Tom Claessens, Bastian Obermayer, Timo Schober, Krijn Schramade, Henk Willem Smits, Mitarbeit: Carina Huppertz

Ramsan Kadyrow im Stadion
Ramsan Kadyrow präsentiert sich gerne sportlich, auch auf dem Rasen von Achmat Grosny.
AFP/Picturedesk/Karim Jaafar

Als Darko Todorovic im Sommer 2022 Red Bull Salzburg endgültig verließ, war der Transfer nicht mehr als eine Randnotiz. Der bosnische Verteidiger war in den vier Jahren seit seiner Verpflichtung nicht zur Stütze des Teams geworden, nur 14-mal stand er für Salzburg auf dem Platz. Der österreichische Serienmeister hatte keine rechte Verwendung für ihn, also zog Todorovic weiter – und wäre nur einer von tausenden Wechseln gewesen, wie sie im bezahlten Fußball jedes Jahr vorkommen. Wäre Todorovic nicht ausgerechnet zu Achmat Grosny gewechselt, dem Verein des seit 2014 sanktionierten Diktators Ramsan Kadyrow in der russischen Teilrepublik Tschetschenien.

Von Behörden unbemerkt

So aber könnte der sportlich eher bedeutungslose Wechsel Folgen haben, denn vermutlich hat Red Bull Salzburg dadurch nicht nur US-Sanktionen gebrochen, sondern auch jene der EU. Beides blieb bislang offenbar unbemerkt von Behörden, Fußballverbänden und der Öffentlichkeit. Das gilt auch für zahlreiche weitere Fälle, die andere namhafte europäische Fußballklubs wie Olympique Lyon oder PSV Eindhoven betreffen, wie eine internationale Recherche unter dem Titel "The Offside Deals" zeigt. Koordiniert von der niederländischen Plattform "Follow the Money", untersuchten Medien wie Le Monde in Frankreich und El País in Spanien diverse Transfers mit Russland-Bezug. In Österreich war exklusiv DER STANDARD mit seinem Recherchepartner Paper Trail Media beteiligt.

Insgesamt haben europäische Vereine in 28 Fällen riskiert, durch Transfers Sanktionen zu brechen – weil auf der anderen Seite jeweils russische Klubs standen, bei denen sanktionierte Personen oder Firmen, wie die russische Staatsbahn oder der Energieriese Gazprom, Mehrheitseigentümer waren. Oder, weil sie im Verein das Sagen hatten. Offenbar haben zahlreiche Fußballklubs die sanktionsbedingten Einschränkungen bislang entweder nicht beachtet oder im Einzelfall nicht geprüft, ob ihre Transfers erlaubt waren.

Glückloses Talent

Für Salzburg begann der Fall Todorovic im Sommer 2018, damals kaufte der Verein den bosnischen Nationalspieler und bezahlte laut der Branchenwebseite Transfermarkt.de etwa 450 000 Euro für das damals 21-Jährige Talent. Allerdings konnte Todorovic sich in Salzburg nie so richtig etablieren, auch aufgrund von Verletzungen. Also wurde er verliehen. Zunächst nach Kiel in die zweite deutsche Bundesliga, dann nach Split in die erste kroatische Liga. Dann kehrte Todorovic für gut zwei Monate zurück nach Salzburg, wo er allerdings weiterhin keine Rolle spielte. Also verließ er den österreichischen Meister Anfang September 2021, zunächst erneut auf Leihbasis, und dieses Mal zum FC Achmat Grosny nach Tschetschenien.

Darko Todorovic
Darko Todorovic wechselte von Salzburg nach Tschetschenien.
Follow the Money

Dort ist seit Mitte der Nullerjahre der Autokrat Ramsan Kadyrow an der Macht, dem Folter und zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Kadyrow wird wegen der Brutalität und der Russlandtreue seines Regimes oft als Putins "Bluthund" bezeichnet – und ist seit 2014 wegen seiner Unterstützung der völkerrechtswidrigen russischen Annexion der Krim von der EU sanktioniert.

Die Zuschauer in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny bekamen Todorovic wesentlich öfter zu sehen als die Salzburger Fans zuvor. Wenn er fit war, spielte er auch meistens und so zog Grosny im Sommer 2022 eine Kaufoption. Wenige Monate nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine gehörte Todorovic dann also dauerhaft dem FC Achmat Grosny. Und spätestens damit verletzte Salzburg wohl die Sanktionen. Zwar lässt ein Sprecher Salzburgs erklären, man habe den Bosnier damals – wegen Unstimmigkeiten zwischen dem Spieler und dem Verein – kostenfrei gehen lassen, Salzburg habe trotz des laufenden Vertrags von Todorovic weder für die Leihe noch für den Verkauf Geld bekommen.

Wirtschaftliche Ressource

Entscheidend ist aber gar nicht die Ablösesumme, sondern ein Passus im Sanktionsrecht, wie die niederländische Sanktionsexpertin Heleen over de Linden erklärt: "Das Problem ist, dass man Sanktionierten keine wirtschaftlichen Ressourcen zur Verfügung stellen darf, und ein Spieler ist eine wirtschaftliche Ressource." Auch ablösefreie Transfers fallen demnach unter dieses Verbot, denn auch da profitiert der russische Verein, sogar doppelt: Zum einen trägt Todorovic dazu bei, Spiele zu gewinnen, und zum anderen kann der Verein den geschenkten Spieler mit möglicherweise sattem Gewinn wieder verkaufen.

Nun könnte man noch einwenden, dass ja nicht der FC Achmat Grosny, sondern Ramsan Kadyrow sanktioniert ist. Formal ist das auch richtig, allerdings dürfen auch "mit ihm in Verbindung stehenden juristischen Personen" keine Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, so der Wortlaut im Sanktionsrecht, und zu diesen juristischen Personen zählen auch: Fußballvereine.

Im Fall der US-Sanktionen ist die Sachlage ohnehin geklärt. Die USA begründen ihre Sanktionen gegen Ramsan Kadyrow damit, dass er "für außergerichtliche Tötungen, Folter oder andere schwerwiegende Verstöße gegen die Menschenrechte verantwortlich" sei und platzierten nicht nur Kadyrow selbst, sondern auch weitere von Kadyrow "kontrollierte Unternehmen" auf der Sanktionsliste. Darunter den FC Achmat Grosny.

Risiko für Sponsoren

US-Sanktionen wiederum sind auch für europäische Vereine wie Salzburg durchaus von Bedeutung, da diese "extraterritorial" gelten: Die USA können demnach Organisationen, die gegen diese Sanktionen verstoßen, den Zugang zum amerikanischen Markt beschränken. So könnten etwa US-Unternehmen möglicherweise keine Geschäfte mehr mit diesen Organisationen machen dürfen. Das beträfe im Fall von Red Bull Salzburg Sponsoren, die auch in den USA aktiv sind, etwa Nike, Audi und Mastercard. Sollten diese sich von Salzburg trennen, wäre das für den Verein schmerzhaft.

Alle drei Konzerne betonten, Sanktionen zu achten, Nike und Mastercard wollten auf Anfrage nicht zum konkreten Fall Stellung nehmen. Der Audi-Konzern erklärte, dass der Transfer nach den ihm vorliegenden Informationen keinen juristischen Verstoß darstelle.

Was die EU-Sanktionen angeht, ist der Einfluss des sanktionierten Kadyrows auf den Verein Achmat Grosny entscheidend. Und in Tschetschenien ist Fußball Staatsangelegenheit. Kadyrow selbst tritt schon mal auf dem Rasen gegen eigens dafür eingekaufte Weltstars wie Diego Maradona oder Lothar Matthäus an. Und wenn "sein" Verein spielt, kann es schon vorkommen, dass Kadyrow den Schiedsrichter nach strittigen Entscheidungen über Stadion-Lautsprecher als "Ziege" beschimpft und ihm unterstellt, "gekauft" zu sein.

Sportswashing

"Achmat Grosny spielt eine entscheidende Rolle in Kadyrows Propagandastrategie", sagt der Wissenschaftler Harold Chambers von der US-amerikanischen Indiana University. Die Spiele seien wichtige Veranstaltungen, wo das Regime breite Unterstützung des Volkes vortäuschen wolle. In der Vergangenheit seien laut mehreren Berichten auch öffentliche Bedienstete und Studenten gezwungen worden, die Spiele zu besuchen, sagt Chambers. Er vergleicht die Strategie von Kadyrow mit jener des "Sportswashing" in Saudi-Arabien: In beiden Fällen würden Spieler repressiven Regimen für Propaganda zur Verfügung gestellt werden, Regimen, in denen es mehrfach schwere Menschenrechtsverletzungen gegeben habe.

Tatsächlich ist Achmat Grosny aber auch formal noch enger mit Machthaber Ramsan Kadyrow verbunden. Laut russischen Verzeichnissen ist die Regierung von Tschetschenien – der er ja vorsteht – alleiniger Eigentümer des Klubs, das ist der wohl wichtigste Aspekt. Bis ins Jahr 2011 war Kadyrow zudem selbst Vereinspräsident. Damals hieß der Verein auch noch Terek Grosny, mittlerweile ließ Kadyrow ließ ihn zu Ehren seines verstorbenen Vaters Achmat Kadyrow in Achmat Grosny umbenennen, konsequenterweise heißt auch gleich das Stadion "Achmat-Arena". Die offizielle Position Kadyrows, der auf der Website Grosnys immer noch als erster im "management team" präsentiert wird, ist immerhin noch Ehrenpräsident. Der heutige Präsident, Magomed Daudow, ist ein langjähriger Vertrauter Kadyrows und ebenfalls von den USA sanktioniert.

Nach EU-Sanktionsrecht ist am Ende entscheidend, ob Kadyrow als der direkt Sanktionierte, "Kontrolle" über den Verein hatte. Mehrere Experten, die der STANDARD zu dem konkreten Fall befragt hat, sehen eben diese Kontrolle und damit einen Bruch auch der EU-Sanktionen als wahrscheinlich an.

Red Bull Salzburg erklärt, man habe dem jungen Spieler keine Steine in den Weg legen wollen. Zudem habe sich der FC Achmat Grosny weder bei Durchführung des Transfers noch heute auf der EU-Sanktionsliste befunden. "Zu keinem Zeitpunkt gab es Anhaltspunkte für uns, dass eine sanktionierte Person in den Transferprozess eingebunden oder Entscheidungsträger darin war", sagt ein Sprecher dem STANDARD.

Zuständigkeit fraglich

Befragt man nun neben Red Bull Salzburg auch österreichische Behörden und Fußballverbände, ob der Transfer von Todorovic sanktionskonform gewesen sei, lernt man viele sehr einsilbige Menschen kennen – die alle aufeinander deuten. Es wird nicht einmal klar, ob es überhaupt eine wirkliche Prüfung hinsichtlich der Sanktionen gegeben habe. Todorovics Berater ließ entsprechende Anfragen unbeantwortet.

Ein Sprecher Salzburgs betont, man habe alle Vorschriften eingehalten, mehr müssten die Verbände wissen. Genau diese, also die österreichische Bundesliga und der Österreichische Fußballbund (ÖFB), fühlen sich auf Anfrage jedoch nicht zuständig. Die Bundesliga verweist auf den ÖFB, der ÖFB an die Fifa. Die Fifa schickt die Verantwortung zurück nach Salzburg, es obliege nämlich generell "den Vereinen, unabhängig von der Entscheidung eines Fifa-Gremiums, die Einhaltung aller internationalen Sanktionsbeschränkungen zu gewährleisten, die in ihrer jeweiligen Rechtsordnung für sie gelten", heißt es auf Anfrage. Damit liegt der Ball, und auch die Verantwortung, also wieder bei RB Salzburg.

Ob sie dieser Verantwortung gerecht geworden sind, oder sie überhaupt erkannt haben, ist wohl die eigentliche Frage. (Tom Claessens, Bastian Obermayer, Timo Schober, Krijn Schramade, Henk Willem Smits, Mitarbeit: Carina Huppertz, 12.12.2023)