Italien stellt seine europäischen Partner seit nunmehr drei Jahren auf die Geduldsprobe: Die von den Finanzministern der Eurozone im November 2020 beschlossene Reform des ESM ist vom Parlament in Rom bis heute nicht ratifiziert worden. Alle anderen 19 Eurostaaten haben dies längst getan, denn eigentlich sollte die Neuerung, wonach nun auch die Rettung von Banken ermöglicht wird (der sogenannte Backstop), Anfang 2024 in Kraft treten. Doch das wird immer unwahrscheinlicher: Auch am kommenden Donnerstag und Freitag, wenn sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der EU ein letztes Mal in diesem Jahr treffen, wird die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit leeren Händen unter die Augen der EU-Kolleginnen und -Kollegen treten müssen: Die Ratifizierung des ESM ist in Rom ein weiteres Mal vertagt worden.

Giorgia Meloni muss sich wegen des ESM verrenken.
Giorgia Meloni muss sich wegen des ESM verrenken.
REUTERS/REMO CASILLI

Melonis Problem: Sie und auch Vizepremier und Lega-Chef Matteo Salvini hatten, als sie noch in der Opposition waren, jahrelang Stimmung gegen den ESM gemacht. In ihrer nationalistischen, EU-feindlichen Rhetorik stilisierten die beiden Rechtspopulisten den Rettungsschirm zum Symbol des nationalen Souveränitätsverlusts; der ESM wurde als Vorhölle einer drohenden Knechtung Italiens durch die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF verteufelt. Meloni hatte das Instrument, das 2012 während der Finanzkrise ins Leben gerufen worden war, als "Schlinge um den Hals Italiens" bezeichnet und im Wahlkampf geschworen, dass eine von ihr geführte Rechtsregierung dem ESM niemals zustimmen werde. Italien werde mit ihr nicht das gleiche demütigende Schicksal wie Griechenland erleiden, betonte sie immer wieder.

Inniges Verhältnis

Meloni hat zwar, kaum gewählt, ihre europafeindliche Rhetorik aufgegeben und regiert das Land nun seit längerem im Stil der guten alten Democrazia Cristiana (DC). Mit der christdemokratischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verbindet sie ein geradezu inniges Verhältnis. Von ihr aus könnte man den Rettungsschirm jetzt problemlos ratifizieren. Aber die Ablehnung des ESM war für die italienische Rechte nun einmal jahrelang ein Kernpunkt des Programms gewesen, und so tut sich Meloni unendlich schwer, dem Parlament eine Vorlage zur Ratifizierung vorzulegen – zumal sie in den 14 Monaten seit ihrem Amtsantritt auch schon andere ehemalige Programmpunkte über Bord geworfen hat, allen voran das Versprechen, die Zahl der Migranten durch eine Seeblockade drastisch zu reduzieren. Meloni weiß: Nicht nur die Geduld der europäischen Partner, sondern auch diejenige der italienischen Rechtswähler ist endlich.

Verrenkungen

Das Dilemma zwingt Meloni, je ungeduldiger die EU-Partner werden, zu abenteuerlichen Verrenkungen. So erwägt die Regierung allen Ernstes, die Ratifizierung mit einem Tagesordnungspunkt zu verbinden, in welchem die Rechtskoalition verspricht, vom ESM niemals – niemals! – Gebrauch zu machen. Gleichzeitig versucht Finanzminister Giancarlo Giorgetti (Lega), die Ratifizierung des ESM auf EU-Ebene als Druckmittel einzusetzen, um in den laufenden Verhandlungen über die Reform der EU-Haushaltsregeln (Stabilitätspakt) eine Aufweichung der Bestimmungen über den Schuldenabbau zu erreichen. Gelänge dies, könnte die Regierung die Zustimmung zum ESM ihren Wählerinnen und Wählern wenigstens als halben Erfolg verkaufen. Bisher hat Giorgetti seinem deutschen Kollegen Christian Lindner freilich kaum Zugeständnisse abringen können.

Die "Erbsenzähler" in Brüssel und Berlin sind den italienischen Rechtspolitikern ein ähnlicher Dorn im Auge wie der ESM. Die Haushaltsregeln der EU waren während der Pandemie ausgesetzt worden, sollen nun aber in leicht modifizierter Form wieder verbindlich werden. Zwar hat die Regierung Meloni für 2023 einen relativ vorsichtigen Haushalt vorgelegt, aber im kommenden Jahr schickt sich das mit fast drei Billionen Euro verschuldete Land an, weitere 80 Milliarden an neuen Schulden aufzunehmen – obwohl in der italienischen Verfassung, wie im deutschen Grundgesetz, eigentlich ebenfalls eine Schuldenbremse verankert ist. Der Kontrast zwischen der Römer Rechtsregierung und der deutschen Ampel, die wegen Einsparungen von vergleichsweise lächerlichen 17 Milliarden Euro eine halbe Koalitionskrise heraufbeschwört, könnte kaum größer sein. (Dominik Straub aus Rom, 13.12.2023)