Mit dem Neolithikum wurden auch die ersten Bäuerinnen und Bauern in Europa ansässig. Insbesondere in Nordeuropa waren die Größenunterschiede zwischen Mann und Frau damals viel ausgeprägter als heute.
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Die größten sind heute die Niederländerinnen und Niederländer: Die Frauen, die im Jahr 2000 dort geboren wurden, messen im Schnitt etwas über 170 Zentimeter, die Männer knapp 184 Zentimeter. In Österreich halten wir zum Vergleich bei 167 Zentimetern beziehungsweise 178 Zentimetern – macht Platz 24 in der weltweiten Statistik.

Körpergröße wird traditionell sowohl mit genetischen wie auch umweltbedingten Faktoren (nature and nurture) in Zusammenhang gebracht, wobei laut jüngeren Studien mehr als 10.000 Genvarianten rund 40 Prozent der Varianz erklären. Was darauf hindeutet, dass insbesondere die Ernährung ("nurture" im wörtlichen Sinne) wichtiger zu sein scheint.

Bei einem Blick auf das Größenverhältnis der beiden Geschlechter ergibt sich ein Wert, der zwischen 1,06 und 1,08 schwankt: Auf eine 1,70 Meter große Frau kommt statistisch gesehen ein Mann, der – siehe die Niederlande – zwischen 1,80 und 1,84 groß ist. Wie aber war das früher? Und was lässt sich daraus für das Leben in vorgeschichtlichen Zeiten schließen?

Umfangreiche Analysen alter Knochen

Diesen Fragen ging ein Team rund um die US-Genetikerin Samantha Cox (Universität Pennsylvania) nach, das die Überreste von 1.535 Menschen der Jungsteinzeit analysierte, die vor 8.000 bis 6.000 Jahren in verschiedenen Teilen Europas lebten. Die Forscherinnen und Forscher lasen zum einen das Erbgut von 230 dieser Menschen aus. Zudem gewannen sie Einblicke in ihre Ernährung, indem sie in die Knochen eingebaute chemische Elemente analysierten (bei 873 Menschen). An den Zähnen und Knochen fand man wiederum Hinweise auf Krankheiten (bei 606 Menschen). Außerdem haben sie bei 391 Skeletten die Oberschenkelknochen abgemessen, aus deren Länge man auf die Körpergröße schließen kann.

Dabei zeigte sich zum einen, dass diese frühen Bäuerinnen und Bauern kleiner sowie kränker waren als die Jäger und Sammler in der Altsteinzeit. Zum anderen ermittelten die Forschenden, dass die Größenunterschiede zwischen Männern und Frauen vor rund 7.000 Jahren insbesondere im Norden Europas deutlich ausgeprägter waren, als sie es heute in Europa sind. Allerdings gab es erhebliche geografische Unterschiede, berichtet das Team am Montag im Fachblatt "Nature Human Behaviour": In Regionen nördlich von Österreich lag das Verhältnis bei 1,14. Im südlichen Mitteleuropa – wozu auch Österreich zählt – betrug es 1,09 und auf dem Balkan 1,11.

Zum Vergleich: Nur in manchen Gesellschaften der modernen Welt, etwa in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Indien, gebe es laut wissenschaftlicher Literatur heutzutage Werte in der Höhe von 1,10, und diese seien für ihre kulturelle Vorliebe für männliche Kinder bekannt. Was aber waren die damaligen Gründe für die stärker ausgeprägten Geschlechterdifferenzen? Es war wohl ähnlich wie heute, wie die Forschenden schreiben, zu denen auch Nicole Nicklisch und Kurt Alt vom Zentrum für Natur- und Kulturgeschichte des Menschen der Danube Private University in Krems gehören.

Soziokulturelle Benachteiligung

Sie fanden für die jungsteinzeitliche Größendiskrepanz nämlich keine erkennbaren genetischen, ernährungs- oder krankheitsbedingten Ursachen. Sie gehen daher davon aus, dass die Härten des neolithischen Lebens beim männlichen Geschlecht eher gemildert worden sind als beim weiblichen. Das habe sich letztlich auch in den größeren Größendifferenzen niedergeschlagen.

Weil Vieh und Getreide umso schlechter gediehen, je weiter nördlich man lebte, waren die Unterschiede im nördlichen Mitteleuropa deutlicher als im südlichen. Denn im Mittelmeerraum gab es offensichtlich in der Frühsteinzeit keine Bevorzugung der Männer. Davon zeugt ein quasi "übermodernes" Geschlechtergrößenverhältnis von 1,05. Die Männer zählten zudem zu den kleinsten im jungsteinzeitlichen Europa. Auch das ist heute in vielen südeuropäischen Ländern noch ähnlich wie damals. (tasch, APA, 11.12.2023)