranten, unter anderem aus Syrien und Afghanistan, an die litauische Grenze kamen. Das EU- und Nato-Mitglied Litauen beschuldigte damals den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, die Menschen absichtlich nach Minsk und dann weiter an die Grenze zu schleusen, um den Migrationsdruck auf die EU zu erhöhen. Österreich schloss sich dieser Sicht an. Außenminister Alexander Schallenberg etwa besuchte im August 2021 die litauisch-belarussische Grenze und verurteilte den Missbrauch von Migrantinnen und Migranten "als Waffe". Auch der damalige Innenminister und heutige Bundeskanzler Karl Nehammer war vor Ort.

Österreich unterstützte Litauen damals bei der Sicherung der EU-Außengrenze und stellte zudem Generatoren, Wassercontainer, Decken sowie 50 Wohn- und Sanitärcontainer zur Verfügung, die der Unterbringung der Menschen vor Ort dienten. Zur selben Zeit begann Litauen mit der Errichtung einer Grenzbarriere. Diese ist laut Auskunft von Laurynas Kasčiūnas mittlerweile auf der ganzen Länge der Grenze zu Belarus fertiggestellt. (Gerald Schubert, 12.12.2023)